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Findlinge und bizarre Rituale – Eclat eröffnet mit Verleihung des Stuttgarter Kompositionspreises 2010

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Tatsächlich hat sich die Jury des 55. Kompositionspreises der Landeshauptstadt Stuttgart diesmal einstimmig entschieden – was nicht immer der Fall ist. Der Preis, um den sich im letzten Jahr 15 Komponistinnen und 70 Komponisten mit insgesamt 165 Werken beworben hatten und der mit 12.000 Euro dotiert ist, ging jetzt zu gleichen Teilen an Ansgar Beste, geboren 1981 in Malmö/Schweden, und an Leopold Hurt, geboren 1979 in Regensburg.

Zwar sind die beiden jungen Tonsetzer in hiesigen Gefilden unbeschriebene Blätter, doch das Entscheidungskomitee um SWR-Redakteur Hans-Peter Jahn hat diesmal zwei wirklich originelle Werke prämiert, wovon man sich im Preisträgerkonzert, das jetzt im Stuttgarter Kunstmuseum das diesjährige Neue-Musik-Festival Eclat eröffnete, eindrücklich überzeugen konnte. Die Preise überreichte Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann.

Ansgar Bestes „Rituel Bizarre“ für präpariertes Streichorchester von 2008/09, hochkonzentriert aufgeführt vom jungen Ensemble legno unter Leitung von Matthias Hermann, gewinnt seinen Charme aus erregt wucherndem Geräuschmaterial, das sich kunstvoll verästelt zusammenfügt.

Stricknadeln, die zwischen die Violinsaiten geklemmt werden, Papierröllchen oder Haarkämme sorgen für die Verfremdung des gewohnten Streicherklangs, der sich vor allem perkussiv artikuliert. Gleichmäßige Pulsierung oder schnurrender Beat mögen für die rituelle Seite des Titels stehen. Im wellenartig sich steigernden Scheppern, Murmeln, Fiepen oder Jaulen tritt nur gelegentlich Vertrautes an die Oberfläche: etwa in Gestalt kleiner Melodiephrasen wie der lustig swingenden Stimme eines Kuckucks.

Leopold Hurt dagegen offenbarte sich in seinem Kammermusikwerk „Erratischer Block“ von 2006 als musikalischer Archäologe. Beruft sich das Werk im Titel ganz allgemein auf die Alpen-Natur – ein erratischer Block meint einen durch Gletscher transportierten Gesteinsbrocken –, so offenbart sich dieser Bezug musikalisch in Fragmenten alpiner Folklore, die in Gestalt einfacher Dreiklangmelodik und solistischen und chorischen Jodelns elektronisch zugespielt und verfremdet werden. Das Ensemble aus Violine, Saxophon, Schlagwerk, Klavier und mikrotonaler Altzither, die Leopold Hurt selbst spielte, reflektiert und analysiert diese aus weiter Ferne herangeholten Stimmen und bricht sie in der Klangwelt der Avantgarde. Ein faszinierendes Werk, das gleichsam mystische wie traumhafte Atmosphäre herzustellen weiß – vor allem wenn es von so wunderbaren Musikern wie dem Ensemble Intégrales aufgeführt wird.

Außer Konkurrenz stimmten dann am Ende die Neuen Vocalsolisten mit Josep Sanz' King-Lear-Paraphrasen für fünf Stimmen auf die bevorstehenden Festivaltage ein. Grenzgänge zwischen Vokal- und Instrumentalmusik verspricht das Festival, das bis zum 13. Februar läuft und abermals gemeinsam von SWR und Musik der Jahrhunderte im Stuttgarter Theaterhaus ausgerichtet wird.

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