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Eine Passion für einen Nicht-Christen

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Zum Tode von Hermann Keller
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Hermann Keller hatte sein Lieblingszitat Arnold Schönberg abgelauscht: „Kunst ist der Notschrei jener, die an sich das Schicksal der Menschheit erleben.“ In den Worten erkannte der Berliner Komponist und Pianist, Improvisator und Avantgardist sich selbst: „Wenn ich mir vornehme, ich will etwas Extremes machen, dann wird das nix. Ich muss das natürlich erfahren haben und zwar freudvoll aber eben auch bitter – das gehört immer beides zusammen.“

Freude und Bitterkeit, politisches Engagement und autonome Ästhetik, zarte Schönheit und scharfe Dissonanzen bestimmten Hermann Kellers künstlerisches Schaffen und machten ihn zu einer wichtigen Stimme nicht nur im Chor des ostdeutschen Musiklebens. Seine Musik war „…ins Extreme geschrieben“ – so der treffende Titel einer CD aus dem Jahr 2016, auf der sein Ensemblestück „Es war. Es ist. Wird es sein?“ zu hören ist, dessen Titel den Spot auf sein bewegtes Leben lenkt.

Es war ein vielseitiges Künstlerleben, in dem sich Hermann Keller zwischen den musikalischen Welten bewegte. Alte Fotos und Aufnahmen zeigen ihn mit Größen der ostdeutschen Jazzer-Szene (bevorzugt deutsch ausgesprochen) wie dem Saxophonisten Manfred „Catcher“ Schulze, mit dem Keller in den frei parlierenden Klängen des Free Jazz ein Stück klingende Freiheit praktizierte: Es war „ein Versuch, hüben wie drüben, mehr Freiheit zu gewinnen.“ Exakteste Cluster legte Keller als kraftvoller Improvisator auf die 88 Tasten und wusste auch als klassisch ausgebildeter Pianist zu parlieren: „Bach, Beethoven und Brahms hingen bei mir in der Kindheit über meinem Flügel.“ Als wichtiger Vertreter der ostdeutschen Avantgarde schuf er schließlich fein austarierte, widerständige und kraftvolle Kompositionen; erinnernd darin an seinen Komponistenfreund Friedrich Schenker (1942–2013), mit dem Hermann Keller die Liebe zur Improvisation, die bis zuletzt linkshuman gerichtete Gesinnung und die kritische Haltung zur Amtskirche teilte. Ihm widmete er sein letztes großes Werk, die Barabbas-Passion.

Wer die widerständige Ästhetik von Hermann Kellers frühem Werk kennt, dürfte erstaunt sein über den fast überklaren Duktus dieser „Passion für Nicht-Christen“: Anstelle des friedliebenden Jesus rückte der Komponist mit Ba­rab­bas einen aufrührerischen Freiheitskämpfer ins Zentrum des Geschehens und formulierte ein Lebens- statt eines Glaubensbekenntnisses. In einer fast überklaren Musiksprache nannte er die Dinge beim Namen, um im Sinne Stéphan Hessels zum Widerstand gegen aktuelle Missstände aufzurufen: „Empört Euch!“  Bis zuletzt blieb Hermann Keller seinem Lebensmotto treu: seine Kunst war der Notschrei eines Komponisten, der an sich das Schicksal der Menschheit erlebte – widerständig, aneckend, unbequem, entgegen dem Zeittrend und ausgestattet mit einer Unverwechselbarkeit oder sogar Unzeitgemäßheit, die seine Zeitgenossenschaft umso eindrucksvoller belegt. Und umso anrührender ist die zarte Note und versöhnliche Geste, mit der Herman Keller seine Barabbas-Passion beendet: „Noch im Untergehn sag leise – oder laut: das Leben ist schön. War schön.“

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