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Weimar - «Macht es nur groß, dann wird es schon richtig!» Diese Maxime hat den Kulturmanager und -politiker Christoph Stölzl über die Jahrzehnte begleitet. Ob als Wissenschaftler, als junger Direktor des Stadtmuseums in München, als Generaldirektor des neuen Deutschen Historischen Museums und Wissenschaftssenator in Berlin, Journalist oder seit 2010 als Präsident der Hochschule für Musik «Franz Liszt» Weimar: Im Kleinen denken war seine Sache nie.
Der Zufall, meint Stölzl rückblickend, habe ihn diesen Bogen im Berufsleben schlagen lassen und immer wieder an Orte geführt, wo Neues im Entstehen war. «Ich bin als Kulturmensch auch politisch.» Am 17. Februar wird er 70 Jahre alt.
1944 in Westheim bei Augsburg geboren, wächst Stölzl in einer humanistisch und kulturell gebildeten Familie in München auf. Er studiert Geschichte, Literaturwissenschaft und Soziologie und promoviert 1970 über den modernen Nationalismus in der österreichischen Monarchie. «Vieles, was 1914 exotisch war, ist heute höchst aktuell», sagt er und verweist auf die Integration von Minderheiten und Ausländern in die Gesellschaft.
Das Thema nationale Identität und Nationalismus begleitet ihn zeitlebens, so beim Streit um ein Nationaldenkmal der Deutschen oder um das Deutschlandlied. «Alles, was die Vergangenheit an die Küste der Gegenwart spült, muss man ganz kritisch ansehen», lautet seine Überzeugung. Eine andere: «Egal was man tut, es muss etwas mit uns in der Gegenwart zu tun haben.»
Provozieren, zum Nachdenken anregen, sich ganz für eine Sache einsetzen, das werden seine Markenzeichen, mit denen er Kulturpolitik in Westdeutschland und ab 1990 im vereinten Berlin mitschreibt. 36 Jahre ist Stölzl alt, als er Direktor des Stadtmuseums München wird. «Wir haben als junges Team mit Ausstellungen auf den Putz gehauen und provoziert.» Als sich zum Katholikentag alle auf Barock konzentrieren, stellt sein Haus den Tod am Beispiel der Riten in Oberbayern und dem Sterben im KZ Dachau in den Mittelpunkt.
Die DDR entdeckt in den 1980er Jahren Preußen, Friedrich II., Luther und Bach. In der Bundesrepublik wird die Frage nach nationalem Selbstverständnis und Selbstdarstellung laut. 1985 ruft der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) ein Expertengremium für ein Deutsches Historisches Museum zusammen. Aus München kommt Stölzl und wird dessen Gründungsdirektor.
Ironie der Geschichte: Das Deutsche Historische Museum soll genau auf dem Platz gebaut werden, wo heute das Kanzleramt steht. 1990 ist der Plan nur noch Makulatur. Das Deutsche Historische Museum wird mit dem geschlossenen DDR-Museum für deutsche Geschichte im Zeughaus vereint. «Eine aufregende Zeit. Ich habe für einen Monat eine Ernennungsurkunde mit Hammer und Sichel bekommen.»
An der Berliner Mauer habe er als Münchner erstmals die Widersinnigkeit der Teilung in all ihrer Dimension verstanden, sagt der Historiker. Er will mitwirken an der deutschen Einheit. Zur Erhaltung der Kultursubstanz in Berlin initiiert er die «Notgemeinschaft» mit, «erfindet» den bis heute existierenden Hauptstadtkulturfonds für die freie Szene. Seit Juni 2010 ist der Historiker Präsident der Hochschule für Musik in Weimar.
«33 Prozent unserer Studenten sind Ausländer. Wir exportieren also hochkarätige deutsche Bildung.» Die sei aber Aufgabe des Bundes, meint er und plädiert für eine Mischfinanzierung von Land und Bund bei den Musikhochschulen: So wie beim «Sündenfall» Deutsches Historisches Museum in Berlin, als das Föderalismusprinzip erstmals durchbrochen worden sei. «Wir machen heute so eine Kleinmechanik», ärgert er sich.
2013 geht für Stölzl ein Traum in Erfüllung: Der neue Lehrstuhl für Geschichte der jüdischen Musik - einzigartig in Europa - bildet mit dem Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam jüdische Kantoren aus. Erfolglos sind dagegen «musikalische Besetzungen» der Hauptbahnhöfe in Weimar und Berlin. Der begeisterte Jazzmusiker am Kontrabass protestiert dort mit Leitern etwa von Klassik Stiftung und KZ-Gedenkstätte Buchenwald gegen das Aus der ICE-Stopps in der Klassikerstadt.
Antje Lauschner