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Hamburg - Eigentlich sollte er im Frühjahr 2010 die Hamburger Elbphilharmonie eröffnen - als Leiter des Sinfonieorchesters des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Doch daraus wird wohl nichts mehr: Christoph von Dohnányi hat die Leitung des Residenzorchesters der Elbphilharmonie längst an seinen Nachfolger Thomas Hengelbrock übergeben - und das spektakuläre Konzerthaus im Hamburger Hafen wird nach etlichen Querelen um Kostensteigerungen und Bauverzögerungen erst im Frühjahr 2017 eröffnet.
Aber gelobt hat Christoph von Dohnányi, der am 8. September 85 Jahre alt wird, die Elbphilharmonie in den höchsten Tönen: «Ein solches Haus wird dem gesamten Musikleben einen großen Impetus geben. Billig ist das natürlich nicht. Aber wenn der Bau erst einmal da ist, wird kein Mensch mehr über die Kosten diskutieren», glaubt er.
Als Gastdirigent ist der Hamburger, einer der herausragenden Dirigenten seiner Generation, immer noch viel unterwegs. So startet er im Oktober eine Tournee mit dem Philharmonia Orchestra London, das er zwölf Jahre geleitet hat. Mit Beethovens «Schicksalssymphonie» und Mendelssohns Violinkonzert wird der Geburtstag am 9. Oktober auch in der Hamburger Laeiszhalle nachgefeiert. Außerdem gibt es in der kommenden Saison Konzerte mit New York Philharmonic, Boston Symphony, L'Orchestre de Paris, Israel Philharmonic und dem Gewandhausorchester Leipzig. «Gefeiert wird mit Familie zu Hause in Hamburg, Berlin oder Paris», sagte von Dohnányi der Nachrichtenagentur dpa. Sein größter Wunsch: «Einmal wieder ganz privat sein zu dürfen.»
1929 in Berlin geboren, wuchs Christoph von Dohnányi mit seiner Schwester Barbara und seinem Bruder Klaus in einer künstlerisch und politisch hoch engagierten Familie auf. Sein Vater, Hans von Dohnányi, war Reichsgerichtsrat und wurde im April 1945 als Widerstandskämpfer im KZ Sachsenhausen hingerichtet. Seine Mutter war eine Schwester des protestantischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der nach dem gescheiterten Hitler-Attentat ebenfalls von den Nazis umgebracht wurde. Sein Großvater, der ihn später ausbildete, war der ungarische Komponist und Dirigent Ernst von Dohnányi, der von 1948 an in Florida lebte. Sein Bruder Klaus von Dohnányi (SPD) war von 1981 bis 1988 Erster Bürgermeister von Hamburg.
Wie der Vater sollte Christoph Jurist werden. Mit 16 machte er Abitur, begann das Studium, wechselte dann aber zur Musik, als sich die vom Großvater ererbte musikalische Begabung «übermächtig bemerkbar» machte. Als Bester legte er mit 22 Jahren in München das Kapellmeister-Examen ab. Mit 27 Jahren wurde er in Lübeck Deutschlands jüngster Generalmusikdirektor. Über Kassel und Köln wechselte der charismatische Dirigent 1968 nach Frankfurt, wo er bald mit zeitgemäßem Musiktheater Furore machte. Ein wichtiges Merkmal seiner Opernjahre: Er ließ Regisseure inszenieren, die vom Schauspiel kamen: Rudolf Noelte, Volker Schlöndorff und Klaus Michael Grüber.
Auch in Hamburg setzte sich Dohnányi, der in zweiter Ehe mit der Sopranistin Anja Silja verheiratet war, von 1977 bis 1984 als Intendant der Staatsoper mit Leidenschaft und Bravour für ein modernes Musiktheater ein. Weitsichtig hatte er sich der damals jungen Garde unbequemer Regisseure wie Luc Bondy, Achim Freyer oder Herbert Wernicke versichert, um Opernklassikern wie der «Zauberflöte» und «Fidelio» oder Meisterwerken der Moderne wie Bergs «Wozzeck» neue Strahlkraft zu geben. Sein Motto: «Mit den Füßen auf dem Boden der Tradition, den Kopf frei für die Gegenwart.» Seine Begründung: «Wir müssen die Tonalität kennen, um die Atonalität zu begreifen.»
Nach Querelen in Hamburg übernahm Dohnányi 1984 die Leitung des Cleveland Orchestra, eines der berühmten «Top Five» der USA, das er bis 2002 leitete. Nach eigenen Worten waren es für ihn die vielleicht wichtigsten Jahre seines Dirigentenlebens. Nach Kritikermeinung gab er dem Orchester seine künstlerische Größe zurück und sicherte ihm einen Dauerplatz in der Weltspitze des klassischen Musikbetriebs. Zusätzlich zu seinen Verpflichtungen in Cleveland wurde Dohnányi 1996 Chefdirigent beim Londoner Philharmonia Orchestra und führte auch diesen Klangkörper nach Beobachtermeinung mit Können, Fantasie und Disziplin an die Weltspitze zurück. Aufhören will er nach eigener Aussage erst, «wenn ich merke, dass mein Gehör nachlässt.»
Carola Große-Wilde