Das Universalgenie Yusef Lateef wollte ich unbedingt noch hautnah erleben. Anfang November 2012 gelang mir dies endlich in Ludwigshafen – damals war er bereits 92. Mehr als ein Jahr später verstarb der Jazzmusiker am 23. Dezember 2013 in Shutesbury (Massachusetts).
Schon im Teenager-Alter faszinierte mich Yusef Lateef gleich mehrfach. In den 60er Jahren kaufte ich mir zwei Schallplatten mit einem ganz unorthodox jazzenden Lateef. Bei dem Sammelwerk „The Jazz Soul Of Cleopatra“ musizierte der 1920 in Chattanooga, Tennessee, als William Emanuel Huddleston Geborene auf der Querflöte einschmeichelnd im arabischen Idiom. Mit der Oboe blies er auf der LP “The Poll Winners“ wunderschön den „Trouble In Mind Blues“. Die Vinyl-Scheibe mit den großen Gewinnern einer Ende 1964 vom amerikanischen Magazin „down beat“ durchgeführten Leserumfrage präsentierte Yusef Abdul Lateef zudem noch als disziplinierten Saxophonisten – in einer BigBand um den Bassisten Charles Mingus.
Als ich für mein Buch „Postserielle Musik und Free Jazz“ (Herrenberg 1975) recherchierte, stieß ich erneut auf das universelle Œuvre von Yusef Lateef. So spielte der vielseitige Innovator in seinem Stück „Sound Wave“ das elektronische Instrument Theremin (und klang damit wie manche Cage-Musik) oder er komponierte die siebensätzige „Symphonic Blues Suite“, wo er verschiedentlich an die europäische Tradition anknüpfte. Gleich zu Beginn, in der „Folia“, entwickelt Lateef mit nuancierten Sound-Tupfern ein Pendant zur Klangfarbenmusik der Postserialität. Beim nachfolgenden „Minuet (hybryd, atonal)“ gibt es einen Gegensatz zwischen Lateef als Tenorsaxophon-Solisten mit einem expressiven Luft-Ton-Gemisch und einem eher distanziert wirkenden Orchesterklang.
Ein hochgebildeter Künstler und außerordentlicher Mensch, der schon früh zum toleranten „Ahmadiyya Islam“ konvertierte. Beim Abschlusskonzert des Enjoy-Jazz-Festivals 2012 der Metropolregion Rhein-Neckar spielte er im Ludwigshafener BASF-Feierabendhaus vor über 1.300 Zuhörern.
Eine hagere Gestalt in orientalischem Gewand samt weißer Häkelmütze. Yusef Lateef agierte in einem wirklich einmaligen Quintett, das von Archie Shepp angeführt wurde. Das erste Stück des Abends war freitonal und subtil klangforschend. Lateef griff hierbei zu verschiedenen Flöten – zur billigen „tinwhistle“ und zu diversen Kleininstrumenten aus der ganzen Welt. Bei seiner Komposition „Brother Hold Your Light“ spielte Lateef zunächst ausgiebig Querflöte mit seinem nach wie vor warmherzigen Ton, nunmehr aber etwas intonationsgetrübt. Dann betätigte sich der damals 92-Jährige noch als Vokalist – ein Tenor mit einer geradezu jungen und keineswegs brüchigen Stimme. Immerhin hält die Rhythmusgruppe der All-Star-Band die Sache elegant und routiniert zusammen: der inzwischen ebenfalls verstorbene Pianist Mulgrew Miller, Bassist Reggie Workman und Drummer Hamid Drake.
Dann der erwartete Blues auf der Oboe. Ein für den alten Herrn körperlich ungemein anstrengendes Unterfangen – mit dem enormen „Innendruck“ beim Blasen des Doppelrohrblattinstruments. Die Kurzatmigkeit konnte man da Yusef Lateef verziehen. Standing Ovations.
Nun ist eine ganz individuelle Musikstimme für verstummt. In zahlreichen Tonträgern und TV-Aufnahmen lebt Yusef Lateef aber weiter.