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Mariss Jansons wird Nachfolger von Lorin Maazel als Leiter des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Zu Beginn der Konzertsaison 2003/2004 wird er dieses Amt antreten.
München (ddp-bay). Er ist einer der besten Dirigenten der Gegenwart. Doch Starallüren, Eitelkeit, arrogante Selbstbespiegelung sind ihm fremd. Dafür schätzt er die Arbeit an der Musik, den Dialog mit den Musikern, Feinschliff am Detail und die Suche nach dem Wesen der Musik. Mariss Jansons, der künftige Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (BR), scheint gar nicht recht in diese Zeit des Dirigenten-Jetsets zu passen. München, selbst nicht frei von anachronistischen Zügen, wird den Unzeitgemäßen mit offenen Armen empfangen.Der 1943 im lettischen Riga geborene Jansons zählt unbestritten zu den derzeit bedeutendsten Dirigentenpersönlichkeiten. Der Sohn eines Dirigenten ist ein musikalischer Musterschüler. Sein Handwerk lernte er an der Universität und am Konservatorium im damaligen Leningrad - neben Orchesterleitung studierte er Bratsche, Violine und Klavier. Anschließend schaffte er den Sprung an die berühmte Dirigentenschmiede von Hans Swarowsky in Wien, der auch Stars wie Claudio Abbado, Zubin Mehta oder Giuseppe Sinopoli unter seinen Fittichen hatte.
Nach weiteren erfolgreichen Studien bei Herbert von Karajan in Salzburg machte der legendäre russische Dirigent Jewgenij Mrawinskij 1973 den gerade 30-Jährigen zu seinem Assistenten. Der damalige Chef der Leningrader Philharmoniker und «wunderbare Orchestererzieher», wie Jansons Mrawinskij nannte, prägte Stil und Repertoire des jungen lettischen Sowjetbürgers entscheidend. Seither wird Jansons der «russischen Schule» zugerechnet, die charakterisiert ist durch einen Hang zu dunklen, erdigen Orchesterklangfarben. Auch seine Vorliebe zu Dmitrij Schostakowitsch rührt her von seinem großen Lehrer, der mehrere Werke des Komponisten uraufgeführt hatte.
1979 trat Jansons die Stelle eines Leiters der Osloer Philharmoniker an. In gut 20-jähriger Aufbauarbeit formte er aus dem Provinzorchester einen weltbekannten Klangkörper und machte auch durch vielfach gelobte CD-Einspielungen auf sich aufmerksam. Für seine Leistungen wurde er vom norwegischen Staat mit der höchsten Auszeichnung bedacht, die an Ausländer vergeben wird. 1997 übernahm Jansons zudem aus den Händen von Lorin Maazel die musikalische Leitung des Pittsburgh Symphony Orchestra. Nun wird der Musiker wiederum Nachfolger von Maazel als Leiter des BR-Symphonieorchesters. Zu Beginn der Konzertsaison 2003/2004 wird er dieses Amt antreten.
Mag sich auch der persönliche und künstlerische Stil Jansons deutlich von Maazel unterscheiden, so gibt es Parallelen beim Repertoire. Jansons schätzt, wie sein Vorgänger, die Spätromantik und beginnende Moderne, bevorzugt den großen Orchesterapparat. Allerdings wird sich der neue BR-Orchesterchef, seiner Herkunft gemäß, wohl noch intensiver dem russisch-sowjetischen Oeuvre annehmen. Nebenher wird er wohl weiter seinen pädagogischen Verpflichtungen nachkommen - als Professor am St. Petersburger Konservatorium. Auch die neu gegründete Orchesterakademie des BR-Symphonieorchesters unterstützt Jansons mit Nachdruck.
Dem neuen Mann an der Spitze des BR-Paradeorchesters wird ein fast fanatischer Arbeitseifer nachgesagt. Diese kompromisslose künstlerische Haltung forderte ihren Tribut: Mitte der neunziger Jahre erlitt der weltweit gefragte Orchesterleiter einen Herzinfarkt. Die Zukunft der Kunst schätzt Jansons, der die persönliche Lebenskrise als Herausforderung annahm, eher pessimistisch ein. «Die Menschheit wird zunehmend der Kultur entmündigt», sagte er in einem Interview. «Geht es so weiter, dann gibt es in 50 Jahren kaum noch Kunst. Es ist ein Desaster. Und wir haben als einziges Mittel nur unsere Qualität entgegenzusetzen.»