Memphis (dpa) - Wie würde heutige Musik ohne Sam Phillips klingen? Eine hypothetische Frage - auf die es aber wohl nur eine Antwort gibt: anders. Schließlich hat Sam Phillips als Musikmanager gleich mehrere entscheidende Weichen gestellt. Er hat Ikonen wie Elvis Presley, Jerry Lee Lewis, Roy Orbison, B.B. King und Johnny Cash entdeckt, er hat den Blues salonfähig gemacht und er gilt als Pionier des Rockabilly und Rock'n'Roll.
Am 5. Januar wäre Phillips 100 Jahre alt geworden. Dass er irgendwann Musikgeschichte schreiben würde, war ihm nicht in die Wiege gelegt worden. Im US-Bundesstaat Alabama wuchs er in einfachen Verhältnissen auf, engagierte sich in der Schulband und kam später als Radiomoderator nach Memphis. Er richtete sich ein kleines Studio ein und machte Plattenaufnahmen lokaler Musiktalente. 1952 gründete Phillips sein Plattenlabel Sun Records, der Grundstein seiner Karriere - und der Karrieren vieler Stars.
Thomas Mania, Kurator beim Rock'n'Popmuseum in Gronau, sagt, mit Sun Records habe Philipps quasi den Prototypen eines Independent-Labels entwickelt, also einen Entdecker und Zulieferer junger Talente an große Plattenfirmen. «Dazu braucht es einen engen Kontakt zur jungen Musikerszene und einen «Riecher» für den kommenden Publikumsgeschmack.»
Eine von Sam Phillips' prominentesten Entdeckungen: Elvis Presley. 1954 kam dieser schlaksige, etwas unbeholfene Kerl aus Tupelo (Mississippi) in das Studio, um ein Lied für seine Mutter aufzunehmen. Phillips erkannte sofort sein Potenzial, wie er dem Magazin «Rolling Stone» 1986 erzählte: «Er hatte genau das, wonach ich gesucht habe.» Und weiter: «Er war musikbesessen, hatte diese besondere Stimme, und er hatte so lange Koteletten, wie ich sie noch nie vorher gesehen habe. Er war cool.»
Schon mit dem im selben Jahr erschienen Song «That's All Right» startete Elvis seine Weltkarriere. Das in einem unscheinbaren, schmucklosen Eckhaus angesiedelte Sun Studio wurde in den nächsten Jahren zum Nabel der Musikwelt. Neben Elvis und Country-Ikone Johnny Cash begründeten hier etliche weitere Musikgrößen ihre Laufbahn, etwa Roy Orbison, Country-Star Charlie Rich sowie die Rock'n'Roll-Legenden Jerry Lee Lewis und Carl Perkins.
Man sollte aber nicht vergessen, so Mania, dass es Phillips bei aller künstlerischen Vision auch um bare Münze gegangen sei. Mit Elvis Presley habe er jenen Musiker gefunden, der ihm nach nur wenigen Veröffentlichungen eine erhebliche Ablösesumme für sein Label eingebracht habe.
Obwohl Phillips für seine Rock'n'Roll- und Rockabilly-Produktionen berühmt wurde, hatte sein Herz zunächst für den Blues geschlagen. «Ich wuchs in den 1920 Jahren in einer Farm auf», sagte Phillips in dem «Rolling Stone»-Interview. «Der Blues war bei unseren schwarzen Nachbarn allgegenwärtig. Sie sangen ihn bei der Hausarbeit, beim Wäscheaufhängen, auf dem Feld, einfach überall.»
Er selbst habe die Musik nicht nur gehört, da sei noch mehr gewesen. «Ich habe sie in meinem tiefsten Inneren gespürt und diese Spiritualität gefühlt. Das hat mich nie mehr losgelassen.»
Mit Sun Records verfügte Phillips ab den frühen 1950er Jahren über das geeignete Vehikel, um Blues-Musikern - wie B.B. King und Howlin' Wolf - in die Karrierespur zu verhelfen. In der damaligen Zeit nicht einfach: «Viele Menschen haben mich deshalb angefeindet», sagte er. «Doch die Musik war stärker. Sie hat so viel für uns getan. Sie hat dazu beigetragen, dass wir Rassenschranken überwinden.»
Mit Elvis habe der Phillips «den Weißen entdeckt, der das Gefühl und die Stimme eines Schwarzen repräsentierte, der damit eine musikalische Brücke zwischen der weißen Country-Musik und dem schwarzen Blues schlagen konnte», sagt Musikfachmann Mania. Das sei von Bedeutung gewesen in einer Zeit, in der der Rassismus in den USA und darüber hinaus tiefe Gräben aufgeworfen habe.
In diesem Sinne stehe Sam Phillips auch für die soziale Kraft der Popmusik durch die Hintertür. «Ohne den musikalischen Input aus dem Hintergrund von Visionären wie Produzenten und Label-Betreibern bliebe die Popmusik und damit auch die westliche Wertegemeinschaft varianten- und facettenärmer», so Manias Einschätzung.
Im Jahr 2003 starb Phillips im Alter von 80 Jahren. «Er hat Stars gemacht, wollte selbst aber keiner sein», sagt der Tourismus-Fachmann Wolfgang Streitbörger, der Sam Phillips Mitte der 90er Jahre in Memphis traf und als einen sehr bescheidenen Menschen erlebte. Nicht nur in Memphis, wo unter anderem eine Straße nach dem Produzenten benannt ist, werden seine Verdienste gewürdigt.
Der Musikmanager ist unter anderem in die Ruhmeshalle des Rock'n'Roll aufgenommen worden, in die des Blues und in die Hall of Fame der Country Music. Dort heißt es über ihn, er zähle «zu den bedeutendsten Machern der amerikanischen Musik». Nicht mehr und nicht weniger.