Es dürfte kaum einen Gitarristen geben, der in den zurückliegenden fünfzig Jahren ein vergleichbar Impuls gebendes und inspirierendes Wirken ausgeübt hat wie Reinbert Evers. Weit mehr als 150 Werke wurden für ihn geschrieben und von ihm zur Uraufführung gebracht, etliche Generationen von Studierenden hat er betreut und dazu ermutigt, ihre persönlichen Wege zu suchen und zu gehen, riesengroß war das Repertoire, mit dem er weltweit konzertierte. Am 28. Oktober 2022 ist Reinbert Evers im Alter von 73 Jahren in Münster gestorben.
Als Reinbert Evers mit neun Jahren bei einem Verwandtenbesuch eine Gitarre entdeckte, sprang der Funke unmittelbar auf ihn über. Weil das Instrument noch weitgehend ein Nischendasein fristete und professioneller Unterricht kaum angeboten wurde, lernte Evers es autodidaktisch. Einige Jahre später kam für eine kurze Zeit und bei einem „richtigen“ Lehrer der Kontrabass hinzu, der aber eine Episode blieb. Evers’ Eltern wünschten sich für ihren in Dortmund geborenen Jungen eine Karriere als Lehrer, doch er entschied sich für das Studium der Musikwissenschaft, der Philosophie und Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum – was aber bereits nach einigen Semestern aufgegeben wurde zugunsten dessen, was er eigentlich wollte: Gitarre studieren. Dies geschah in Düsseldorf bei Maritta Kersting an der Robert-Schumann-Hochschule. Kaum hatte er hier sein Konzertdiplom „mit Auszeichnung“ in der Tasche, erreichte ihn der Ruf als Professor an die Musikhochschule Detmold, Abteilung Münster. Und so tauschte er mit gerade einmal 26 Jahren die Rolle – wenn auch nicht ganz. Denn parallel zu seiner Professur in Münster strebte er ein zweites Konzertdiplom an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Wien an. „Das war kurios“, erinnerte sich Evers immer mit einem Schmunzeln, „denn in Münster war ich Professor, in Wien Student von Karl Scheit!“
Große internationale Aufmerksamkeit zog Reinbert Evers auf sich, als er 1980 in Brüssel die Uraufführung von Hans Werner Henzes „Royal Winter Music II“ über Charaktere aus William Shakespeares Dramen spielte. Die zeitgenössische Musik sollte zu einem, wenn auch nicht dem einzigen Schwerpunkt seiner künstlerischen Arbeit werden, denn das musikalische Terrain, auf dem er sich zeitlebens bewegte, war riesengroß, epochenübergreifend und multikulturell ausgerichtet. Er kannte keine Scheuklappen – im Gegenteil: Neugier war sein Movens, auch bei der Ausgestaltung von Meisterklassen oder wenn er als Kurator Festivals betreute. Mit der Veranstaltungsreihe „Musik unserer Zeit“ gründete er ein Format an der Musikhochschule Münster, das über die Studierenden hinaus in die Stadt und die Region hinausstrahlte. Zahlreiche renommierte Komponist*innen holte Evers nach Münster: Persönlichkeiten „zum Anfassen“. Auch die Gründung der „Gesellschaft für Neue Musik Münster“ innerhalb der IGNM ist Evers’ Verdienst. Daraus erwuchs das nach wie vor regelmäßig stattfindende „KlangZeitFestival“.
Große Verantwortung für die Lehre an der Hochschule und die Interessen der Studierenden übernahm Evers in seiner Zeit als Dekan in den Jahren 1995 bis 2008. Hier war er federführend beteiligt an der Loslösung der münsterschen Ausbildungsstätte von der „Mutterhochschule“ Detmold und die Überführung der bisherigen „Abteilung“ hinein in die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, die 2004 erfolgte.
Nach seiner Emeritierung arbeitete Reinbert Evers als Seniorprofessor weiter. Viele Schüler*innen profitierten von seiner enormen Erfahrung, so auch noch in einem letzten Meisterkurs, den er im Spätsommer 2022 in Italien gab. Im November 2022 nun mussten sich bei einer Trauerfeier in Münster zahlreiche Weggefährt*innen von Reinbert Evers verabschieden.