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Nike Wagner wird 70 und diagnostiziert: Bayreuth tief in der Krise

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Bayreuth - Zehn Jahre lang leitete sie das Kunstfest Weimar, nun ist sie Intendantin des Bonner Beethovenfests. Und doch verpflichtet der Name vor allem in Sachen Bayreuth und Richard Wagner: Nike Wagner, Urenkelin des ebenso bekannten wie umstrittenen Komponisten, wird am 9. Juni 70 Jahre alt. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht sie über ihren Wechsel von Weimar nach Bonn, über ihre Vorfahren Franz Liszt und Wagner - und natürlich über die Bayreuther Festspiele: «Fifa ist überall».

Interview: Kathrin Zeilmann, dpa

Frage: Von Weimar nach Bonn - was unterscheidet die beiden Städte aus Ihrer Sicht als Kultur-Orte?

Antwort: Weimar ist von der Kulturgeschichte geprägt, Bonn vom Beamtentum, der Universität und der Politik. Was sie gemeinsam haben, sind ein paar Bestimmungen in den republikanischen Verfassungsentwürfen: Der Weimarer Versuch ist gescheitert, der Bonner geglückt.

Frage: Beethoven ist ein Künstler, der weltweit rezipiert wird. Im Vergleich zur Verbindung Mozart und Salzburg erscheint das Band Beethoven und seiner Geburtsstadt Bonn eher lose: Ließe sich das ändern? Oder ermöglicht Ihnen genau das künstlerische Freiheiten?

Antwort: Bei den Karl-May-Festspielen gibt es Pferde, beim Beethovenfest Beethoven. So viel steht fest. Dann beginnen die Schwierigkeiten. Beethoven blieb im Unterschied zu Mozart seiner Geburtsstadt immer positiv verbunden. Sie hat es ihm jedoch nur zögerlich gedankt. Franz Liszt hat das Bonner Beethoven-Denkmal bezahlt und ein Beethovenfest erzwungen, eingebürgert hat es sich nie so recht. Und dass es die wilde Nationalsozialistin Elly Ney war, die sich hier für Beethoven einsetzte, macht die Sache nicht besser. Inzwischen aber besinnt sich Bonn auf seinen großen Sohn, will ihn ehren, feiern und vorneweg stellen. Führt im Namen Beethovens einen verzweifelten Kulturkampf, will ihm ein neues Festspielhaus bauen. All dies heißt für mich: Wir müssen Beethoven in Bonn festigen und in die Gegenwart ziehen und zugleich neue Wege suchen: ein Festival in seinem widerborstig-eigenwillig-kreativen Geist machen.

Frage: Im Deutschlandfunk hieß es erst kürzlich über Sie: Mit dem Namen Wagner sei man immer «Teil des Theaters, da entkommt man nicht». Sehen Sie das auch so?

Antwort: Richtig, aus der Verwandtschaft kann man nicht austreten. Man kann sich nur anderswo Freunde suchen. Und neue Orte. Weimar war ein Glücksfall für mich: Freiheit in der Programmierung, das Einbringen von zeitgenössischer Musik und Kunst, das Lernen vom Ost-Erbe, der local hero Franz Liszt. Damit ließ sich umgehen, das gab ein Spielfeld. Nun Bonn. Und schon wieder Familienbande: Bei Beethoven hat Wagner das Komponieren gelernt und auch Liszt war bedingungsloser Beethoven-Fan. Der Einstieg ins Rheinische ist also angenehm vorprogrammiert - Bayreuth dagegen tief in der Krise. Leider nicht in einer besonders fruchtbaren.

Frage: Über die Richard-Wagner-Stiftung sind Sie und Ihre Geschwister in Bayreuth präsent. Sie haben deutlich beklagt, dass der Einfluss der Stiftung ausgehöhlt wird. Wie ist hier der derzeitige Sachstand? Zeichnet sich eine Lösung ab?

Antwort: Fragen Sie mich was Einfacheres! Mein Familienzweig - Wieland Wagners geistigem Erbe verpflichtet - kämpft schon seit langem gegen das Aushöhlen der Rechte der Stifterfamilie in der Stiftung. Aber da gibt es die nahezu unendlichen bayerisch-oberfränkisch-mäzenatischen Kungeleien. Fifa ist überall. Wir erwägen die Klage. Dass man der 95-jährigen Enkelin Wagners nur noch Zahlkarten in Bayreuth zugesteht, ist bloß ein pikantes Detail in diesen unsauberen Zusammenhängen und all diesen historischen Gefühllosigkeiten.

Frage: Was bedeutet die Musik Wagners für Sie?

Antwort: Ein Fluidum. Vertrauter Klang. Jeder vernünftige Mensch seit Nietzsche und Thomas Mann weiß, dass Wagner keineswegs nur auftrumpfend-vereinnahmend ist. Seine psychologische Raffinesse und seine Kapitalismuskritik sind nur zu bewundern. Und wir reden da noch nicht von der Musik.

Frage: Und was bedeutet Franz Liszt, der Ururgroßvater, für Sie?

Antwort: Liszt war ein großer Europäer und ein wunderbarer Charakter. Und er war «Zukunftsmusiker». Ich identifiziere mich mit Vergnügen mit dieser Weltklasse-Figur. Den Klaviervirtuosen können wir nicht mehr hören, aber seine besten Kompositionen sollten endlich ins Repertoire - sie bewegen Himmel und Hölle.

Frage: Verraten Sie, in welchem Rahmen Sie Ihren Geburtstag feiern werden?

Antwort: Das eigentliche Datum werde ich irgendwie unterlaufen. Vielleicht überdenken, wie alles so kam. Ich bin so alt wie das Kriegsende. Zu einem späteren Zeitpunkt wird gefeiert - mit Klavier und Posaune, mit Lust und Liszt.

 

ZUR PERSON:

Nike Wagner wuchs mit ihren Geschwistern Iris, Wolf-Siegfried und Daphne in Bayreuth auf, ihr Vater Wieland leitete gemeinsam mit Bruder Wolfgang Wagner die Festspiele. Nach Wielands Tod 1966 war das Kapitel Bayreuth für den Wieland-Zweig zunächst beendet. Nike Wagner studierte Musik-, Theater- und Literaturwissenschaft in Berlin, Chicago, Paris und Wien und promovierte über Karl Kraus. Bis 2013 leitete sie das Kunstfest Weimar, nun ist sie Chefin des Beethovenfests in Bonn. Publizistisch setzte sie sich immer wieder mit Bayreuth, den Festspielen und Richard Wagner auseinander. Ihre Versuche, die Leitung des weltberühmten Festivals zu übernehmen, scheiterten.

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