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Hurra, wir leben noch!

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Abschied von der italienischen Sängerin und Schauspielerin Milva
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Anfang der sechziger Jahre tauchte in Italien eine neue Generation von Sängerinnen auf, die zwischen Schlagern und Chansons pendeln sollten: Mina, Ornella Vanoni, Dalida und Milva. Alle trieben sich in jener Zeit auch in der Filmszene rum und sangen die Filmschlager der Saison. Dalida hatte ihren größten Hit in Deutschland mit Gilbert Becauds „Am Tag, als der Regen kam“ und Mina hat mit der Schnulze „Heißer Sand“ die Herzen der Deutschen erobert. In einer ersten Reaktion auf Milvas Ableben haben manche in diesem Zusammenhang sogar die fast gleich klingenden Sängerinnen vertauscht. Und so wurde im Eifer des Gefechts Minas „Heißer Sand“ schon mal Milva untergejubelt. Dabei hatte die große Zeit von Milva in Deutschland erst in den siebziger Jahren begonnen, als sie zum Dauergast in den großen Fernsehshows jener Ära wurde.

Milva war anfangs die große „Gegenspielerin“ von Mina gewesen. Während Mina als die „Tigerin“ vermarktet wurde, galt Milva als die „Pantherin“. Später nannte man sie in Italien nur noch „La Rossa“, nicht nur wegen ihrer feuerroten Haare, sondern auch wegen ihrer politischen Gesinnung. Bereits 1962 hatte sie eine bewegende Version von „Bella ciao“ gesungen, der großen Hymne auf den Widerstand der italienischen Partisanen während des Zweiten Weltkriegs. Wie Mina wurde sie in jener Zeit musikalisch auch von Ennio Morricone betreut, der vor seiner Zeit als Filmkomponist Hausarrangeur von RCA gewesen war. Und in dieser Funktion Arrangements lieferte für Mario Lanza, Paul Anka oder Chet Baker. Oder Tagesschlager komponierte für Mina & Milva. 1965 wurde Milva dann von Regisseur Giorgio Strehler an das Piccolo Teatro in Mailand als Schauspielerin verpflichtet. Was auch musikalische Folgen haben sollte.

1971 erschien in Italien ein Album mit dem Titel „Milva canta Brecht“. Nach einigen Jahren Verzögerung wurde die Langspielplatte Mitte der siebziger Jahre von Metronome auch in Deutschland veröffentlicht. Die Toskana-Fraktion hatte die Platte natürlich schon vorher aus Italien mitgebracht, aber nun stand diese Sammlung von Brecht-Liedern plötzlich auch in vielen Wohngemeinschaften rum. Eine ganze Generation lernte plötzlich die Songs von Weill und Eisler in der italienischen Version kennen. Nicht die Versionen von Lotte Lenya, die Bob Dylan so geliebt hat oder von Gisela May erklangen da aus den Boxen, sondern die „exotischen“ Fassungen der Milva. So wurden für viele die Brecht-Texte zur „puren“ Musik. Eine besondere Art von „Verfremdungseffekt“ war das. Und dieser Effekt öffnete dann auch die Ohren für die musikalische Seite von Brecht. Manche schwärmen noch heute von Milvas „Seeräuberjenny“ oder ihrer Version von der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“.

Durch ihre Brecht-Platte war Milva auch in Deutschland zum „Star“ geworden. Auf ihrer nächsten Platte für den deutschen Markt sang sie dann auch wie damals Daliah Lavi Tonfilmschlager der dreißiger und vierziger Jahre, von Friedrich Hollaender, Robert Stolz, Franz Grothe, Ralph Benatzky oder Peter Kreuder. Was mit ihrem Akzent natürlich wieder exotisch klang. Im selben Jahr, 1978, erschien auch ihre Mikis-Theodorakis-Platte. Thomas Woitkewitsch hatte die Lieder des „Alexis Zorbas“-Komponisten ins Deutsche übertragen. Zum kleinen Hit wurde das Chanson „Zusammenleben“, das den Geist der siebziger Jahre atmet: „Du zeigst mir immer, dass es möglich ist, ganz Frau und trotzdem frei zu sein.“ Was natürlich später zur Steilvorlage für jeden der zahlreichen Milva-Imitatoren wurde. Woitkewitsch war es dann auch, der einen Filmsong von Ennio Morricone aus den Sixties ins Deutsche übersetzte: „Freiheit in meiner Sprache“. Was auch daran erinnerte, dass die schönste Milva-Platte 1972 unter der musikalischen Leitung des Maestro entstanden war: „Dedicato a Milva da Ennio Morricone“. Eine Platte im typischen Morricone-Sound, die entstanden ist zu einer Zeit, als Milva neben Silvana Mangano die Hauptrolle spielte in dem Drama „D’Amore si muore“, zu dem der Meister den melancholischen Score geliefert hatte. Neben Melodien aus heute vergessenen Filmen findet man auf dieser Langspielplatte auch ihre italienische Fassung des „Freiheit“-Lieds: „Canzone della liberta´“. Zu ihrem größten Hit in Deutschland wurde 1983 schließlich wieder ein Filmschlager: „Hurra, wir leben noch“ aus Peter Zadeks Simmel-Verfilmung „Die wilden Fünziger“, komponiert von Klaus Doldinger, Text: Thomas Woitkewitsch. Milva starb am 23. April in Mailand. Sie wurde 81 Jahre alt.

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