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Musik anstoßen, ihr beim Wachsen zusehen: Claude Nobs, Gründer des Montreux-Festivals, ist tot

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Claude Nobs hat die Musikwelt verändert, als Visionär, Netzwerker und Leiter der Montreux Jazz Festivals. Am 10. Januar starb er an den Folgen eines Skiunfalls, wenige Wochen vor seinem 77. Geburtstag.

Es ist, als würde man einen Banktresor betreten. Große Drehkreuze bewegen massive Regalwände, in denen Tausende von Ton- und Videobändern lagern. Die Räume sind ausgewogen klimatisiert, umfassend gesichert und man kommt nur mit Genehmigung dorthin. Denn sie beherbergen einen Schatz der modernen Musikgeschichte: das Archiv des Montreux Jazz Festivals. Früh hatte Claude Nobs verstanden, dass auch der noch junge Pop, Rock und der damals populär werdende Jazzrock seine Chronisten braucht. Und als er 1967 zum ersten Mal, damals noch gemeinsam mit seinen Compagnons Géo Voumard und René Langel, das Montreux Jazz Festival veranstaltete, waren bereits Kameras und Mikrofone dabei, die das Ereignis für die Nachwelt festhielten. Nahezu jeder Künstler des Rock, Soul und Jazz machte seitdem am Genfer See Station und aus der fixen Idee wurde eines der umfangreichsten Archive seiner Art.

Smoke On The Water

Claude Nobs war ein umtriebiger Mensch. Wer das Festival in Montreux besuchte, konnte erleben, wie er eigentlich überall präsent war und selbst das späteste Konzert in der Regel noch persönlich ansagte. Wer ihn in seinen Chalets hoch über dem Genfer See besuchte, konnte auf Carlos Santana treffen, im Gespräch mit Quincy Jones vertieft, auf Berühmtheiten ihres Business, die jedoch im ungezwungenen Ambiente bei Raclette und gutem Wein ihre Eitelkeiten ablegten. Denn auch das gehörte zu Nobs Leidenschaften. Er wollte Menschen verbinden, deren Kompetenzen verknüpfen, Ereignisse anstoßen. Gerne erzählte er Geschichten wie die von Ritchie Blackmore, der den Song „Smoke On The Water“ gar nicht auf dem Album „Machine Head“ haben wollte, weil er ihn für zu schlicht hielt, und erst auf Drängen vom Plattenmann Nobs, der damals bereits eng mit dem Label WEA und Größen wie Nesuhi Ertegun verbunden war, vom Gegenteil überzeugt wurde. Den Song, der überhaupt erst entstanden war, weil Deep Purple Monate zuvor den Brand des Casinos in Montreux miterlebt hatten, den ein verirrter Feuerwerkskörper bei einem Konzert von Frank Zappa verursacht hatte.

Leben für die Musik

„Meine Idee dabei war immer, nur der Anschieber zu sein“, erzählte Claude Nobs in einem Interview. „Wir bringen die Leute zusammen und dann machen sie ihr völlig eigenes Ding. Selbst bei Künstlern wie John McLaughlin, der 13 mal in Montreux war, und Herbie Hancock, der 16 mal kam, gab es nie dasselbe zu hören. Sie waren immer mit unterschiedlichen Bands zu Gast und spielten neue Programme. Für mich gehört das zur eigentlichen Kraft des Jazz, sich ständig zu verändern und immer etwas Neues anzufangen. Ich hatte allerdings nie die Ruhe, mich selbst in ein Studio zu stellen und Leute zu produzieren. Meine Art ist es eher, ein Klima zu schaffen, in dem etwas entstehen kann.“ So hatte er es mit den Menschen um sich herum, aber auch mit sich selbst gehalten.

Geboren 1936 in Yola-Iaïtou, einem Dorf in der Nähe von Montreux, wuchs der junge Claude in der relativen Abgeschiedenheit der Schweizer Berge am Genfer See auf. Der Vater war Bäcker, die Mutter Krankenschwester und eines der modernsten Einrichtungsstücke zuhause war das Grammophon. Es machte dem Jungen Spaß, sich die Schellack-Scheiben anzuhören, sie mit Sternchen zu bewerten, vor sich hin zu träumen, zumindest bis der Ernst des Lebens Entscheidungen forderte: „Eines Tages schickte mich mein Vater aus dem Haus und sagte, ich solle mir einen Job suchen. Nachdem die Arbeitszeiten nicht ganz so verheerend waren, wie bei ihm, es aber doch irgendwie mit seiner Profession zu tun hatte, beschloss ich, Koch zu werden. Kurioserweise bin ich ausgerechnet dadurch wieder auf den Geschmack der Musik gekommen. Denn gleichzeitig mit meiner Ausbildung in der Küche startete im Radio eine beliebte Sendereihe, in der viel Jazz zu hören war und die ständig im Hintergrund lief. So wurde ich quasi gleichzeitig an das Kochen wie an die Musik herangeführt.“

Vom Koch zur Musik

Claude Nobs schaffte es nach seiner Ausbildung am renommierten „Schweizerhof“ in Basel zum gefragten Jungkoch, dessen Karriere an den großen Häusern vorgezeichnet schien. Als ihm allerdings der Leiter des Fremdenverkehrsamtes von Montreux anbot, ob er nicht in offiziellem Auftrag nach Paris und in andere europäische Städte reisen wollte, um Werbung für den siechenden Heimatort zu machen, willigte er ein und zog nun Mitte der Sechzigerjahre durch die Metropolen. Er lernte die Welt und viele Künstler kennen, knüpfte Kontakte und hatte daher schon etwas in der Hand, als man sich in seiner Heimatstadt Gedanken machte, wie man noch mehr Touristen anlocken könne. Der Gedanke eines Jazzfestivals entstand. Nobs, der es mit Beharrlichkeit geschafft hatte, sogar den legendären Atlantic-Chef Nesuhi Ertegun kennen zu lernen, setzte alle Hebel in Bewegung und brachte das Charles Lloyd Quartet mit dem jungen Keith Jarrett am Klavier zum ersten Festival nach Montreux. Das war der Start, den es gebraucht hatte. Die Aufmerksamkeit der Szene war geweckt und das Festivals konnte sich über die Jahre zu einem zentralen Treffpunkt der Musikwelt entwickeln.

Labelchef, Mentor, Visionär

Von da an ging es zügig voran. Claude Nobs brachte die Stars in die Schweiz, wurde 1973 auch Chef der nationalen Dependance der WEA, archivierte und veröffentlichte die Musik des Festivals, und brachte immer wieder Menschen zusammen. Künstler wie John McLaughlin oder Herbie Hancock hörten nach dem ersten Dutzend Auftritte auf zu zählen, wie oft sie schon mit ihren verschiedenen Projekten in Montreux zu Gast waren. Koryphäen wie Miles Davis, Ella Fitzgerald oder Sonny Rollins, aber auch Led Zeppelin, Jethro Tull, Prince oder Radiohead gaben sich die Ehre. Der Stilmix, zunächst ein Kritikpunkt der Puristen, wurde zum Markenzeichen des Festivals, die Plakate, gestaltet von Künstler wie Keith Haring, James Rizzi oder Musikern wie David Bowie oder Phil Collins, entwickelten sich zu Sammlerobjekten.

Immer wieder stieß Nobs Trends an, exportierte etwa ganze Künstlerpakete unter dem Montreux-Label in die Welt oder entwickelte große DVD-Editionen. Er war der Knotenpunkt einer Szene, und ließ es sich übrigens auch nicht nehmen, gelegentlich mit seiner Mundharmonika auf der Bühne einzusteigen. Seit ein paar Jahren zog er sich allerdings aus gesundheitlichen Gründen mehr und mehr aus der Tagesgeschäft zurück. Am 24. Dezember 2012 verunglückte Claude Nobs beim Skilanglaufen und musste operiert werden. Er fiel ins Koma und starb am Donnerstag in Lausanne. Als umsichtiger Netzwerker mit tiefer Passion für die Musik hatte er bereits seit langem dafür gesorgt, dass sein Erbe in Form des Festivals auf einem Fundament steht und dass die Arbeit auch in Zukunft weiter geführt werden kann. Denn das ist echte Leidenschaft: Musik anstoßen, ihr beim Wachsen zusehen und sie dann freigeben, damit sie die Welt ein bisschen schöner macht.

 

Siggi Loch (ACT) zum Tod von Claude Nobs:

"Claude Nobs hat uns verlassen. Wir trauern um einen außergewöhnlichen Menschen, der es mit seinem Charme und unwiderstehlichen Optimismus immer wieder geschafft hat, Menschen für seine eigenen Träume und unkonventionellen Ideen zu begeistern und mitzureißen. So ist es ihm gelungen, in dem einst verschlafenen Montreux eines der größten Jazzfestivals der Welt zu etablieren. Niemand, der ihn kannte und erleben durfte, wird jemals seine große Gastfreundschaft und Musikbegeisterung vergessen. Ich hatte das Privileg, Claude seit über 40 Jahren zu kennen. Wir wurden Freunde und jede Begegnung mit ihm hat mein Leben bereichert. Dafür bin ich zutiefst dankbar und werde die Erinnerungen für immer in meinem Herzen tragen. Unsere Gedanken sind jetzt bei seiner Familie und Mitarbeitern."

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