London - Die große Bühne hat ihm gefehlt. Als Sting vor kurzem das Hamburger Reeperbahn Festival mit seinem Konzert eröffnete, war ihm die Freude darüber deutlich anzumerken, endlich wieder vor Publikum zu singen und zu spielen. «Das war mein erster Auftritt seit zwei Jahren», sagte der britische Musiker im Operettenhaus. «Ich fühle mich sehr geehrt.» Normalerweise füllt Sting, der jetzt 70 Jahre alt wird, die großen Arenen. Trotzdem tritt er immer wieder gern in kleinen Theatern und lauschigeren Konzerthallen auf.
Seine 70 Jahre sieht man dem Pop- und Rockstar, der als Gordon Matthew Thomas Sumner in einem Vorort der englischen Arbeiterstadt Newcastle geboren wurde, kaum an. Obwohl die einst blonde Mähne inzwischen dunkler und dünner geworden ist. Doch Sting, der während eines Konzerts auf der Bühne gern mal einen Tee trinkt, hatte schon immer etwas Jugendliches an sich. Zudem wird ihm ein hoher Sex-Appeal nachgesagt. Stings Rezept für die Jugend? Angeblich sehr viel Yoga.
Als Frontmann, Bassist und Songwriter der Band The Police wurde der ausgebildete Lehrer Ende der 70er Jahre schlagartig berühmt. Mitreißende Rocksongs wie «Can't Stand Losing You» oder «So Lonely» und vom Reggae inspirierte Lieder wie «Message In A Bottle» mit smarten Texten treffen damals den Nerv der Zeit. The Police kombinieren Postpunk, New Wave und raffinierten Pop radiotauglich. Auch dank Stings markanter Stimme ist ihr Sound unverwechselbar.
Die Ballade «Every Breath You Take», ein Nummer-eins-Hit in mehreren Ländern, wird einer der größten Erfolge. Das Trio füllt schließlich Stadien. Doch nach fünf Alben und Tourneen rund um den Globus ist Mitte der 80er Jahre Schluss, wobei sich die Band nie offiziell auflöst. Eine erfolgreiche Reunion-Tour in den 2000ern bereut Sting im Nachhinein. «Eine Nostalgie-Übung» sei das gewesen, sagte er kürzlich im «Reader's Digest»-Interview. Doch Sting ist kein Nostalgiker.
Sein erstes Soloalbum «The Dream Of The Blue Turtles» ist 1985 eine Abkehr vom rockigen Sound seiner Band. Statt dessen serviert der Blondschopf eine Mischung aus seichtem Pop (wie die Single «If You Love Somebody Set Them Free»), Jazz und Reggae, und vertont mit «Russians» die weit verbreitete Sorge über den Kalten Krieg und das damalige Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion. Eine Zeile prägt sich ein: «I hope the Russians love their children too.»
Seit den 80ern nutzt er seine Popularität, um sich für Menschenrechte und Umweltschutz stark zu machen. Musikalisch wechselt Sting im Laufe der Jahrzehnte als Solokünstler mit Leichtigkeit zwischen den Stilrichtungen, experimentiert auch mit Weltmusik, Shantys und Dancepop. Obendrein hat er ein exzellentes Gespür für Balladen. Ob «Fields Of Gold», «Shape Of My Heart» oder «When We Danced» - wenn Sting gefühlvoll wird, ist es meist ein kommerzieller Erfolg.
Mit der Band und als Solokünstler sammelt der Brite während seiner Karriere insgesamt 17 Grammys. 45-mal ist er nominiert. Eine Nummer eins in mehreren Ländern gelingt ihm nach der Police-Zeit aber nur einmal und genau genommen nicht solo. Zusammen mit Bryan Adams und Rod Stewart singt er 1993 die Ballade «All For Love». Der Titelsong für den Film «Die drei Musketiere» stammt nicht aus seiner Feder.
Apropos Kino: Nicht nur als Musiker mischt er gelegentlich im Filmgeschäft mit. 1979 spielt er seine erste Filmrolle im Drama «Quadrophenia», das auf dem gleichnamigen The-Who-Album basiert. 1984 steht er für Regisseur David Lynch vor der Kamera. In dessen erster Verfilmung des Science-Fiction-Epos «Dune - Der Wüstenplanet» glänzt er als diabolischer, rothaariger Feyd-Rautha Harkonnen mit eingeöltem durchtrainierten Körper und nur mit einem Hosenlatz bekleidet.
«Dune» fällt in eine turbulente Zeit für Sting. Denn nicht nur The Police trennen sich. Auch die Ehe zu seiner ersten Frau Frances Tomelty, mit der er zwei Kinder hat, zerbricht. Pikanter Grund ist eine Affäre mit Tomeltys bester Freundin Trudie Styler, die damals von der britischen Presse genüsslich ausgeschlachtet wird.
Seit 1992 ist Sting mit der Produzentin und Schauspielerin Styler verheiratet. Das Paar, das derzeit überwiegend auf einem Weingut in der Toskana lebt, hat vier Kinder. «Ich wollte nie Vater werden», gestand Sting im vergangenen Jahr dem «People»-Magazin. «Ich bin sechsmal aus Versehen Vater geworden, so schlau bin ich. Aber es waren die glücklichsten Unfälle meines Lebens.» Sein Sohn Joe Sumner (44) ist auch Musiker und tritt mit seinem berühmten Vater auf.
Nach coronabedingter Verschiebung holt Sting nun seine Welttournee für das 2019 erschienene Album «My Songs» nach, für das er neue Versionen seiner alten Lieder eingespielt hat. Schon im November erscheint das nächste Album «The Bridge» mit neuer Musik. Der Titel ist eine Metapher für diese von Klimakrise und Corona-Pandemie geprägte Zeit. «Politisch, sozial und psychologisch - wir stecken alle in irgendwas fest», so Sting. «Wir brauchen eine Brücke.»