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Herbert Blomstedt wird Ehrendirigent der Dresdner Staatskapelle. Foto: Staatskapelle, Creutziger
Ein Leben für die Musik: Dirigent Herbert Blomstedt wird 90. Foto: Staatskapelle Dreden, M. Creutziger
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Ein Leben für die Musik: Dirigent Herbert Blomstedt wird 90

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Dresden - Seine Auftritte sind nicht spektakulär und doch in der Musikwelt bis heute ein großes Ereignis. Wenn der Dirigent Herbert Blomstedt in Europa oder Übersee vor ein Orchester tritt, kann man die Spannung bei Musikern und Publikum gleichermaßen spüren. Der Grandseigneur der Dirigentenzunft wird an diesem Dienstag (11. Juli) 90 Jahre alt, doch seine Interpretationen sind frisch wie eh und je.

«Herbert Blomstedt ist einer der wenigen Dirigenten, die sich im Laufe ihres Lebens immer weiterentwickelt haben. Er geht immer wieder neu an die Werke heran», sagt der Dresdner Cellist Bernward Gruner.

Gruner durfte 1979 gleich nach seinem Einstieg bei der Staatskapelle Dresden mit Blomstedt auf eine große USA-Tournee gehen. Wochenlang fuhr man mit dem Bus kreuz und quer durchs Land. Der Chef wollte keine Privilegien, nahm wie alle anderen im Bus Platz. Er dolmetschte für die Musiker, kümmerte sich um Kranke und trug älteren Kollegen sogar den Koffer, erinnert sich der Cellist. Blomstedt war 1975 nach Dresden gekommen und blieb zehn Jahre. Dass er noch vor dem Fall der Mauer ein ostdeutsches Orchester übernahm, war eine kleine Sensation. Wie er das Amt dann ausführte, hat ihm höchste Achtung eingebracht.

Blomstedt wurde 1927 als Sohn schwedischer Eltern, eines Predigers und einer Pianistin, in den USA geboren. Von seiner Mutter erhielt er ersten Musikunterricht. Im Kindesalter wäre er nach eigenem Bekunden am liebsten Lokführer geworden. Als Abiturient hatten es ihm Fächer wie Mathematik, Geschichte, Geografie und Sprachen angetan. Auf den Spuren seines Vaters hätte er auch Theologie studieren können. Doch schließlich entschied er sich für die Musik, studierte in Stockholm Geige, später auch Dirigieren unter anderem bei Leonard Bernstein. 1954 gab Blomstedt sein Dirigentendebüt mit den Stockholmer Philharmonikern.

Erste Chefpositionen nahm er beim Orchester in Norrköping, bei der Osloer Philharmonie und dem Dänischen Radio-Sinfonieorchester ein. Wenn man heute mit Blomstedt über seine Anfänge spricht, berichtet er nicht nur detailliert über jede dieser Stationen. Er ist auch voller Dank dafür, dass er sich dort ein großes Repertoire erarbeiten konnte. 1969 debütierte er bei der Staatskapelle Dresden, die sechs Jahre später seine neue künstlerische Heimat wurde. Nach der für ihn überaus erfolgreichen Zeit an der Elbe machte er das San Francisco Symphony Orchestra zu einem führenden Klangkörper der USA.

1996 kehrte er nach Deutschland zurück, leitete zunächst das NDR- Sinfonieorchester. 1998 folgte die Stelle als Gewandhauskapellmeister in Leipzig. «Herbert Blomstedt ist als Mensch, Musiker und Dirigent eine Ausnahmeerscheinung», sagt Gewandhausdirektor Andreas Schulz. In Leipzig verehre man ihn wohl wie keinen anderen Musiker. Schulz nennt Blomstedt einen «begnadeten Lehrer, ausgezeichneten Zuhörer und sehr guten Ratgeber». Zudem sei er stets auf der Höhe der Forschung: «Das Studium und das Suchen nach Neuem ist seine Leidenschaft.»

Tatsächlich beginnt Blomstedt noch heute seinen Tag mit Partitur- Studium. Das ist so etwas wie Frühsport für den Maestro. «In jedem Konzert gibt es Stellen, die ich im Rückblick etwas anders machen würde - auch wenn ich insgesamt zufrieden war», verrät der Schwede. Den möglichen Änderungsbedarf notiert er sich in der Partitur - als Anregung für das nächste Mal: «Das ist ein Work in Progress - man wird nie fertig, auch mit den größten klassischen Werken.»

Es sind Eigenschaften wie diese, die der Dresdner Orchesterdirektor Jan Nast an Blomstedt bewundert: sein phänomenales Gedächtnis, seine menschliche Wärme, seine Musikalität. Nast ist froh, dass junge Orchestermusiker noch immer von dieser Art des Arbeitens und Musizierens profitieren können: «Diese Generation gibt es bald nicht mehr.» Blomstedt sei ein «nobler, charmanter und bescheidener Ausnahmekünstler, der mit Gelassenheit und Frische, auch mit Disziplin und Fleiß, aber nie mit Routine zu Werke geht» und so Ansporn und Vorbild sei - nicht nur unter musikalischen Gesichtspunkten, betont Sprecher Matthias Hain von den Bamberger Symphonikern.

Der Maestro bleibt bei allem Lob bescheiden: «Ich war immer geprägt von Selbstzweifeln. Ich habe mir stets die Frage gestellt, ob ich gut genug bin, um ein Orchester anzuführen.» Auch bei Proben frage er sich heute noch, ob er ausreichend vorbereitet sei, um den Musikern etwas zu geben: «Wenn ich merke, dass das Orchester dankbar für meine Anwesenheit ist, beflügelt mich das sehr.» Nie habe er sich für eine Chefposition beworben. Dass die Orchester bei ihm anfragten, sei gut für das Selbstgefühl gewesen. Er sehe seine Aufgabe darin, «dass die Musik möglichst viel sagt und ich möglichst wenig».

 

Blomstedt: Ich möchte jeden Tag etwas Neues machen

Interview: Jörg Schurig, dpa

Dresden - Dirigent Herbert Blomstedt bleibt weiter auf musikalischer Spurensuche. «Ich entdecke auch in Werken, die ich oft gespielt habe, immer wieder Neues», verriet der Künstler in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur kurz vor seinem 90. Geburtstag am Dienstag (11. Juli). Darin äußert er sich auch über seine Familie und Gänsehautgefühle.

Frage: Wie feiern Sie Ihren Geburtstag? Lassen Sie sich von Ihrer Familie überraschen, oder gibt es ein bestimmtes Ritual?

Antwort: Ich mache zum Geburtstag nichts Besonderes. Wenn es möglich ist, versuche ich bei meiner Familie in Schweden zu sein. Ich habe vier Töchter und versuche, regelmäßig im Sommer dort Urlaub zu machen. In diesem Jahr bin ich in Hamburg zu Proben und Konzerten. Am Tag selbst hat wohl das NDR-Elbphilharmonie Orchester etwas arrangiert. Das wird eine Überraschung. Gefeiert wird an einem sehr schönen Ort an der Außenalster. Ich bin sehr gespannt und freue mich. Ich habe nur Menschen um mich herum, die ich gern habe.

Frage: Gibt es musikalische Freundschaften, die Sie geprägt haben?

Antwort: Ich hatte viele Freunde in den Orchestern, die ich geleitet habe. Mit einzelnen Musikern bin ich noch heute freundschaftlich verbunden. Die engsten Beziehungen existierten aber außerhalb der Orchester. Mein Bruder und ich waren uns sehr nah. Wir hatten nicht nur dieselben Gene und die gleiche Erziehung, sondern uns auch bis zum Alter von 25 ein Zimmer geteilt. Wir waren unzertrennlich, ich habe ihn sehr bewundert. Er war drei Jahre älter und in vielerlei Beziehung ein Vorbild für mich.

Frage: Für was sind Sie in Ihrem Leben dankbar?

Antwort: Ich bin für mein ganzes Leben dankbar. Ich hatte wunderbare Eltern, einen strengen, geradlinigen Vater, der mir Lebensweisheiten weitergab. Meine Mutter war ein guter Kontrast zu ihm - weich, freundlich, gesellig und eine wunderbare Musikerin. Ich bin dankbar für meinen Bruder, von dem ich viel gelernt habe. Ich bin dankbar für meine Frau, sie passte perfekt zu mir. Sie liebte die Musik und war in jedem meiner Konzerte, auch wenn sie die Werke schon oft gehört hatte. Sie konnte nicht genug davon kriegen. Sie hat mir vier Töchter geschenkt, wunderbar verschiedene Menschen, die mir alle nahestehen. Ich bin dankbar für meine Orchester. Schon das erste in Norrköping - sie haben mir jedes musikalische Körnchen aus der Hand gefressen.

Frage: Sie vermögen in der Musik immer wieder neue Dinge zu entdecken. Worum geht es Ihnen da?

Antwort: Ich entdecke auch in Werken, die ich oft gespielt habe, immer wieder Neues. Gerade habe ich die Partitur von Richard Strauss' «Metamorphosen» in den Händen. Ich spiele sie in ein paar Wochen mit den Wiener Philharmonikern bei den Salzburger Festspielen. Vor Jahren schon habe das genau studiert. Die Partitur ist voller Anmerkungen und Ideen, die ich nach Aufführungen aufschrieb. Nun schaue ich mir das wieder an. Ich möchte jeden Tag etwas Neues machen.

Frage: Gibt es Musik, bei der Sie immer noch Gänsehaut bekommen?

Antwort: Das geht mir bei vielen Werken so. Ich könnte sogar übertreiben und sagen: Wenn ich keine Gänsehaut bekomme, dann ist die Musik für mich vielleicht nicht wertvoll genug. Man muss so empfänglich und so sensibel sein, dass man mit Respekt und Dankbarkeit vor einem Werk steht. Man darf nie in Routine verfallen so nach dem Motto: Das kann ich schon. Ich fühle mich jedes Mal als Anfänger. Ich weiß zwar, dass ich Erfahrung mit vielen Stücken habe, muss aber trotzdem ein paar Hürden überwinden, bevor ich vor ein Orchester trete. Das ist eine enorme Herausforderung.

Frage: Blieb ein musikalischer Traum bei Ihnen bislang unerfüllt?

Antwort: Es gibt so viel Musik, die ich noch nicht gespielt habe. Man kann ohnehin nicht alles spielen. Man muss lernen zu wählen. Das ist normal, ich bin nicht traurig darüber. Was keine Grenzen hat, hat auch keine Form. Wenn man versucht, Grenzen zu ignorieren und alles zu machen ohne Einschränkung - das wäre für mich unmöglich. Man sollte das jeweils Interessante für sich heraussuchen. Das ist kein Nachteil, das ist ein Vorteil.

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