Martha Argerich hat sich oft dem Musikbetrieb widersetzt – und dennoch herrscht sie als unumstrittene Klavierlöwin. Zum Geburtstag schenkt sie sich ein Konzert mit einem Freund aus Kinderzeit.
Für ihre Auftritte wird sie angehimmelt. Gefürchtet wird sie für ihre Absagen: Martha Argerich hat sich ich oft dem Konzertbetrieb widersetzt – und ist zum Star am Klavier geworden. Veranstalter zittern immer wieder, wenn sie die Argentinierin ins Programm nehmen. Oft, als es wichtig wurde, verweigerte Argerich den Gehorsam. Das war schon so, als sie noch ein Kind war.
Da sollte sie einmal in ihrer Heimatstadt Buenos Aires für Friedrich Gulda spielen. Stundenlang hatte Mutter Juanita gewartet, bis sich Gulda bereit erklärte, der Zwölfjährigen zuzuhören. Da rebellierte Martha, erst später traf sie Gulda. Der nahm sie als Schülerin unter seine Fittiche. Es war der Beginn einer Weltkarriere.
Wenn Martha Argerich am Sonntag (5.6.) ihren 75. Geburtstag mit einem Konzert in der Berliner Philharmonie feiert, und Daniel Barenboim sie am Flügel und danach mit dem Orchester begleitet, wird sie wohl nicht fehlen. „Ich bin alt, aber noch immer unreif“, sagte sie einmal augenzwinkernd der Deutschen Presse-Agentur.
Zu hören sind dann zwei Musiker, die sich seit ihrer Kindheit kennen. Beide trafen sich erstmals unter einem Flügel, im Haus eines Geigers und Geschäftsmanns in Buenos Aires, wo jeden Freitagabend Kammermusik gespielt wurde. „Ich war damals sieben, sie acht Jahre alt und wir haben, wie es Kinder tun, unter dem Klavier gespielt“, erinnert sich Barenboim.
Es war ein langsames Erwachen aus dem Leben eines Wunderkinds, das rasant verlief. Schon mit drei Jahren saß sie am Flügel, mit sieben konnte sie an einem Nachmittag Mozarts Klavierkonzert Nr. 20, Beethovens Nr. 1 und eine Bach-Suite spielen. 1957, da war sie 16, gewann sie den Busoni-Wettbewerb und den internationalen Wettbewerb in Genf. Wo immer sie spielte – das Publikum war vom dunkelhaarigen „Wunder Argerich“ hingerissen.
Gulda lockte sie nach Wien. Mit Eltern und Geschwistern zog Martha nach Europa. „Für ihn hätte ich alles getan!“, bekannte sie in einer an persönlichen Details reichen Biografie des Franzosen Olivier Bellamy („Martha Argerich – Die Löwin am Klavier“).
Martha und das Piano – das war immer auch eine Zwitterbeziehung zwischen Verzweiflung und Liebe. Gulda flehte sie an, sich auf ihre Fähigkeiten zu verlassen und ihr Potenzial nicht zu verschleudern. Doch immer wieder verkroch sich Argerich auch. Einen Termin mit dem mächtigen EMI-Plattenboss Walter Legge ließ sie platzen, einen Vertrag mit der Deutschen Grammophon lehnte sie erst ab. Dann reiste sie nach New York, um Vladimir Horowitz vorzuspielen.
Ihr Idol wollte sie nicht empfangen, später wird er sie als die Beste loben. Argerich blieb in Amerika, lernte dort den Komponisten Robert Chen kennen, mit dem sie die erste ihrer drei Töchter bekam. Ein Jahr später kehrte sie nach Europa zurück und gewann mit 24 Jahren 1965 den Warschauer Chopin-Wettbewerb. Dort löste sie später als Jurorin einen Skandal aus. Weil der von ihr bewunderte Ivo Pogorelich aus dem Wettbewerb ausschied, reiste sie aus Protest ab.
Und dann immer wieder auch die Absagen, die Unstetigkeit in Marthas Leben – „ein Zickzackkurs zwischen sogenannter „Krise“ und phantastischem Gelingen“, wie der Kritiker Joachim Kaiser schrieb.
Ihre Aufnahmen, vor allem aber ihre Auftritte, etwa mit Liszts Es-Dur-Konzert, sind legendär. „Es geht nicht nur um richtige Töne, es geht ums Leben“, schrieb Kaiser.
Der Schweizer Dirigent Charles Dutoit versuchte, Martha zu erden. Doch die Ehe, aus der die zweite Tochter hervorging, zerbrach. Martha kehrte zum Pianisten und Dirigenten Stephen Kovacevich zurück, die dritte Tochter wurde später geboren. Schicksalsschläge blieben nicht aus. In wenigen Jahren starben die Eltern, der Bruder und die beste Freundin. 1992 wurde bei ihr Hautkrebs diagnostiziert. Martha kämpft. Noch während der Rekonvaleszenz kehrt sie mit Gidon Kremer und ihrem langjährigen Cello-Begleiter Mischa Maisky auf die Bühne zurück. Und dann hatte sie ihren triumphalen Auftritt in der Carnegie Hall im März 2000. An dem Abend, schrieb die „New York Times“, habe Martha Argerich „weder Grenzen noch Ebenbürtige gekannt“.
Aus der Utopie eines selbstbestimmten Lebens, frei von den „faulen Tricks“ von Agenten und Plattenfirmen, wie sie sagt, entstehen ihre Festivals im japanischen Beppu und in Lugano in der Schweiz. Im Spiel mit Freunden fühlt sich Argerich aufgehoben.
So wird sie mit 70 Jahren wieder zu ihrem Freund Daniel Barenboim finden, der sie behutsam ermutigt, in der gemeinsamen Heimatstadt Buenos Aires aufzutreten. Dem dortigen Musikbetrieb hatte sich Argerich im Streit abgewendet.
Seitdem treten Barenboim und Argerich immer wieder gemeinsam auf, nicht als Konkurrenten, wie Barenboim versichert. Beide hatten den selben Lehrer in Argentinien. Wenn sie dann zusammen auf dem Klavier spielen, könnte man meinen, hier sitze eine Pianistin mit vier Händen.