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Experimentierfreudiger Dirigent - Simon Rattle verlässt Berliner Philharmoniker 2018

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Berlin - Die Berliner Philharmoniker verlieren im Sommer 2018 ihren Chefdirigenten Sir Simon Rattle. Der 57-Jährige begründete die Entscheidung mit seinem Alter. Es sei dann an der Zeit, "dass jemand anderes die große und großartige Herausforderung übernehmen sollte, die Berliner Philharmoniker heißt", erklärte der Dirigent einer Orchestermitteilung vom Donnerstag zufolge. Rattle ist seit 2002 Chefdirigent des Orchesters. Sein Vertrag endet 2018. Er gab seine Entscheidung im Rahmen einer Orchestervollversammlung bekannt.

 

Rattle sagte, die Entscheidung sei ihm nicht leicht gefallen. Er hoffe sehr, dass damit genug Zeit bleibe, um in Ruhe die weitere Planung zu beginnen. 2018 werde er 16 Jahre mit den Berliner Philharmonikern zusammengearbeitet haben. Davor sei er bereits 18 Jahre Chefdirigent in Birmingham gewesen. Außerdem werde er dann kurz vor seinem 64. Geburtstag stehen. "Als ein 'Liverpudlian' kann man diesen besonderen Geburtstag nicht ohne die Frage der Beatles: 'Will you still need me, when I'm 64?' begehen", sagte Rattle, der am 19. Januar 1955 in Liverpool geboren wurde. Er liebe dieses Orchester und habe auch deswegen den Musikern seinen Entschluss so früh wie möglich mitgeteilt.

Experimentierfreudiger Dirigent

Mit seinem Amtsantritt 2002 läutete Rattle nach überwiegender Meinung von Kritikern eine neue Ära ein. In seiner ersten Saison absolvierte er mit den Berliner Philharmonikern eine ausgedehnte Europatournee mit Werken von Bruckner und Schönberg, Mahler und Haydn auf dem Programm. Ende 2003 weihte Rattle auf einer umjubelten Amerikatournee die von Frank Gehry neu erbaute Walt-Disney-Konzerthalle in Los Angeles ein. Seine Konzertprogramme in den USA machten Ernst mit der schon vorher versprochenen Ausrichtung auf die Moderne, mit Werken von Dutilleux und Debussy oder Klassik in kleiner Besetzung.

Rattle gilt als experimentierfreudig. Cross-Over-Projekten steht er offen gegenüber, er arbeitete unter anderem mit dem Jazzmusiker Wynton Marsalis zusammen. Darüber hinaus etablierte er Live-Konzertübertragungen im Internet. Er führte Projekte mit Straßenkindern oder Senioren durch, die er nach der Musik von Strawinskys "Le sacre du printemps" tanzen und spielen ließ. Über dieses Projekt wurde auch ein Dokumentarfilm gedreht mit dem Titel "Rhythm Is It!"

Respekt vor der Entscheidung

Die Stadt Berlin und Orchestervertreter bedauerten Rattles Entscheidung. Kulturstaatssekretär André Schmitz sagte, er hätte sich Rattle gut über 2018 hinaus als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker vorstellen können. "Es bleiben uns aber noch fünf Jahre, um uns an seiner und des Orchesters großen Kunst zu erfreuen", fügte er hinzu.

Der Intendant der Philharmoniker, Martin Hoffmann, sagte, er habe großen Respekt vor der Entscheidung Rattles. "Mit seiner herausragenden Musikalität und Kreativität begeistert er täglich neue Zuhörer für das Orchester und prägt die nationale und internationale Wahrnehmung der Berliner Philharmoniker als vitaler Kulturbotschafter Berlins."

Ähnlich reagierte der Orchestervorstand. Die Zusammenarbeit mit Rattle sei "durch große gegenseitige Sympathie und respektvollen künstlerischen und menschlichen Umgang geprägt. Dies ist für uns eine wunderbare Grundlage für die gemeinsame Arbeit mit Sir Simon als künstlerischem Leiter in den kommenden fünf Jahren", erklärten Peter Riegelbauer und Stefan Dohr.

Die Berliner Philharmoniker zählen zu den weltweit bekanntesten Orchestern. Gegründet wurde das Orchester 1882 von etwa 50 Musikern. Chef-Dirigenten waren Hans von Bülow, Arthur Nikisch, Sergiu Celibidache, Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan und Claudio Abbado. Rattle dirigierte am 7. September 2002 sein Antrittskonzert als neuer Chefdirigent.

 

Herausragendes Orchester: Die Berliner Philharmoniker

Das Orchester ist seit 130 Jahren im Musikleben präsent. 1882 wird es von etwa 50 Musikern gegründet. 1887 wird mit Hans von Bülow der beste, modernste Dirigent dieser Zeit für das Berliner Philharmonische Orchester verpflichtet. Während seiner fünfjährigen Amtszeit kommen als Gastdirigenten unter anderen Brahms, Grieg, Mahler und Strauss nach Berlin. Peter Tschaikowsky schwärmt nach einem Konzert von der "Elastizität" des Orchesters.

Auf Bülow folgt 1895 Arthur Nikisch, ein Dirigent mit ruhig-sparsamer Gestik. Er erweitert in den 27 Jahren seiner Tätigkeit das Repertoire, setzt sich für Bruckner ein, pflegt seine Vorliebe für Tschaikowsky, Berlioz, Liszt oder Werke von Strauss und Mahler. Nachfolger wird Wilhelm Furtwängler, der Akzente setzt durch sein Temperament, seine Leidenschaftlichkeit. Furtwänglers Repertoire ist die Klassik und Romantik. Er ist der Beethoven-, Brahms- und Bruckner-Interpret.

Durch den Rassenwahn der Nationalsozialisten verliert das Orchester "wertvolle Musiker" und gerät "im weltweiten Austausch von Solisten und Dirigenten in die Isolation", wie es auf der Homepage des Orchesters heißt. Gleichzeitig sei das deutsche Vorzeigeensemble für die offizielle Kulturpolitik instrumentalisiert worden. Dennoch sei es Furtwängler und dem Orchester gelungen, "die künstlerische Substanz über den Krieg hinweg zu retten".

Schon im Mai 1945 tritt das Orchester wieder auf. Bald wird der damals noch unbekannte Sergiu Celibidache als ständiger Dirigent verpflichtet. Bekannte Solisten - so der Geiger Yehudi Menuhin - und Dirigenten kommen wieder nach Berlin, das Orchester gastiert im Ausland.

Furtwängler kann die Philharmoniker erst nach seiner Entnazifizierung 1947 wieder dirigieren. 1952 wird er noch einmal Chefdirigent. Nach seinem Tode wählen die Philharmoniker Herbert von Karajan 1955 zum ständigen Dirigenten und Künstlerischen Leiter. Karajan erarbeitet in den folgenden drei Jahrzehnten mit dem Orchester eine eigene Perfektion und Spielkultur. Konzerte, Tourneen und zahllose Schallplattenaufnahmen bezeugen die weltweit gerühmte Partnerschaft. Seit Oktober 1963 residiert das Orchester in der von Hans Scharoun entworfenen Philharmonie. Im April 1989 tritt Karajan zurück, er stirbt im selben Jahr in Salzburg.

Das Orchester wählt Claudio Abbado zum fünften Chefdirigenten. Bei der Gestaltung seiner Programme nimmt die Musik des 20. Jahrhunderts neben Klassik und Romantik einen festen Platz ein. Alljährlich gibt es Zyklen mit einem Thema, alljährlich wird eine Oper in der Philharmonie konzertant aufgeführt. 1998 gibt Abbado bekannt, dass er seinen Vertrag über 2001/2002 nicht verlängern wird.

Am 23. Juni 1999 entscheiden sich die Musiker für Sir Simon Rattle als neuen Chefdirigenten und Künstlerischen Leiter ab 2002/2003. In den vergangenen zehn Jahren prägte der experimentierfreudige und extrovertierte Brite das Orchester. Am Montag wurde bekannt, dass der 57-jährige Rattle mit Ablauf seines Vertrags im Sommer 2018 seine Amtszeit als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker beendet.
 


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