Berlin - Mehr als 300 Jahre hatten die Männer das Sagen - jetzt wird die renommierte Akademie der Künste in Berlin erstmals von Frauen geführt. Die Mitgliederversammlung wählte am Samstag die 71-jährige deutsch-argentinische Filmemacherin Jeanine Meerapfel zur Präsidentin. Stellvertreterin wurde die 43 Jahre alte österreichische Schriftstellerin und Theaterautorin Kathrin Röggla.
Meerapfel löst den langjährigen Präsidenten Klaus Staeck (77) ab, der wie seine Stellvertreterin Nele Hertling (81) laut Satzung nach drei Amtszeiten nicht erneut kandidieren durfte.
Die neue Präsidentin kündigte nach ihrer Wahl an, das gesellschaftspolitische Engagement der Akademie fortzusetzen. «Hier wird nicht nur Kunst gemacht und Kunst gezeigt», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. «Wir wollen auch Fragen aufgreifen, die sonst in der Gesellschaft nicht gestellt werden.»
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) nannte die Wahl der weiblichen Doppelspitze einen «Meilenstein»: «Es freut mich, dass gerade durch diese markanten Positionen die Kultur in Deutschland weiblicher wird.» Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sprach von einem «wichtigen Signal» für die Kulturhauptstadt Berlin.
Auch die anderen Führungsämter der Akademie wurden am Samstag neu vergeben. Erstmals kamen der Filmemacher Rosa von Praunheim und die Autorin Kerstin Hensel in das oberste Leitungsgremium, den Senat. Der Schriftsteller Ingo Schulze stellte sich nicht erneut zur Wahl und schied aus.
Am Abend würdigten die Mitglieder bei einer Gedenkfeier den verstorbenen Schriftsteller Günter Grass, der von 1983 bis 1986 Präsident war. Die Akademie hat die Aufgabe, die Künste zu fördern und die Politik in kulturpolitischen Fragen zu beraten.
Interview: Nada Weigelt, dpa
Im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur sagt Jeanine Meerapfel, warum sie die Künstlergemeinschaft wichtig findet. Und was sie von der «Frauenpower» mit ihrer Stellvertreterin Kathrin Röggla erwartet.
Frage: Braucht es so etwas wie die Akademie heute noch?
Antwort: Hier wird nicht nur Kunst gemacht und Kunst gezeigt. Wir wollen auch Fragen aufgreifen, die sonst in der Gesellschaft nicht gestellt werden. Und ich glaube, dass wir als Künstler die Verpflichtung haben, die soziale Relevanz unserer Arbeit deutlich zu machen. Dafür braucht man eine Akademie.
Frage: Welche Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?
Antwort: Wie schon in meiner künstlerischen Arbeit ist es mir wichtig, immer wieder die Vergangenheit zu befragen. Wenn wir nicht schauen, woher kommen wir und was ist hier passiert, dann werden wir auch die Fragen nicht richtig stellen, die wir brauchen, um weiterzukommen. Und dann geht es natürlich immer auch um die Anderen, um die, die nicht die Chance haben, sich auszudrücken, die keine Stimme haben. Dafür sind wir auch zuständig.
Frage: Hört denn die Politik auf das, was Sie sagen?
Antwort: Wenn sie's nicht tut, müssen wir lauter werden. Wenn sie's nicht tut, müssen wir weiterfragen.
Frage: Wollen Sie die Arbeit wie Ihr Vorgänger als Vollzeitjob machen?
Antwort: Das werde ich sicherlich nicht tun. Ich habe ja noch eine kleine Filmproduktion hier in Berlin, ich mache Filme, ich mache Performances, und das will ich auch weiter machen. Selbstverständlich werde ich gern die Verantwortung übernehmen für all das, wofür ich sie nehmen muss. Aber ich werde mir nicht fremde Stiefel anziehen.
Frage: Wird sich etwas verändern dadurch, dass Sie zwei Frauen sind?
Antwort: Das ist schwierig zu beantworten. Auf jeden Fall haben wir vielleicht eine andere Art, miteinander umzugehen. Das wissen wir noch nicht, das muss sich herausstellen. Aber es ist schön, dass wir beide Frauen sind und dass wir befreundet sind. Das ist eine gute Voraussetzung, finde ich.
ZUR PERSON: Jeanine Meerapfel, 1943 als Kind jüdischer Auswanderer in Buenos Aires geboren, ist eine vielfach ausgezeichnete Regisseurin, Autorin und Filmproduzentin. Fast 20 Jahre war sie Filmprofessorin an der Kunsthochschule für Medien Köln. Sie lebt in Berlin und ist seit 1998 Mitglied der Akademie der Künste.
Die Berliner Akademie der Künste
Die Berliner Akademie der Künste ist eine mehr als 300 Jahre alte Institution. Sie geht zurück auf die 1696 vom späteren Preußen-König Friedrich I. ins Leben gerufene Academie der Mahler-, Bildhauer- und Architectur-Kunst.
Derzeit hat die Künstlergemeinschaft 404 Mitglieder, darunter Ai Weiwei, Bob Dylan und Bruce Nauman, Dominik Graf, Tom Tykwer und Wim Wenders. Die Mitglieder werden nach Vorschlägen aus den Fachbereichen auf Lebenszeit gewählt. Das Durchschnittsalter ist damit relativ hoch. Nur 22 Prozent der Mitglieder sind Frauen.
Das entscheidende Gremium ist der 14-köpfige Senat. Ihm gehören Präsident/in und Vizepräsident/in sowie die Direktorinnen und Direktoren der sechs Sektionen an (Bildende Kunst, Baukunst, Musik, Literatur, Darstellende Kunst, Film- und Medienkunst).
Die Akademie hat laut Gesetz die Aufgabe, «die Künste zu fördern und die Sache der Kunst in der Gesellschaft zu vertreten». Sie «berät und unterstützt» die Bundesrepublik in Angelegenheiten der Kunst und Kultur. Der Bund finanziert sie jährlich mit 18 Millionen Euro.
Mehr als die Hälfte der rund 160 Beschäftigten arbeiten im Archiv. Es umfasst neben einer Spezialbibliothek mit 550 000 Bänden und einer Kunstsammlung mit 70 000 Objekten rund 1200 Künstlernachlässe, unter anderem von Bertolt Brecht, Günter Grass und Christa Wolf.
Hauptsitz ist seit 2005 der vom Münchner Olympia-Architekten Günter Behnisch erbaute Glaspalast am Pariser Platz zwischen Hotel Adlon und Brandenburger Tor. Daneben gibt es das frühere Gebäude der Akademie West im Hansaviertel am Tiergarten.
Nach dem Fall der Mauer wurden die Akademien West und Ost 1993 vereinigt. Frühere Präsidenten waren etwa Heinrich Mann (Ost), Günter Grass (West) und Walter Jens (West und vereinigt).