Salzburg - Der scheidende Intendant der Salzburger Festspiele, Jürgen Flimm, hat vor einer weiteren Kürzung der öffentlichen Mittel für das weltbekannte Musik- und Theaterfestival gewarnt. «Ich habe den Eindruck, dass sich die öffentliche Hand hier in Österreich ganz aus der Finanzierung der Festspiele zurückziehen will», sagte Flimm in einem ddp-Interview.
«Wir haben bereits heute einen wahnsinnig hohen Eigenanteil«, sagte er. »Wenn der noch weiter steigen soll, wären ambitionierte Projekte und Experimente wohl nicht mehr möglich." Dies bliebe sicher nicht ohne Auswirkungen auf den künstlerischen Ertrag des Festivals. 2010 liegt das Budget der Festspiele bei 49 Millionen Euro. 73 Prozent stammen aus Eigeneinnahmen, vor allem aus Kartenverkäufen und Sponsoring. Den Rest steuern die österreichische Bundesregierung sowie Land und Stadt Salzburg bei.
Schon jetzt sei es schwer, Projekte etwa aus dem Bereich der zeitgenössischen Musik zu realisieren, klagte Flimm. «Immer heißt es, das kann man nicht machen, das trägt sich ja nicht.» Die Politik verlange mittlerweile, dass jedes Stück für sich gesehen im Plus sein müsse. Querfinanzierungen, bei denen populäre Stücke weniger populäre mittragen, würden nicht mehr toleriert. «Das ist sehr unüblich. Wenn sich das einschleift, geht es irgendwann an die künstlerische Substanz.» Flimm wies auch darauf hin, dass der öffentliche Anteil der Festspiele seit 1992/1993 nicht mehr erhöht, sondern inflationsbereinigt sogar gesunken sei.
Flimm wechselt mit dem Ende der laufenden Festspielsaison als neuer Intendant der Berliner Staatsoper Unter den Linden in die Hauptstadt. Im kommenden Jahr wird Konzertchef Markus Hinterhäuser interimistisch die Leitung der Festspiele innehaben, bevor im Herbst 2011 der langjährige Züricher Opernchef Alexander Pereira an die Salzach wechselt.
Das Interview im Wortlaut:
ddp: In Ihrer Festrede zur Eröffnung der diesjährigen Salzburger Festspiele sagten Sie, Sie hätten Salzburg viel zu verdanken. Was heißt das?
Flimm: Ich bin ja, was viele nicht wissen, schon seit 1987 regelmäßig in Salzburg. Zuerst als Regisseur - ich habe mittlerweile siebenmal hier inszeniert - dann als Schauspieldirektor, schließlich als Intendant. Dabei habe ich viele tolle Begegnungen mit unheimlich interessanten Menschen gehabt. Dies vor allem ist es, was ich Salzburg zu verdanken habe.
ddp: Und was hat Salzburg Ihnen zu verdanken? Mit was möchten Sie hier in Erinnerung bleiben?
Flimm: Dass ich die Festspiele noch ein Stück mehr geöffnet habe zur modernen Musik. Vergangenes Jahr haben wir Luigi Nonos «Al gran sole carico d'amore» aufgeführt. Ein Riesenerfolg. Und dieses Jahr gab es die Uraufführung von Wolfgang Rihms jüngster Oper «Dionysos», ein wirkliches Ereignis. Nicht zu vergessen die Konzertprogramme von (Konzertchef) Markus Hinterhäuser, in denen die zeitgenössische Musik eine ganz selbstverständliche Rolle spielt. Das Schönste dabei war, dass wir den Beweis angetreten haben, dass das Publikum hier doch sehr neugierig ist, nicht so konservativ und doof, wie oft gesagt wird. Auf die beiden Aufführungen hat ja zunächst hier keiner einen Pfifferling gegeben. Und das wurden dann große Erfolge.
ddp: Die Öffnung der Festspiele hatte sich auch schon Ihr Vorvorgänger Gerard Mortier auf die Fahne geschrieben.
Flimm: Ich wäre sicher nicht so vermessen, mich mit dem großen Mortier zu vergleichen.
ddp: Er hat Ihnen gerade in einem Interview vorgeworfen, die Salzburger Festspiele hätten unter Ihnen an «Relevanz» verloren.
Flimm: Das macht er doch jedes Jahr, da warten wir schon drauf. Was heißt denn Relevanz? Ist es nicht relevant, wenn man eine Uraufführung von Rihm auf die Bühne bringt und alle Welt begeistert? Ich glaube, der kennt unser Programm gar nicht.
ddp: Salzburg stand immer im Ruf eines versnobten Luxusfestivals. Hat sich das geändert?
Flimm: Wir haben ein sehr buntes Publikum mit vielen Facetten. Selbst bei den Premieren hat sich was geändert, weil die Firmen, die uns sponsern, nicht mehr so viele Karten kaufen oder kaufen dürfen. Der große Jubel nach dem Dionysos zeigt, dass da viele saßen, die das wollten. Und das hat mit Neugier zu tun. Versnobt? Bei 250 000 Besuchern sind nicht das nur die Reichen und Schönen, so viele gibt es ja gar nicht, sondern sehr viele hochinteressierte Leute.
ddp: Also alles paletti? Kein Groll gegen Salzburg? Schließlich verlassen Sie die Festspiele ein Jahr früher als geplant.
Flimm: Natürlich gab es auch Probleme, die vor allem mit den ständigen Einmischungen der Politik auch in künstlerische Belange zu tun haben. Den Nono habe ich nur sehr schwer durchgekriegt, der war den Leuten im Kuratorium, wo die Politiker sitzen, zu teuer. Da habe ich wirklich gekämpft.
ddp: Sie hatten damals vor einer Kommerzialisierung der Festspiele gewarnt
Flimm: Das war der Nono-Schock. Sehen Sie, die Budgetierung läuft hier mittlerweile so, dass jedes Stück für sich ein Plus bringen muss. Querfinanzierungen ambitionierter Projekte sind nicht gewünscht. Wenn sich das einschleift, geht's irgendwann an die künstlerische Substanz. Ich glaube, strategisch steht dahinter, dass sich die öffentliche Hand längerfristig aus der Finanzierung der Festspiele ganz zurückziehen will. Der ohnehin schon wahnsinnig hohe Eigenanteil soll noch mal gesteigert werden. Das kann nicht gut gehen.
ddp: Festspiele, auch hochklassige, gibt es mittlerweile zuhauf. Was ist denn noch das Besondere an Salzburg?
Flimm: Das ist die Vielfalt, das tolle Zusammenspiel von Schauspiel, Oper und Konzert. Dass das alles zusammen erfahrbar ist und die Zuschauer eine große Freiheit haben, sich ihr ganz eigenes Programm zusammenzustellen. Das ist ziemlich einzigartig, das gibt’s nirgendwo sonst. Weder in Aix oder in Avignon, noch in Luzern oder Bayreuth.
ddp: Was werden Sie an Salzburg vermissen?
Flimm: Diese Sommer hier, mit all den einzigartigen Menschen auf engstem Raum.
ddp: Was weniger?
Flimm: Einige Politiker.