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Im Wiesbadener Arbeitszimmer: Gottfried Möckel. Foto: Charlotte Oswald
Im Wiesbadener Arbeitszimmer: Gottfried Möckel. Foto: Charlotte Oswald
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Musik verlegen heißt auch ihre Geschichte fortschreiben

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Zum Tode des großen Musikverlegers Gottfried Möckel, Geschäftsführender Gesellschafter bei Breitkopf & Härtel
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Von Alfred Schlee, dem einstigen Direktor der Wiener Universal Edition, gibt es eine schöne Anekdote. Als Schlee kurz nach dem Krieg den jungen Pierre Boulez und eine von dessen frühen Kompositionen kennenlernte, lud er den Komponisten zu einem Ausflug in ein Bergrestaurant ein. Dort wollte man sich im Anblick der majestätischen Alpenkulisse über eine künftige Zusammenarbeit verständigen. Unglücklicherweise herrschte an dem Tag dichter Nebel. Man sah überhaupt nichts. Schlee erschütterte das nicht. Er ging zum Kiosk und erwarb eine Ansichtspostkarte vom Bergpanorama, die er Boulez anstelle des realen Anblicks präsentierte.

Man kann diese kleine Geschichte durchaus symbolisch betrachten. Was zeichnet einen guten Musikverleger aus? Zum Beispiel, dass er Talente selbst im dicksten Nebel findet. Dass er das Risiko nicht scheut, im Nebel der jungen Komponisten so lange herumzustochern, bis er den Einen und Wichtigen gleichsam „aufgespießt“ hat. Erfahrung, eine große eigene Musikalität, ein Gespür für kompositorische Qualitäten, ein feines sensorisches Gefühl für die Persönlichkeit und das Schaffen des jeweiligen Komponisten – das alles sind wichtige Voraussetzungen für den Erfolg eines Musikverlegers. Ein Musikverleger dieser Art war auch Gottfried Möckel. Am 10. April 1926 in Jaur bei Liegnitz geboren, kam er 1979 zum Musikverlag Breitkopf & Härtel, den er zusammen mit der Härtel-Nachfahrin Lieselotte Sievers bis zuletzt leitete.

Der Verlag kann auf eine stolze Vergangenheit zurückblicken – das Gründungsdatum nennt das Jahr 1729 in Leipzig. Aber Tradition bedeutet nichts, wenn die Zeitumstände dagegen stehen: Das Leipziger Stammhaus wurde im Krieg zerstört, der Verlag Anfang der fünfziger Jahre durch die DDR enteignet. In Wiesbaden fand man einen neuen Anfang. In Möckels Zeit fällt die bemerkenswerte Expansion des Musikverlages. 1984 wird in Paris eine Außenstelle eingerichtet. Die Leipziger Besitzstände werden nach der Wende zurück übertragen, der Deutsche Verlag für Musik Leipzig neu erworben. Seit 1992 firmiert Breitkopf & Härtel mit den Standorten „Wiesbaden, Leipzig, Paris“.

Gottfried Möckel, ein gelernter Wirtschaftsfachmann aus früheren Zeiten, hat schnell erkannt, dass die Liebe zur Musik allein nicht ausreicht, einen Musikverlag auf eine solide ökonomische Basis zu stellen. Das Verlagsprogramm von Breitkopf & Härtel ist breit angelegt. Viele der kritischen Editionen, vor allem im Bereich Klassik und Romantik, wurden mehrfach mit dem Deutschen Editionspreis ausgezeichnet. Die große Verlagstradition der Gesamtausgaben des 19. Jahrhunderts wurde 1997 mit der „Leipziger Ausgabe“ der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy wieder aufgenommen. Es folgten die Gesamtausgaben für Jean Sibelius und Hanns Eisler. Gottfried Möckel wusste aber auch, dass die Zukunft der Musik nur dann gesichert ist, wenn es gelingt, ihre Geschichte fortzuschreiben, das schöpferische Potenzial neuer Komponisten zu entdecken und zu fördern. Möckel hat, um auf den Anfang zurückzukommen, auf seine vornehme und ruhige Art und Weise im „Nebel“ gesucht und ein wunderbares Komponistenensemble für seinen Verlag zusammengebracht: Helmut Lachenmann, Nicolaus A. Huber, Hans Zender, Adriana Hölszky, Hanspeter Kyburz, Martin Smolka, Isabel Mundry und die junge Misato Mochizuki, deren Oper gerade in Luzern uraufgeführt wurde. Gottfried Möckel hätte die Premiere auf jeden Fall wahrgenommen. Seine hohe Gestalt war bei allen wichtigen Musikereignissen präsent. Jetzt vermissen ihn alle, die ihn kannten, schmerzlich. Nach kurzer schwerer Krankheit ist Gottfried Möckel in Bad Soden im Alter von zweiundachtzig Jahren gestorben.

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