Als Franz Schubert viel zu früh verstarb, war es Joseph von Spaun, der schon wenige Wochen später die Zielrichtung der weiteren Rezeption vorgab: „Ich glaube daher, dass Schubert von seinem Biographen als Liederkompositeur aufgegriffen werden müsse.“ Ähnlich war es Walther Dürr schon zu Lebzeiten im Kreis der Wissenschaft ergangen.
Er galt bis zuletzt und vollkommen zu Recht als unangefochtene Schubert-Instanz, als bester Kenner des kaum übersehbaren Kosmos’ der Lieder, die er als ein großes, weithin sichtbares Lebenswerk zwischen 1968 und 2015 im Rahmen der Neuen Schubert-Ausgabe mit den dazugehörigen Kritischen Berichten herausbrachte. Nur allzu leicht wurde und wird sein viel weiter gehendes, nicht immer gleich sichtbares musikhistorisches Interesse übersehen. So blieb Walther Dürr auch dem italienischen Madrigal, über dessen Rhythmus und Metrum er 1956 in Tübingen promoviert hatte, über Jahrzehnte hinweg eng verbunden. Mehr aber noch war für ihn das Wechselspiel von Sprache und Musik die tragende Fragestellung, die sich in zahlreichen seiner Vorträge und Publikationen niederschlug, auch in den von ihm angefertigten „sangbaren Übersetzungen“ zu Scarlatti-Kantaten und Mozarts „Don Giovanni“. – Noch im Dezember reiste er für Quellenstudien nach Wien. Ohnehin schaute Walther Dürr auch im Alter von 85 Jahren mit anhaltender Lebensfreude nach vorn. Bis zuletzt als Herausgeber und Redakteur tätig, hatte er aus privaten Gründen für die kommenden Monate seinen Rückzug angekündigt.
Was vom ihm gedruckt vorliegt, bleibt jedem erhalten. Wer neben diesem reichen wissenschaftlichen Wirken Walther Dürr auch als Kollege und Mensch kennenlernen durfte, wird sich vor allem an seine unvoreingenommene und neugierige Art erinnern, an sein aufmerksames Zuhören, an seine Anteilnahme, an seine immer ungezwungene Bereitschaft, Wissen und Erfahrung zu teilen und weiterzureichen. Wer darüber hinaus und über eine Generation hinweg seine Kameradschaft erfahren durfte, der hat am 6. Januar 2018 vollkommen unerwartet einen Freund verloren.
Es ist nun schon wieder sechs Jahre her, als bei einer Sitzung der Editionsleitung der Neuen Schubert-Ausgabe die Diskussion um die Frage nach einem gelegentlichen Wiederabdruck eines kurzen Alleluja-Kanons aufkam. Die Debatte wusste Walther Dürr in der für ihn so typischen verschmitzten Art trefflich zu kommentieren: „Ein Alleluja kann immer mal nützlich sein.“