Die Personalie ist ein Befreiungsschlag: Kirill Petrenko wird neuer Musikchef der Bayerischen Staatsoper. Gerade erst hatte die Fachzeitschrift "Opernwelt" München in die Kategorie "Ärgerlichste Opernerfahrung" eingereiht und die bayerische Landeshauptstadt für "Konfusionen und Irritationen" in der Musikszene kritisiert. Kein schmeichelhaftes Urteil, sonnt sich München doch gerne in dem Ruf einer Musikmetropole, die bisher mit dem Stardirigenten-Dreigestirn Kent Nagano, Christian Thielemann und Mariss Jansons glänzen konnte. Doch Nagano und Thielemann sind an der Isar Stars auf Abruf.
Nagano hatte im Juli erklärt, er werde seinen Vertrag nicht über 2013 hinaus verlängern - offenbar wegen eines verlorenen Machtkampfs mit Staatsopernintendant Nikolaus Bachler, der Kunstminister Wolfgang Heubisch (FDP) hinter sich wusste. Thielemann wiederum wird 2012 nach einer öffentlich ausgetragenen Schlammschlacht um Vertragskompetenzen zur Sächsischen Staatskapelle nach Dresden wechseln.
Am Mittwoch nun präsentierte Heubisch im betont festlichen Rahmen des Königssaales im Münchner Nationaltheater den Nachfolger für den auf so fragwürdige Weise abservierten Nagano. Neben dem glücklichen Politiker und einem nicht weniger enthusiasmierten Intendanten wirkte der Russe in seinem schlichten, schwarzen Ledersacko fast schüchtern. Er sei "sehr, sehr aufgeregt", bekannte Petrenko in geschliffenem Deutsch. "Verzeihen Sie, wenn meine Stimme wackelt."
Dem 38 Jahre alten Maestro eilt der Ruf eines Wundermannes voraus. Er gilt als uneitler, besessener Arbeiter und Vollblutmusiker. Heubisch verstieg sich sogar zu einem Vergleich mit dem legendären Dirigenten Carlos Kleiber, dem München manche musikalische Sternstunde zu verdanken hat. Der so Geehrte sprach artig von der "großen Verantwortung", die er "mit bestem Wissen und Gewissen tragen" werde. Er versicherte, in München "sehr präsent" zu sein. "Für mich als Menschen bedeutet das, hier meinen neuen Mittelpunkt zu suchen und zu finden."
Petrenko wurde im sibirischen Omsk als Sohn eines Geigers und einer Musikwissenschaftlerin geboren. Er studierte zunächst in seiner Heimatstadt, wo er mit elf Jahren als Pianist mit dem dortigen Sinfonieorchester debütierte. Anfang der 90er Jahre übersiedelte die Familie nach Österreich, wo er sein Musikstudium in Feldkirch und Wien abschloss. Nach Kapellmeisterjahren an der Wiener Volksoper war er von 1999 bis 2002 Generalmusikdirektor des Stadttheaters im thüringischen Meiningen. Dort machte er mit seinem Dirigat von Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" international Furore machte und wurde als "Wunderknabe" gefeiert. Weitere Meriten sammelte er als Generalmusikdirektor der Komischen Oper in Berlin. 2009 wurde Petrenko von der Zeitschrift "Opernwelt" zum "Dirigenten des Jahres" gewählt. Für 2013 ist er als Dirigent einer Neuproduktion des "Rings" bei den Bayreuther Festspielen im Gespräch.
Auch in München ist Petrenko kein Unbekannter mehr. Er war bereits Gast beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und leitet an der Staatsoper umjubelte Produktionen der Opern "Pique Dame" von Peter Tschaikowsky und "Jenufa" von Leos Janacek. Im Juli 2011 wird man ihn im Nationaltheater in Giacomo Puccinis "Tosca" erleben können. Von der Aura der Musikstadt München zeigte sich Petrenko schlichtweg begeistert. "Das Münchner Publikum ist vernarrt in die Oper."
In der Musikszene war schön seit einigen Monaten darüber spekuliert worden, dass Heubischs Wahl auf Petrenko fallen könnte. Angeblich soll dem genialischen Russen längere Zeit ein unterschriftsreifer Vertrag vorgelegen haben. Doch Petrenko soll gezaudert haben. Bachler bestätigte, es habe "vieler Gespräche" bedurft, um ihn weich zu klopfen. Dass er es sich jetzt doch anders überlegte und sich nach mehreren Jahren als freier Dirigent wieder fest bindet, dürfte auch an dem überragenden Ruf der Bayerischen Staatsoper liegen, die sich derzeit nach Meinung vieler Kritiker in Hochform zeigt. Ein Angebot, das man nicht ausschlagen kann.