Sie war eine der ganz großen Hollywood-Ikonen des 20. Jahrhunderts: Doris Day. Geliebt und belächelt gleichermaßen, von Publikum und Kritik. Drei Songs erklingen sofort bei ihrem Namen: „Sentimental Journey“, „Que Sera, Sera“ und „Pillow Talk“. Vom Anfang ihrer Plattenkarriere Mitte der vierziger Jahre bis in die späten sechziger Jahre war sie „Columbia Records Artist“, wie die Streisand und Bob Dylan. Und wie Frank Sinatra begann sie bei einer Big Band, bei Les Brown & His Orchestra. Und weil ihre Filme bis heute in „heavy rotation“ auf allen Fernsehsendern laufen, haben sie viele Generationen immer wieder für sich entdecken können, wie Marlene, die Monroe oder Romy.
Geboren 1924 als Doris Mary Kappelhoff in Cincinnati, Ohio hatte sie ursprünglich Tänzerin werden wollen. Nach einem Unfall landete sie dann aber beim Singen. Nachdem ein Bandleader sie mit dem alten Lied „Day By Day“ gehört hatte, änderte er ihren Namen in Doris Day um. Gott sei Dank habe er sie nicht „Götterdämmerung“ singen gehört, hat sie später dazu angemerkt. Im November 1944 entstand die Aufnahme der Les-Brown-Ballade, die sie plötzlich über Nacht zum Hitparadenstar gemacht hat: „Sentimental Journey“. Es war der sehnsüchtige Song, der kurz nach der Kapitulation des III. Reichs neun Wochen lang die amerikanische Hitparade anführte. Und der auch bald im befreiten Deutschland mitgesungen wurde. Ein Song, der die Sieger und die Besiegten sehr schnell miteinander verband, wie der Glenn-Miller-Sound, der nun überall erklang. In dieser Zeit wurde sie dann auch vom Songschreiberteam Jule Styne und Sammy Cahn für Hollywood entdeckt.
Schon in ihrem Debütmusical „Romance On The High Seas“ sang sie 1948 ganz intim einen der großen Evergreens des Teams: „It’s Magic“. Mit einem ganzen Paket von Tin-Pan-Alley-Musicals wie „Lullaby Of Broadway“, „On Moonlight Bay“ oder „April In Paris“ wurde Doris Day zum Star der Warner Brothers. Dazwischen glänzte sie schauspielerisch an der Seite von Kirk Douglas in dem Bix-Beiderbecke-Biopic „Young Man With A Horn“ und verkörperte einen fabelhaften „Tomboy“ in „Calamity Jane“. Als schießwütige Jane sang sie dann auch einen weiteren Evergreen: „Secret Love“. Eine perfekte innige Gesangsperformance, die sie exakt in einem Take geliefert hat. Nach zehn Minuten hätte sie das Studio am frühen Morgen wieder verlassen. Das erinnert natürlich auch wieder an ihren Gesangs-„Bruder“ Frank Sinatra, der ihr in einem gemeinsamen Film, „Young At Heart“, dann gleich einen seiner Klassiker gewidmet hat: „One For My Baby“. Ob er im Filmstudio dafür auch nur einen Take gebraucht hat, wissen wir leider nicht. Es hätte jedenfalls gepasst. Ach ja, und dann war da noch ihre großartige Verkörperung der legendären „Torch“-Sängerin Ruth Etting in dem heftigen Showbiz-Melodrama „Love Me Or Leave Me“ an der Seite des im Film sehr „tyrannischen“ James Cagney. Wenn man will, kann man den Film heute als Harvey-Weinstein-Blueprint lesen.
Übertroffen wurden all diese Erfolge 1956 dann von einem Hitchcock-Film, der danach jahrzehntelang von der Bildfläche verschwunden ist, weil der Meister ihn wie „Vertigo“ gesperrt hatte: „Der Mann, der zuviel wusste“ mit James Stewart. Erst in den frühen 80er-Jahren kam er erneut ins Kino. Und so konnte man endlich auf der großen Leinwand die Szene sehen, in der sie ihr beliebtestes Lied sang: „Que Sera, Sera“ oder „Whatever Will Be, Will Be“. Als Filmkritiker war der junge Jean-Luc Godard von dem Film einst so berauscht, dass er schrieb: „Dieser Film eines Autors, der als misogyn gilt, bezieht seine Kraft – wenn sie mit Metaphysik nichts im Sinn haben – allein aus der weiblichen Intuition. Er ist, wie die vorhergehenden, unerbittlich, aber nur, um desto deutlicher seine Momente der Gnade und der Freiheit herauszustellen. Wie der kleine, eingeschlossene Junge, der die Stimme seiner Mutter hört, die in den Salons der Botschaft singt, widerfährt es uns, dass wir im Werk dieses bissigen und brillanten Mannes von der Gnade berührt werden, die uns vielleicht nur von Ferne und momentweise leuchtet.“ Ein Liedchen von Livingston & Evans hatten Doris Day und Alfred Hitchcock in dieser herzzerreißenden Szene „transzendiert“.
Danach mutierte Doris Day an der Seite von Rock Hudson oder Cary Grant immer mehr zur angeblichen „Frau Saubermann“ der Hollywood-Komödie. Und machte sich damit um 1960 zum absoluten „Box Office Star“. Wobei Filme wie „Bettgeflüster“ oder „Ein Hauch von Nerz“ in ihren heimeligen Geschlechterkriegskarikaturen schon wieder so „over the top“ waren, dass sie fast schon das ganze Genre subversiv „transzendierten“, wie Fritz Göttler in seinem Nachruf anmerkte.
1968 zog sich Doris Day aus den Platten- und Kinostudios zurück. Ihre Plattenkarriere schien abgeschlossen. Bis sie plötzlich 2011 wieder mit einem neuen Album in der britischen Hitparade aufgetaucht ist. „My Heart“ hat sie ihrem verstorbenen Sohn Terry Melcher gewidmet, der sich in der Flower-Power-Ära als „Byrds“-Produzent auch mit den Beach Boys rumgetrieben hatte. Und der es abgelehnt hatte, ein Album von Charles Manson zu produzieren, dessen „Family“ kurz danach Polanskis Ehefrau Sharon Tate in Melchers Anwesen bestialisch ermordet hat. Es gab Spekulationen, dass die Mordaktion ihm gegolten hätte, wegen seiner Ablehnung eines Plattenvertrags mit Manson. „Once Upon A Time in Hollywood“ heißt Tarantinos aktuelle Version der Manson-Story, die wie gesagt, bis zu Doris Day reicht, die auf ihrem letzten Album auch einen Beach-Boys-Klassiker singt: den Americana-Song „Disney Girls“. Einer der ganz großen amerikanischen Songs der Seventies, über Cape Cod und die idyllischen „Garage“-Fantasien der „Small Town Girls“. „Over the top“, wie viele ihrer Filme und Songs in ihrer „compleat career“, also „plissierten“ Karriere, die auch viel mit der „dunklen Seite“ Amerikas zu tun hatte. Eine amerikanische Showbizikone. Gestorben am 13. Mai im Alter von 97 Jahren.