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«Ich will immer noch dazulernen» - Jazzlegende Rolf Kühn wird 85

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Berlin - Er stand mit Benny Goodman, Lester Young und John Coltrane auf der Bühne, spielte mit Friedrich Gulda, Albert Mangelsdorff und Chick Corea Platten ein: Der Klarinettist Rolf Kühn ist einer der wenigen deutschen Jazzmusiker von Weltrang. Drei Mal wurde er beim europäischen Jazz-Wettbewerb zum besten Klarinettisten gekürt, 2011 erhielt er den Echo für sein Lebenswerk. Heute wird der in Berlin lebende Musiker 85 - und ist alles andere als altersmüde.

 
 
«Ich tue so, als wären keine Jahrzehnte vergangen - und die Gesundheit spielt Gott sei dank mit», sagt Kühn in einem Gespräch der Nachrichtenagentur dpa. «Das ist ein Riesengeschenk. Und ich hoffe, dass es noch sehr lange so bleibt.»
 
In Jeans und Turnschuhen kommt er täglich zum Üben ins frühere RIAS-Gebäude im Stadtteil Schöneberg. Mit seinem 2008 gegründeten jungen Ensemble Tri-O ist er kreuz und quer durch Europa zu Konzerten unterwegs. Und mit seinem langjährigen musikalischen Partner, dem 14 Jahre jüngeren Bruder Joachim, arbeitet er bei zahlreichen Auftritten derzeit am ersten gemeinsamen Livealbum.
 
Das Besondere an seinem Spiel sind für Kritiker der unverwechselbar warme Ton und seine schier unerschöpfliche Improvisationslust. «In der sublimen Zähmung des Widerständigen entstehen die für Kühn typischen fließenden, tänzelnden Linien mit der Durchlässigkeit eines Aquarells», schreibt die Musikjournalistin Maxi Sickert, deren Kühn-Biografie «Clarinet Bird» (2009) zum 85. Geburtstag in einer erweiterten Ausgabe erscheint.
 
Das Improvisieren hat der in Köln geborene und in Leipzig aufgewachsene Musiker früh gelernt: Um Geld zu verdienen, spielte er schon als 13-Jähriger bis zu vier Mal am Tag bei Beerdigungen das Harmonium, später dachte er sich als Klavierspieler an der Leipziger Opernballettschule für die berühmte Ausdruckstänzerin Mary Wigman «Hexentänze» aus.
 
Als Sohn eines Zirkusakrobaten hatte Rolf Kühn eigentlich in die Fußstapfen seines Vaters treten sollen, entdeckte aber schon als Kind seine Liebe zur Musik. Die Eltern ließen ihn Akkordeon, Klavier, Saxofon und schließlich Klarinette lernen, obwohl er den Unterricht während der Nazizeit heimlich nehmen musste: Seine Mutter war Jüdin. Ihr Tabakladen wurde in der Reichspogromnacht 1938 zerstört, der Vater war zur Zwangsarbeit verpflichtet, und der Sohn durfte als Halbjude nicht an die Musikschule. 
 
Ein Schellackplatte von Benny Goodmans «Hallelujah» elektrisiert ihn nach dem Krieg für den Jazz. Nach einer ersten Karriere beim RIAS-Tanzorchester zieht er 1956 nach New York und lernt dort rasch die Großen der Szene kennen, tritt mit ihnen in den angesagtesten Clubs auf. «Ich habe einfach auch sehr viel Glück gehabt im Leben», sagt er. «Mir sind Dinge passiert, von denen andere immer nur träumen.»
 
Zurück in Deutschland wird Kühn 1962 Leiter des NDR-Fernsehorchesters und macht sich später über den Jazz hinaus auch als Dirigent, Theaterleiter und Komponist einen Namen. Er schuf zahlreiche Filmmusiken und zeichnete für die Einspielung der langjährigen «Tagesschau»-Melodie verantwortlich. Bis heute sind zwei bis drei Stunden Üben pro Tag absolute Pflicht. «Die Klarinette ist eine ganz empfindliche junge Dame. Sie nimmt sofort übel, wenn man sich nicht mit ihr beschäftigt.»
 
Fast 20 Jahre war Kühn in zweiter Ehe mit der Schauspielerin Judy Winter zusammen. Seit dem Jahr 2000 ist er mit seiner dritten Frau Melanie verheiratet. «Ich bin fast doppelt so alt wie sie, aber man merkt den Unterschied nicht», sagt er und lächelt spitzbübisch. Immerhin werden die Haare an den Schläfen langsam weiß.
 
Angst vor dem Alter hat der 85-Jährige nach eigenen Angaben nicht. «Überhaupt nicht», sagt er. «Ich habe immer noch meine Neugier, ich liebe meinen Beruf und will mich weiterentwickeln und dazulernen. Alles andere lasse ich auf mich zukommen.» 
 
Nada Weigelt
 
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