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Kult-Komponist Arvo Pärt wird 80: «Musik sagt, was ich zu sagen habe»

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Tallinn - Seit Jahrzehnten prägt er die Musikszene und genießt international höchstes Ansehen: Der estnische Komponist Arvo Pärt gilt als einer bedeutendsten und meistgespielten lebenden Komponisten. Sein Werk ist geprägt von der Reduktion auf das Wesentliche, von Schlichtheit und Ausdruck. Nun (11.9.) feiert der stille Superstar der zeitgenössischen Musik seinen 80. Geburtstag.

Mit wenigen Tönen füllt Pärt große Räume - er komponiert introvertierte und religiös grundierte Musik. Doch was macht sein Werk so unverwechselbar? «Für viele Menschen ist seine Musik eine Quelle der Inspiration», meint Anu Kivilo, Leiterin des Arvo Pärt-Zentrums im estnischen Laulasmaa.

Musikalisch entzieht sich Pärt, der mit 14 Jahren seine ersten Kompositionen kreierte, jeder Einordnung. Gerne als «komponierender Mönch» verklärt, setzt er sich radikal von den Schulen und Moden der Neuen Musik ab. Sein Kompositionsstil führt jahrhundertealte Musiktraditionen fort. Oft formt nur ein Dur- oder Moll-Akkord das Klanggebilde des Stücks.

«Ich habe entdeckt, dass es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird», erklärte Pärt einmal. Der 1935 im estnischen Paide geborene Musiker nennt sein kompositorisches Prinzip «Tintinnabuli» (lateinisch für «Glöckchen»). Ehe er Ende der 60-er Jahre zu diesem Stil fand, experimentierte er mit Zwölftonmusik und Collage-Technik. Seine Kompositionen wurden in der damaligen Sowjetunion mal erlaubt und gefeiert, mal verfemt und verboten.

1980 nutzte er eine Gelegenheit, mit seiner Frau und den beiden Söhnen durch den Eisernen Vorhang zu schlüpfen, und zog nach West-Berlin. Groß heraus kam er dort mit Veröffentlichungen beim deutschen ECM-Label. «Diese Begegnung war unerwartet und wegweisend», erinnert sich Produzent Manfred Eicher an den Moment, als zum ersten Mal Pärts Kompositionen hörte.

Zu Pärts Bewunderern zählen Musiker und Künstler verschiedenster Genres. Dazu gehören Geigenvirtuose Gidon Kremer und Jazzlegende Keith Jarrett, aber auch Pop-Musiker wie Björk, PJ Harvey oder Nick Cave. Der deutsche Maler Gerhard Richter, der mit Pärt im Juli ein Gemeinschaftsprojekt vorstellte, findet dessen Musik «hypnotisch».

Doch Pärt hat nicht nur Liebhaber - Kritiker werfen dem hageren, asketisch wirkenden Komponisten weltferne Mystik vor und tun ihn als Schöpfer von Wellness-Klängen und einer einfach gestrickten Klang-Esoterik ab.

Seine Werke dienen oft zur Untermalung von Filmen oder Tanzaufführungen und sind auf unzähligen Tonträgern eingespielt. Sein «Adam's Lament» gewann 2014 einen Grammy.

Trotz aller Erfolge: Pärt gilt als zurückhaltend und bescheiden. Presseanfragen zu seinem Geburtstag lehnte er freundlich ab. «Musik sagt, was ich zu sagen habe», sagte der Este einmal dem britischen «Telegraph».

Arvo Pärt sei «jemand, der die Stille komponiert», würdigte ihn US-Theatermacher Robert Wilson. Gemeinsam brachten die beiden Künstler im Frühjahr das Projekt «Adam's Passion» in Tallinn auf die Bühne. Eine Leipziger Produktionsfirma zeichnete die Inszenierung auf, im kommenden Jahr soll es Gastspiele in Europa und den USA geben.

Vor wenigen Jahren ist Pärt nach Estland zurückgekehrt - inspiriert wird er dort von der Natur und der Ostsee. Von dem Komponisten ist zudem der Satz überliefert: «Stille ist immer vollkommener als Musik. Man muss lernen, ihr zuzuhören.»

 

«Tintinnabuli»: Das Kompositionsprinzip von Arvo Pärt

«Tintinnabuli» (lateinisch für «Glöckchen») nennt er sein weltberühmtes Kompositionsprinzip. Es beruht auf einem «Klingeln» des Dreiklangs, dessen drei Töne das ganze Stück über mittönen und mit der sogenannten Melodiestimme verknüpft sind.

Wesentliche Merkmale des «Tintinnabuli»-Stil sind die Reduktion des Klangmaterials und Beschränkung der kompositorischen Mittel auf das Notwendigste. Durch diesen radikal reduzierten Stil, bei dem nur wenige rhythmische, melodische und harmonische Elemente eingesetzt werden, erhält Pärts Musik ihren besonders klaren Klang.

Entwickelt hat der Pärt das Verfahren in einer langen schöpferischen Pause zwischen 1968 und 1976. In den «Jahren der Stille» komponierte er gar nicht, sondern beschäftigte sich intensiv mit Gregorianik und der Vokalmusik der Renaissance.

 

Eine besondere Beziehung: Arvo Pärt und Deutschland

Früh war Pärt zu Beginn seiner Karriere im Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Berlin, dem er später für den Mut dankte, «einen unbekannten estnischen Komponisten aufzunehmen». In Deutschland begann auch die internationale Karriere des heutigen Weltstars.

Pärt kam 1981 in das damalige West-Berlin. Ein Jahr zuvor hatte er auf politischen Druck hin die Sowjetunion verlassen müssen - er emigrierte mit seiner Frau Nora und zwei kleinen Kindern nach Wien und ging dann weiter nach Deutschland. Erst vor einigen Jahren kehrte in seine Heimat Estland zurück.

Die Berliner Zeit sei eine ganz besondere Zeit gewesen, meinte Pärt einmal in einer Filmdokumentation. Im Mai besuchte er die deutsche Hauptstadt nochmals für eine Hommage zu seinem 80. Geburtstag im Berliner Konzerthaus im Beisein von Bundespräsident Joachim Gauck.

«Die deutsche Sprache hat mich beim Komponieren mehrerer Werke inspiriert», meint Pärt. «Sicherlich hat die Berührung mit vielen deutschsprachigen Texten sowohl mich als auch meine Musik geformt. Dafür bin ich zutiefst dankbar.»

 

Archiv und Forschungsstelle: Das Arvo Pärt Zentrum in Estland

Rund 35 Kilometer westlich der Hauptstadt Tallinn widmet sich im estnischen Laulasmaa das Arvo Pärt Zentrum dem Werk eines der meistgespielten zeitgenössischen Komponisten. «Unser Ziel ist es, das kreative Erbe von Arvo Pärt zu bewahren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen», sagt Leiterin Anu Kivilo. «Es ist eine Herausforderung angesichts seines weiterhin steten Schaffendrangs.»

Als Archiv und Forschungsstelle systematisiert das 2010 gegründete Zentrum das Oeuvre des Künstlers. Auch Arvo Pärt und seine Frau Nora sind daran aktiv beteiligt. Der Komponist hat dem Zentrum schon einen Großteil seiner unzähligen Skizzenhefte, Partituren und anderer Aufzeichnungen vermacht. Auch Mobiliar seiner Berliner Wohnung ist zu sehen. Daneben verfügt das Zentrum über zahlreiche audiovisuelle Datenträger wie Fotos, Videos und Tonträger.

 

 

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