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Lebendiger Dialog zwischen Preisträger und Laudator: Michael Gielen und Helmut Lachenmann. Foto: Charlotte Oswald
Lebendiger Dialog zwischen Preisträger und Laudator: Michael Gielen und Helmut Lachenmann. Foto: Charlotte Oswald
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Ernst von Siemens-Musikpreis an Michael Gielen

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Die festliche Zeremonie, in welche die jährliche Überreichung des Ernst von Siemens Musikpreises eingebettet ist, war nach den Jahren des Exils in den Münchner Kammerspielen wieder in das in neuem Glanz erstrahlende, aufwändig restaurierte Cuvilliés-Theater zurückgekehrt. Würdiger Rahmen für den diesjährigen Preisträger Michael Gielen, dessen unermüdlicher Einsatz für die moderne Musik endlich die angemessene Beachtung fand.

Michael Gielen, 1927 in Dresden geboren, im Exil im damals musikgetränkten Buenos Aires aufgewachsen, gehört zu den Dirigenten, die nicht nur für die Moderne, sondern auch für die Werke der Klassik und Romantik, von Beethoven bis zu Mahler und dem frühen Schönberg, entscheidende neue Interpretationsansätze entwickelt haben. Die wichtigsten Stationen in Gielens Karriere waren die zehn Jahre als Intendant und Musikdirektor der Frankfurter Oper sowie die ebenso lange Zeit als Chefdirigent des Südwestrundfunk- Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg mit dem Schwerpunkt Donaueschinger Musiktage. Das alles wurde in den Ansprachen bei der Preisverleihung noch einmal lebendig. Aber feierliche Pathosstimmung kam nicht auf, im Gegenteil: Helmut Lachenmanns Laudatio auf den Preisträger sprühte vor Geist und anekdotischem Witz, Komponist und Dirigent sind seit Jahrzehnten befreundet, da sammelt sich in gemeinsamen Gesprächen und gesammelter Erfahrung genügend „Material“ an, um eine intelligente, lebendige Lobrede zu halten.

Als Lachenmann Gielen einmal ausführlichst eine neue Komposition erklärte, mit allen Neuerungen, technischen Finessen und Materialbehandlungen fragte der Dirigent am Ende lakonisch: Und wo bleibt die Transzendenz? Das war und ist der typische Michael Gielen. Für ihn geht Musik immer über die gedruckte Notation hinaus. Im Kopf müssten die Noten auf das hinterfragt werden, was sie im tieferen Sinn zu sagen haben. Was Lachenmann in seiner Laudatio über die Bedeutung der Transzendenz ausführte, berührt einen wesentlichen Zug des Komponierens überhaupt. Große Musik birgt immer auch ein tiefes utopische Element – das leider und auf unerklärliche Weise heute in vielen neu komponierten Werken abhanden gekommen scheint.

Auf diese existentielle Dimension der Musik kam auch Michael Gielen in seiner Dankesrede zu sprechen. Zitate von Theodor W.-Adorno und des sowjetischen Schriftstellers Wassili Grossmann unterstrichen Gielens ästhetischen Anspruch an die Musikinterpretation, an Musik überhaupt. Noch nie hat man bei der Siemens-Preisverleihung zwischen Preisträger und Laudator einen so lebendigen Dialog vernommen, der nicht nur intelligent, sondern auch von einem feinen Humor einschließlich ironischer Spitzen durchsetzt war.

Zur Preis-Zeremonie gehört auch Musik. Das Minguet Quartett spielte zwei Sätze aus Michael Gielens 1983/1985 komponiertem Streichquartett „Un vieux souvenir“, den 2. Satz „Une charogne“ (Ein Aas) und den 4.Satz „Le cygne“ (Der Schwan). Zwei Gedichte aus Baudelaires „Fleurs du Mal“, aus denen die Musiker kurze Textstellen in den musikalischen Verlauf hineinsprechen wirken gleichsam als assoziativer Impuls für die Musik, die in ihrer subtil ausdifferenzierten Klanglichkeit und gestischen Bewegtheit viel von der morbiden Atmosphäre der Gedichte überträgt, dabei zugleich auch einen autonomen musikalischen Ausdruck gewinnt. Musik der drei Komponistenpreisträger komplettierten das Musikprogramm der Preisübergabe.

Eigens für den Anlass schrieben Oliver Schneller, Pierluigi Billone und Arnulf Herrmann kurze Stücke, die hier ihre Uraufführung erfuhren. Die „Vier Szenen“ für Flöte, Vibraphon und Klavier von Schneller gefielen durch ihren lockeren, spielerischen Klangcharakter, Billone hatte der Fagottistin Lorelei Dowling ein Solo komponiert, das den Titel „Blaues Fragment“ erhielt und so monochrom wirkte wie Bilder aus einer Farbe. Arnulf Herrmanns „eine Bagatelle“ für Klarinette, Bassklarinette und Horn präsentierte sich danach geradezu vital, sicher auch deshalb, weil Mitglieder des Ensemble Modern Frankfurt ihre Kompetenz ebenso nachdrücklich ausspielten. Als komponiertes Dankeschön für den Förderpreis sollte man diese Beiträge nicht allzu gewichtig nehmen.

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