London (dpa) - Zwar ist er bereits Großvater, doch für ein Rentnerdasein im Fernsehsessel mit Filzpantoffeln ist Peter Gabriel noch lange nicht reif. In den Siebzigern stellte er als Genesis-Frontmann Progressive Rock auf den Kopf. Danach etablierte er sich als Solokünstler, gründete ein Weltmusik-Festival und engagierte sich für Menschenrechte, während er digitale Musikplattformen entwickelte. Der Superstar wird am Donnerstag (13. Februar) 70 Jahre alt.
Gabriel wuchs auf einer Farm in einer Kleinstadt südwestlich von London auf. Sein Vater war Erfinder und Elektroingenieur, der nebenher noch Kühe hielt; seine Mutter war sehr musikalisch. Beide Eltern stammten aus wohlhabenden, etablierten Familien, daher wurde Gabriel mit 13 auf ein Internat geschickt. «Depressiv und unsportlich», wie er sich später beschrieb, wurde er dort von Mitschülern schikaniert.
Musik half ihm über seine Angst und Isolation hinwegzukommen: Als er das erste Mal «Please Please Me» von den Beatles hörte, löste das «ein gewaltiges persönliches Erwachen aus, ein Sprung in ein neues Reich», erinnerte sich Gabriel in einem Interview der Musikzeitschrift «Spin» auf der Höhe seines Erfolgs 1986. Seither bedeutet Musik für ihn Therapie; später bezeichnete er sie als «emotionalen Werkzeugkasten», an den man sich in entscheidenden Momenten des Lebens wenden könne.
1967 gründete er mit drei Schulkameraden die Band Genesis. Doch Hitalben wie «Nursery Cryme» (1971) und «Foxtrot» (1972) entstanden erst, als Steve Hackett und Phil Collins dazu stießen. Daraufhin wurden Gabriels Shows immer extremer, mal sang er mit Fuchskopf und im roten Designerkleid, dann verwandelte er sich in die behelmte Britannia für «Dancing with the Moonlit Knight».
Doch trotz des weltweiten Erfolgs der Rockoper «The Lamb Lies Down on Broadway» verließ Gabriel 1975 unerwartet die Band: Seine Tochter war kurz zuvor bei der Geburt fast gestorben, und der Superstar zog sich in seinen Gemüsegarten zurück und studierte Weltmusik, Religionen und Philosophie.
In seiner ersten Solo-Single «Solsbury Hill» (1977) rechnete Gabriel mit seiner Zeit bei Genesis ab. Seine ausgefallenen Texte, innovativen Klänge und afrikanischen Einflüsse schufen ungewöhnliche Popsongs. Mit seiner dritten «Peter Gabriel»-Platte begann 1980 sowohl kreativ wie auch kommerziell der Höhepunkt seiner Solokarriere. Die Auskoppelung «Sledgehammer» vom Album «So» wurde sein größter Hit; das surreale Musikvideo schlug auf MTV alle Rekorde.
Seit dem Song «Biko» über den ermordeten südafrikanischen Apartheid-Aktivisten und Dichter war klar, dass Peter Gabriels politisches Engagement weit über Weltmusik hinausging. Er drückte Menschenrechtsaktivisten Kameras in die Hand mit seiner Organisation «Witness» und initiierte die Idee der «Elders», bei der sich Persönlichkeiten wie Desmond Tutu, Jimmy Carter oder Kofi Annan für das Gute in der Welt einsetzen.
Gabriels Song «Down to Earth» für den Kinofilm «WALL-E - Der Letzte räumt die Erde auf» wurde für den Oscar nominiert. Er vertonte außerdem Alan Parkers Kultfilm «Birdy» und Martin Scorseses Streifen «Die letzte Versuchung Christi». Eine Auswahl seiner preisgekrönten Filmmusik veröffentlichte er im April 2019 unter dem Titel «Rated PG». Denn seit dem 2002er-Album «Up» schreibt er kaum mehr Neues, stattdessen recycelt er altes Material - zuletzt brachte er im September 2019 das rein digitale «Flotsam and Jetsam» mit B-Seiten und Raritäten heraus.
Natürlich hoffen viele Genesis-Fans noch immer auf ein Wiederauferstehen der ursprünglichen Band. Doch ob das jemals passieren wird, bleibt Peter Gabriels Geheimnis. Bis dahin entspannt er sich - so verriet er dem «Guardian» - bei Kajakfahren und Kochen am Lagerfeuer und «schneidet geheime Wege durch das Unterholz».