(thg - VdO - „Oper & Tanz“) Kurz vor Vollendung seines 76. Lebensjahres starb in der Nacht zum 8. 4. in München Stefan Meuschel, langjähriger Geschäftsführer der „Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer“ (VdO) – und Herausgeber der Zeitschrift „Oper & Tanz“ (ConBrio Verlag). Meuschel konnte auf ein höchst erfolgreiches Leben als kreativer Kulturschaffender, als unkonventioneller Gewerkschafter und als besonnener, effektiver Kulturpolitiker zurückblicken. Wir trauern um einen hochkompetenten Kollegen – und um einen Freund.
Am 30. April 1933 in Chemnitz geboren, unternahm Stefan Meuschel im Alter von zwanzig Jahren die ersten praktischen Filmversuche. Unter anderem erarbeitete er mit dem Komponisten Josef Anton Riedl eine filmische Dokumentation über elektronische Musik. Nach den ersten Filmerfahrungen zog es ihn zum Theater. 1959 engagierte Hans Schweikart ihn als Dramaturgen an die Münchner Kammerspiele, 1968 holte ihn Boleslaw Barlog in gleicher Position ans Schiller-Theater in Berlin. Dabei arbeitete er unter anderem mit Samuel Beckett, Max Frisch und Carl Zuckmayer. Parallel prägte ihn die Tätigkeit als Regieassistent, unter anderem bei Fritz Kortner. Und er begann mit eigenen Regiearbeiten, zunächst in der Provinz, dann auch in Berlin.
Stefan Meuschel war dank seines Erfahrungs-Spektrums und seiner umfassenden Bildung ein „Kulturfunktionär“ der besten Sorte: einer, der eben auch die praktische künstlerische Arbeit kennen gelernt und selbst über viele Jahre hinweg ausgeübt hat. Als studierter Jurist verfügte er daneben über die nötigen theoretischen Kenntnisse, die die Arbeit in einem Berufsverband erfordert.
Zur Gewerkschaft kam er zunächst eher durch Zufall. Während einer erzwungenen Ruhepause, die sich aus der verzögerten Finanzierung eines Filmprojektes ergab, wurde er von der Deutschen Angestellen-Gewerkschaft (DAG) gebeten, als ihr Verhandlungsführer beim WDR die Tarifgespräche zu begleiten. Aus der einmaligen Aufgabe wurde eine Lebenstätigkeit. Schon bald trat Stefan Meuschel ein Engagement als Gewerkschaftssekretär beim Bundesvorstand in Hamburg an. 1995 wurde er Geschäftsführer der VdO. Schon unter dem Eindruck seiner schweren Erkrankung besorgte er in den vergangenen Monaten umsichtig seine Nachfolge. Als Vorstands- und Aufsichtsrats-Mitglied mehrerer kulturwirtschaftlicher Organisationen, darunter VG Wort und VG Bildkunst brachte er seine Kompetenz in unterschiedliche Bereiche des Kulturlebens ein. Als Bezirks-Abgeordneter der Münchener FDP leistete er kluge politische Arbeit vor Ort. Seine überlegt abwägende aber auch bedacht visionäre Grundhaltung spiegelt sich in einem Gespräch, das aus Anlass seines 70. Geburtstages für „seine“ Zeitschrift „Oper & Tanz“ geführt wurde – und das wir hier zur Erinnerung nochmals wiedergeben:
Kultur-Mensch mit Biss
Terminabsprachen mit ihm sind nicht ganz einfach. Meistens ist er auf Achse: unterwegs zu politischen Gesprächen in Bonn oder Berlin, zu Tarifverhandlungen, zu Theaterhäusern in ganz Deutschland oder zur Redaktionssitzung von „Oper & Tanz“ in Regensburg. Den Lesern dieser Zeitschrift ist Stefan Meuschel in erster Linie als Geschäftsführer der VdO bekannt; das ist zwar vermutlich das wichtigste, nicht aber das einzige Amt, das den rührigen Kulturpolitiker umtreibt. Daneben ist er Vorsitzender des Verwaltungsrates der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbandes Regie, Mitglied des Beirates der Künstlersozialkasse und - für die FDP – des Bezirksausschusses Schwabing/Freimann; eine sicher nicht vollständige Auflistung seiner Ämter, die er mit Inhalt und Leben erfüllt.
Theo Geißler: Bitte ein paar Worte über Ihre größten Erfolge und Ihre herbsten Niederlagen im Rahmen Ihrer gewerkschaftlichen Arbeit.
Stefan Meuschel: Im politischen Bereich sind Erfolge stets das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen, auch der Kooperation mit anderen Organisationen. Dass es in den 21 Jahren meiner Tätigkeit für die DAG gelungen ist, soziale Absicherungen für Minigruppen durchzusetzen und für Minderheiten, denen die landläufigen gewerkschaftlichen Druckmittel nicht zur Verfügung stehen, möchte ich schon auf der Habenseite buchen: das reicht vom Künstlersozialversicherungsgesetz bis zu urhebervertragsrechtlichen Regelungen, vom tariflichen Sozialschutz für Opernchorsänger bis zur EU-weiten Anerkennung des Filmregisseurs als Haupturheber am Filmwerk. Niederlagen im fachlichen Bereich sind all die Ziele, die zu langsam oder bisher gar nicht erreicht wurden – und der sich verstärkende Eindruck, im Krieg des Schwachsinns gegen das Schöpferische werde doch Ersterer den Sieg davontragen.
Geißler: Wo sehen Sie die Aufgaben einer künstlerorientierten Gewerkschaft?
Meuschel: Nirgendwo anders, als die aller anderen Gewerkschaften: In der Umsetzung des Willens der Mitglieder. Neben ihren tarif- und betriebspolitischen Aufgaben ist die Künstlergewerkschaft einem Kulturauftrag verpflichtet, der nicht nur in der Sicherung von Arbeitsplätzen und Kultureinrichtungen, sondern auch im Erhalt einer kulturellen Grundversorgung und eines hohen künstlerischen Niveaus besteht. Das hat auch eine besondere partnerschaftliche Beziehung zum Arbeitgeberlager zur Folge. Beim Rollenspiel der Sozialpartner ist der gemeinsame Kunstwille für beide Seiten oft ein die Balance gefährdender Faktor.
Geißler: Sind kulturelle Berufsvertretungen in Zeiten weltweiter Vernetzung überhaupt noch zukunftsfähig?