New York - Er kann Zeichentrick, Kriegsdrama und Weltraumepos. Wer Hans Zimmer auf die Musik für einen Kinofilm ansetzt, bekommt die Gefühle auf der Leinwand doppelt verstärkt aus dem Lautsprecher zurück. Mit «Dunkirk» könnte der Frankfurter seinen zweiten Oscar mit nach Hause nehmen.
Es fühlt sich an wie im Film. Erst Dunkelheit, dann klackert sich behutsam aber stetig ein Schlagzeug in die Stille. Eine Klaviermelodie setzt ein, spaziert einen spielerischen Blues die Tonleiter hinab. Ein Saxofon wiederholt die Melodie, sie wächst heran, bald kommen Bassgitarre, Kontrabass und Streicher dazu. Hans Zimmer, Schöpfer vielfach ausgezeichneter Filmmusik für Hollywood, verwandelt sein Konzert in ein Kinoerlebnis ohne Leinwand.
Wie aus dem Nichts ist Zimmer auf der dunklen Bühne in New York erschienen, wo ihm ein Scheinwerfer zu Klavier, Saxofon und Banjo folgt. Während das Stück Fahrt aufnimmt, hellt sich auch die Bühne auf, 18 Musiker sind jetzt zu sehen. Die Musik verspricht Spannung, Abenteuer, sie weckt Neugier. Es könnte die Titelmelodie zum neuen «Jumanji»-Film sein, oder zu einer Weihnachts-Komödie, oder dem animierten «Cars 3». Bald öffnen sich eine dritte und vierte Ebene, das Orchester des Bühnenmeisters Hans Zimmer ist komplett.
60 Jahre wird Zimmer am 12. September alt, aber das Wort «Ruhestand» scheint für diesen Mann in weiter Ferne. Blind bewegt er sich zwischen den Instrumenten, als er in der Radio City Music Hall sein Programm präsentiert. Die einprägsamen, ultra-harmonischen Kompositionen liefern den Soundtrack für so ziemlich alle Gefühle, die Regisseure jemals auf die Leinwand transportieren wollten: Liebe, Leid, Trauer, Angst, Wut, Verzweiflung, Hoffnung. Die Passagen seiner Stücke lassen im Kopf ganz eigene, neue Filmszenen entstehen.
«We're gonna be all over the place», verspricht Zimmer. «Überall» und «queerbeet» werden er und sein Orchester also unterwegs sein, von dem er einige Mitglieder zu seinen «besten Freunden» zählt. «Queerbeet» komponierte sich der aus Frankfurt am Main stammende Instrumentalist auch durch die Filmwelt, nachdem ihm 1988 mit dem Soundtrack für «Rain Man» der Durchbruch gelungen war. Welche Stimmung ein Film dem Zuschauer auch vermitteln sollte - Zimmer fing sie musikalisch ein.
Das klappte im Zeichentrickfilm «König der Löwen» (1994), für dessen Musik er einen Oscar gewann, in der beißenden Komödie «Besser geht's nicht» (1997), aber auch im Kriegsepos «Der schmale Grat» (1998) und im monumentalen Drama «Gladiator» (2000). Es gelang in Guy Ritchies Abenteuer-Thriller «Sherlock Holmes» (2009), im Science-Fiction-Werk «Inception» (2010) und in der Weltraumsaga «Interstellar» (2014). Zimmers Musik für jeden dieser Filme, so unterschiedlich sie inhaltlich auch sein mögen, wurde für einen Oscar nominiert.
Umso unverständlicher scheint, dass Zimmer die goldene Oscar-Statuette - neben seinen zwei Golden Globes - nicht etwas öfter mit nach Hause nehmen konnte. Das Kaliber eines John Williams («Star Wars») oder John Barry («James Bond 007: Goldfinger») hat er allemal.
Aber die höchste Auszeichnung der Filmwelt könne auch das Ende der Kreativität bedeuten, sagte Zimmer dem Radiosender «Classic FM» 2015: Nach dem Oscar-Sieg und all den lächelnden, leuchtenden Gesichtern habe er sich damals «fantastisch» gefühlt. Aber: Wenn er dem inneren Drang folge, dieses Kunststück wiederholen zu müssen, würde er vom Siegesrausch verführt. «Es war eine gefährliche Erfahrung», sagte Zimmer.
Das bedeutet nicht, dass er mit seiner Musik nicht - gewollt oder ungewollt - nach weiteren Preisen greifen wird. Im Juli ist Christopher Nolans Kriegsdrama «Dunkirk» gestartet, das «Variety» als «ersten Slam-Dunk Oscar-Anwärter des Jahres 2017» bezeichnete. «Die Mischung des Motivs einer tickenden Uhr und der aggressiven Eile der Streicher ist unglaublich wirksam dabei, den Film über jede Strecke voranzutreiben», schreibt das Online-Magazin - und sagt Zimmer dafür schon jetzt eine Oscar-Nominierung voraus.