Ihre Stimme gehört zu den schönsten und begehrtesten im Country und Folk: Emmylou Harris. Doch Country-Radio hört die 64-jährige Sängerin sich schon lange nicht mehr an. Dafür rettet sie in Nashville Hunde vor dem Einschläfern. Warum das alles so ist und was die Shuffle-Funktion mit dem Entdecken von Songs zu tun hat, erklärt Emmylou Harris (ab 5. Juni auf Tour) im nmz-Online-Interview mit Claus Lochbihler
Jemand hat einmal den schönen Satz geschrieben: Nicht Emmylou Harris hat den Country verlassen. Der Country hat Emmylou Harris verlassen. Wie finden Sie das?
Schmeichelhaft. Allerdings kann ich nicht wirklich beurteilen, ob das so stimmt. Ich höre mir das, was sich Modern Country nennt und bei uns im Radio läuft, nicht mehr an. Also kann ich eigentlich nicht mitreden.
Und wenn Sie ausnahmsweise mal doch Country-Radio hören …
… dann klingt das etwas eindimensional.
Was meinen Sie damit?
Früher war es doch so: Wenn Merle Haggard gespielt wurde, erkannte ihn jeder sofort. Man musste nicht einmal sagen, dass er das war – weil man es sofort gehört hat. Heute klingt das, was in den USA unter Country läuft, sehr einförmig nach Pop. Jedenfalls nicht so spannend wie das, was lief, als ich den Country entdeckt habe. Deswegen kehre ich immer wieder zu den ganz großen Sängern zurück: Willie Nelson etwa oder Waylon Jennings. Mein Gott, wie sehr ich Waylon vermisse. Was für eine Stimme!
Wer ist an diesem Zustand schuld? Die Radioformate?
Kann sein. Andererseits sollte man deren Wirkung auch nicht überschätzen. Um gute Musik zu finden, ist man ja nicht mehr auf das Radio angewiesen. Denken Sie an den Soundtrack zu Oh Brother, Where Art Thou. Der hat sich vier Millionen Mal verkauft, obwohl er fast gar nicht im Radio gespielt wurde. Auch stilistisch hat er sich nirgendwo angebiedert: Tiefer als mit Oh Brother, Where Art Thou kann man in die Wälder des Bluesgrass kaum vorstoßen.
Sie sind also gar nicht pessimistisch?
Ich weiß nur, dass ich an die Kraft des Kreativen glaube. Es wird immer Leute geben, die ein Genre wie den Country neu erfinden. Es gibt viele junge Musiker, die sich mit alter Country-Musik befassen, sie neu erfinden und sich zu Eigen machen. Es geht ja nicht darum, die Musik der 50er-Jahre nachzustellen. Sondern darum etwas Neues zu schaffen. Das passiert auch. Allerdings läuft das dann nicht im Country-Radio, sondern auf den viel selteneren Americana-Stationen.
Als einer der Begründer des Americana-Genres gilt Ihr Weggefährte Gram Parsons, von dem auch der erste Song auf Ihrem neuen Album handelt. Hören Sie viel Gram Parsons heraus, wenn Sie Bands hören, die in diesem Genre arbeiten?
So gut kenne ich mich da gar nicht aus. Es gibt so viele junge Bands, die kann man alle gar nicht überblicken. Allerdings habe ich schon den Eindruck, dass Gram für viele ein wichtiger Einfluss oder zumindest eine Inspiration ist. Heute vielleicht sogar mehr als in der Generation davor.
Woran liegt das?
Zum einen natürlich an seiner Musik. Außerdem gehört Gram durch die Art, wie er lebte und gestorben ist, zu den großen Mythen der populären Musik. Er war einer, der seinen eigenen Weg gegangen ist – auch das scheint die Leute zu inspirieren.
Gram Parsons wurde nur 27 Jahre alt. Sie sind jetzt 64. Denken Sie manchmal darüber nach, wie seine Musik klingen würde, wenn er heute noch leben würde?
Ich glaube, dass es ist müßig ist, über so etwas zu spekulieren. Da denke ich mir lieber aus, wie auch Gram ein langes und glückliches Leben hätte haben können. Das Tragische war ja, dass er dabei war, von den Drogen wegzukommen. Diesen Eindruck hatte ich damals jedenfalls. Aber dann ist er rückfällig geworden. Und das war für seinen vom Entzug geschwächten Körper einmal zu viel.
Gram Parsons hat einmal über Sie gesagt: Emmylou Harris singt wie ein Vogel. Sie singt zu allem, was du machst, die perfekte Harmoniestimme – so lange du sie dabei anschaust.
Wenn man beim Singen auf den Mund und in die Augen des anderen schaut, weiß man eben schon vorher, wie der ein paar Augenblicke später singen und phrasieren wird. Das bilde ich mir jedenfalls ein. Ob es wirklich so ist, weiß ich nicht. Aber so habe ich schon immer gearbeitet. Das Singen zu zweit ist eben auch eine Sache des Vertrauens und der gemeinsamen Begeisterung - dafür muss man sich anblicken.
Und im Studio?
Da kommt es häufig vor, dass die Lead-Stimme schon fertig aufgenommen vom Band kommt und ich meinen Part nur noch draufsinge. Da hört man sich vorher alles ganz genau an und studiert, wie der andere phrasiert.
Auf Ihrem neuen Album singen Sie ausschließlich mit sich selbst.
Mein Produzent Jay Joyce wollte ausprobieren, wie weit wir mit unserer kleinen Studiobesetzung kommen: Ob er, Giles Reaves und ich das ganze Album allein einspielen können – ohne weitere Musiker. So kam es, dass ich auf Hard Bargain alles Gesangsparts selber singe.
Wie fühlt sich das an?
Mit sich selber singen ist viel einfacher als ein Duett mit jemand anderem. Weil man kaum etwas so gut kennt wie die eigene Stimme, die eigene Rhythmik, die eigene Art zu phrasieren.
Ist Hard Bargain mehr als andere Ihrer Alben ein Studioalbum?
Das Besondere ist sicherlich, dass wir es nur zu Dritt aufgenommen haben. Zuerst haben wir einen Song in seinen Grundzügen aufgenommen, bevor wir anschließend weitere Overdubs und Klangschichten darüber gestapelt haben. Giles und Jay spielen jede Menge Instrumente. Deswegen klingt das Album so gar nicht nach Trio.
Vier Wochen Studiozeit sind dafür eigentlich wenig.
Finden Sie? Im Bluegrass würden die Kollegen in einem Monat so viel Musik aufnehmen, dass es für eine ganze Karriere reicht. (Lacht)
Die meisten Songs auf dem neuen Album stammen von Ihnen, allerdings nicht der Titelsong. Wie kommt das?
Ich bin eben ein großer Ron Sexsmith-Fan. Als ich seine Version von Hard Bargain (http://www.youtube.com/watch?v=WK0qyDespPc) das erste Mal hörte, war mir klar, dass ich diesen Song unbedingt singen muss. Ursprünglich war das schon für das vorherige Album geplant, aber dann hat es erst auf diesem geklappt. Dafür ist es jetzt der Titelsong.
Sie gelten als große Song-Entdeckerin und Interpretin. Wie stoßen Sie auf Songs wie den von Ron Sexsmith?
Es ist nicht so, dass ich groß Ausschau halten muss. Manchmal glaube ich sogar, dass die Songs mich finden. Man hört Musik und auf einmal ist da ein Lied, das so richtig bei einem einschlägt. Da weiß man sofort: Das ist es! Oft ist das auch eine Frage des Zufalls. Den Ron Sexsmith-Song habe ich auf einem IPod voller Musik gehört, den mir jemand geschenkt hatte. Den habe ich auf Shuffle gestellt und eines Tages tauchte plötzlich dieser wunderbare Song auf. Die Shuffle-Funktion ist überhaupt das Beste: Da kann man sich sogar von den Songs überraschen lassen, die man selbst irgendwann draufgeladen hat. Das ist wie eine großartige Radiostation nur für einen selbst.
Wie schaffen Sie es, eine Studio-Schöpfung wie Hard Bargain auf die Bühne zu bringen?
Da müssen wir eben das, was wir im Studio nacheinander aufgenommen haben, auf einmal gleichzeitig spielen. In Kalifornien haben wir einmal das gesamte Album live in unserer kleinen Studiobesetzung aufgeführt. Das war ganz schön experimentell: Jay spielte Gitarre und Bass, Giles mit der einen Hand eine Snare Drum, die auf seinem Schoß lag, und mit der anderen ein Keyboard. Und aus dem Computer kam auch noch was. Keine Ahnung, wie die beiden das geschafft haben! Es war großartig, auch weil klar war, dass es eine einmalige Sache sein würde: Auf der Europa-Tour werden mich wieder meine Red Dirt Boys begleiten, die sich dafür um einen weiteren Gitarristen verstärkt haben.
Allerdings müssen Sie dann auf Ihren Hund Bella verzichten, den Sie in Big Black Dog besingen und auf Ihre US-Tourneen immer mitnehmen.
Bella ist der erste Hund, den ich vor dem Einschläfern bewahrt habe, nachdem ich beschlossen hatte, ein kleines Hundeasyl einzurichten. Es heißt Bonaparte’s Retreat. Bonparte war der erste Hund, den ich mit auf Tour genommen habe – so wie heute Bella. Nachdem er gestorben war, wollte ich etwas zu seinem Andenken tun. Also habe ich vor sieben Jahren zu Hause bei mir in Nashville dieses Hundeasyl eingerichtet. Bei uns werden so viele gesunde Hunde getötet, nur weil niemand sie aus den Tierheimen abholt. Fürchterlich!
Wie viele Hunde haben Sie denn schon gerettet?
Mehrere Dutzend. Natürlich ist das nicht viel, gemessen daran, wie viele Hunde jährlich eingeschläfert werden. Aber man tut eben, was man kann. Deswegen auch dieser Song Big Black Dog (Video: http://www.youtube.com/watch?v=oOaUt9vG-qA). Er gibt mir die Gelegenheit, auf das Schicksal ausgesetzter Hunde hinzuweisen.
Dafür klingt er aber gut gelaunt.
Weil Bella eben ein gut gelaunter Hund ist. Hunde sind die besten Tourbegleiter, die man sich nur vorstellen kann: Sie lieben Menschen, Abenteuer und das Reisen. In den USA habe ich meine Hunde immer dabei, wenn ich toure – das geht , weil wir mit einem Bus unterwegs sind. In Europa ist das schon wegen der Flüge unmöglich. Ich werde sie vermissen!
Interview: Claus Lochbihler
Aktuelles Album: „Hard Bargain“ (Warner/Nonesuch)
Emmylou Harris & The Red Dirt Boys – die Tourtermine:
05.06.2011 München / Philharmonie
06.06.2011 Frankfurt / Jahrhunderthalle
08.06.2011 Berlin / Admiralspalast
Links:
http://www.emmylouharris.com/
Die Nonesuch-Seite zum neuen Album von Emmylou Harris: http://www.nonesuch.com/albums/hard-bargain
“Hard Bargain” in einer Live-Version von Emmylou Harris:
http://www.youtube.com/watch?v=dL87gGxEMaI
Gram Parsons und Emmylou Harris, “Love Hurts” (Live):
http://www.youtube.com/watch?v=bj8qnzwHUwo