Wer das Glück hatte, Theodorakis zu begegnen, spürte seine Menschenfreundlichkeit, seine Gesprächsbereitschaft, seine Herzlichkeit, empfand die große Aura des Komponisten. Er war ein Brückenbauer zwischen den Genres der Musik, zwischen der Kunst- und der Volksmusik, ein Brückenbauer für Menschlichkeit und Verständigung zwischen den Völkern.
Zeit seines langen Lebens setzte er sich für Freiheit und Verständigung ein. Mikis Theodorakis symbolisiert eine Einheit musikalisch-schöpferischer Kraft und politischen Engagements wie kaum ein Komponist des 20. und des frühen 21. Jahrhunderts.
Seine Musik gibt den Menschen wieder Hoffnung und Kraft: im griechischen Bürgerkrieg, während der Zeit der der Militärdiktatur Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts und später immer dann, wenn die griechische Demokratie in Gefahr geriet.
Ging es um die Selbständigkeit und Freiheit seines Landes, mischte Theodorakis sich ein, ohne Rücksicht auf sein Leben und immer im Schutze seiner Musik. Nur wenige Komponisten unserer Zeit bewahren untrennbar und klar ihre kompositorische und politische Haltung wie Theodorakis es tat. Ihm gelang es, nach fast 400 Jahren osmanischer Besetzung seines Landes, durch die Zusammenführung von Volksmusik und sinfonischer (klassischer) Musik Griechenland wieder eine eigene Musikidentität zu geben. In der ersten seiner fünf Schaffensphasen komponierte Theodorakis Kammermusik. Die zweite Schaffensphase oder „erste sinfonische Epoche“, brachte ihm 1958 im Moskauer Komponistenwettbewerb durch die mit Dmitri Schostakowitsch, Darius Milhaud und Hanns Eisler besetzte Jury mit der Goldmedaille eine besondere Auszeichnung. Ein Jahr später gelang es Theodorakis mit der Uraufführung seiner Ballettmusik „Antigone“ im Londoner Covent Garden europaweit bekannt zu werden. Die Höhepunkte seiner dritten Schaffensphase, der „Griechischen Epoche“ bilden die Oratorien „Axion Esti“ und „Canto General“. In den zehn Jahren seiner vierte Schaffensperiode komponiert er die 2., 3., 4.und 7. Sinfonie für Chor, Vokalsolisten und Orchester. Theodorakis nannte in einem unserer Athener Gespräche zwischen 2004 und 2018 die vier Sinfonien seine „Antwort auf das Establishment der Zeit nach der Junta in Griechenland“.
Die Bedeutung der griechischen Mythologie wird am Ende seines Schaffens mit der Vertonung der Stoffe der großen Tragödienschreiber der Antike in den Opern „Medea“, „Elektra“, „Antigone“ und „Lysistrata“ hörbar. Theodorakis nutzt den griechischen Mythos, um Konflikte unserer Zeit und den bisher nicht durchbrochenen Kreislauf von Zerstörung und Tod hörbar zu machen.Von Beginn seiner Kompositionstätigkeit an schreibt er Lieder. Über 1000 sind es geworden, und er kreiert mit ihnen eine neue Musikgattung, die es bei uns nicht gibt: das „Künstlerische Volkslied“. Gemeint ist damit die Vertonung großer Poesie, unter anderem der Literatur-Nobelpreisträger Odysseas
Elytis und Giorgos Seferis sowie von Jannis Ritsos, Pablo Neruda und vielen anderen Dichtern. „Die Melodie ist der Fingerabdruck des Komponisten“ sagte Theodorakis. Mit ihr vermochte er es, den Dialog mit den Menschen zu beginnen und von den Menschen verstanden und geliebt zu werden.
Theodorakis öffnet die Sinne der Hörer und vermag es, über dogmatische Grenzen hinweg die Menschen zueinander zu führen. Seine Musik ist Ausdruck der Freundlichkeit und Lebensfreude, der Trauer und des Zorns, der Überwindung des Hasses und des Ausdrucks der Liebe. Dort wo sie erklingt, bewahrt sie die Freiheit und Würde des Menschen.
Am 2. September 2021 ist Mikis Theodorakis im Alter von 96 Jahren in seinem Haus in Athen gestorben.