Manfred Trojahn 60 - Reinhard Lüttmann 80 - Giselher Klebe
Manfred Trojahn 60
Manfred Trojahn, einer der profiliertesten deutschen Komponisten, wird am heutigen Donnerstag sechzig Jahre alt. Trojahn, am 22. Oktober 1949 in Cremlingen geboren, war Kompositionsschüler bei Diether de la Motte und György Ligeti, studierte Flöte bei Karlheinz Zöller und Dirigieren bei Albert Bittner. Seit 1991 unterrichtet er als Professor für Komposition an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf. Von 2004 bis 2006 war er Präsident des Deutschen Komponistenverbandes, seit 2008 stellvertretender Direktor der Sektion Musik an der Akademie der Künste in Berlin. Manfred Trojahns fast kaum noch zu überblickendes kompositorisches Schaffen umfasst fünf Sinfonien, Kammermusiken für die verschiedensten Formationen vom Duo bis zum Oktett, zahlreiche Orchester-und Ensemblestücke, Bühnenmusiken und eine bemerkenswerte Anzahl von Vokalkompositionen. Trojahns ausgeprägtes Gespür für spezifische vokale Eigenheiten führten ihn fast zwangsläufig zur Oper. Seine dramatische Komödie „Enrico“ nach Pirandello hinterließ bei ihrer Uraufführung 1991 bei den Schwetzinger Festspielen einen starken Eindruck. Mit der Oper „Was ihr wollt“, nach Shakespeares Komödie, bewies der Komponist, dass das von der Kritik gern verteufelte Genre der „Literaturoper“ durchaus noch Zukunftschancen besitzt. Weitere Opern nach literarischen Vorlagen waren die „Limonen aus Sizilien“ (nach Pirandello und Eduardo De Filippo) und „La grande magia“ (Der große Zauber), nach dem gleichnamigen Stück von De Filippo. Für Mozarts Oper „La clemenza di Tito“ komponierte er für eine neue Inszenierung 2002 in Amsterdam die Rezitative neu, wodurch das Werk einen frappierenden modernen Tonfall erhielt, die Figuren mit ihren dramatischen Verwicklungen scharf und plausibel als zeitlos hervortraten. [gr]
Reinhard Lüttmann 80
Zwischen 1996 und 1999, bereits im Ruhestand, reformierte Prof. Dr. Reinhard Lüttmann in drei längeren Aufenthalten das Musikstudium der Mongolei, gründete mongolische Musikschulen und bildete dort (zusammen mit seiner Frau Sibylle Endris-Lüttmann) die ersten mongolischen Musiklehrer/-innen im Fach „Elementare Musikerziehung“ aus. Die Mongolei bedankte sich mit einer glänzenden Medaille: „Vorbildlicher Mitarbeiter auf dem Gebiete der Kultur“.
Nach dem Abitur studierte der Düsseldorfer Lüttmann Klavier bei Franzpeter Goebels, ab 1949 Oboe bei Karl Mergler am Robert Schumann-Konservatorium. Das Oboenstudium setzte er von 1952 bis 1955 am Conservatoire Supérieur de Musique in Paris bei Maitre Bleuzet fort (1er Accessit). 1969 erfolgte die Staatliche Musiklehrerprüfung, 1979 die Promotion zum Dr. phil. in Musikwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Kunstgeschichte in Münster. 1955 wurde Lüttmann erster Oboist am Staatstheater Ljubljana und des Kammerorchesters von Radio Zagreb. Von 1957–1969 war er Solooboist des Symphonieorchesters der Stadt Münster. Zusätzlich war er in diesen Jahren ein sehr gefragter Solist – Jürg Baur widmete ihm gleich zwei bedeutende Oboenkompositionen.
Reinhard Lüttmann war von 1992 bis 1995 Dekan der Hochschule für Musik Detmold (Abteilung Münster). Schon 1972 wurde Lüttmann dort zum Professor für Oboe und Musikerziehung ernannt. Dem ging seit 1969 seine Tätigkeit als Oboenlehrer und Leiter des Seminars für Musikerziehung an der Westfälischen Schule für Musik (Münster) voraus. Lüttmann publizierte und komponierte, war bundesweit Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Seminarleiter Nordrhein-Westfalens und erhielt das Bundesverdienstkreuz. Mit Ehefrau Sibylle Endris-Lüttmann gründete er die RME-Akademie (Akademie Rhythmisch-Musikalische-Erziehung Idstein). [Heike Eickhoff]
Giselher Klebe
In einer seltsamen Mischung aus Bewunderung und Anrührung reiste man im vergangen Jahr nach Detmold zu einer Uraufführung der besonderen Art: Giselher Klebe, der große Altmeister der Literaturoper in den Jahrzehnten nach dem Krieg, hatte nach langer Pause noch einmal zum Notenstift gegriffen um eine neue letzte Oper zu schreiben: die musikalische Komödie „Chlestakows Wiederkehr“, nach dem bekannten Theaterstück „Der Revisor“ von Gogol. Das Wort „Wiederkehr“ im Titel durfte man dabei auch auf den Komponisten selbst beziehen: Auch er war noch einmal wiedergekommen und wollte sich, wie das bewunderte Vorbild Verdi, mit einer Komödie von der Bühne verabschieden.
Dass die Gattung der „Literaturoper“ in heutigen Tagen in ästhetischen Verruf geraten ist, hat den am 28. Juni 1925 in Mannheim geborenen Giselher Klebe nie irritiert. Er führte mit den Großen der Literaturwelt intensive und gebildete Gespräche, fasste die Dialoge in Musik und so entstand eine beeindruckende Reihe neuer Operntitel: „Die Räuber“ nach Schiller, „Alkmene“ nach Kleist, „Die tödlichen Wünsche“ nach Balzac, „Die Ermordung Cäsars“ nach Shakespeare, „Das Mädchen aus Domrémy“ nach Schillers „Jungfrau von Orléans“. Horváth lieferte die Vorlage für die Oper „Figaro lässt sich scheiden“, Zuckmayer für „Die Fastnachtsbeichte“, Zola für „Gervaise Macquart“. Mit „Jacobowsky und der Oberst“ nach Franz Werfels Theaterstück gelang dem Komponisten eine tiefmenschliche, wunderbar gelöste Komödie mit tieferer Bedeutung. Man sollte sie wieder häufiger aufführen, ebenso die sperrig rauhen „Räuber“ oder die poetische „Alkmene“. Giselher Klebe hat einen Anspruch darauf, dass wenigstens seine stärksten Werke für die Bühne von Zeit zu Zeit eine szenische und musikalische Erprobung erfahren. Jetzt ist Giselher Klebe im Alter von 84 Jahren in Detmold gestorben. [Gerhard Rohde]
Makrokosmos aus Klängen und Geräuschen
Dem amerikanischen Komponisten George Crumb zum 80. Geburtstag
Wer nie Musik hört, aber oft ins Kino geht, kennt den am 24. Oktober 1929 geborenen George Crumb. In William Friedkins 1973 gedrehtem Horrorfilm „Der Exorzist" erklingt Crumbs elektrisch verstärktes Streichquartett, das den Titel „Black Angels" trägt. Ein großartiges Stück Musik. George Crumb, in Charleston, West Virginia, in einer Musikerfamilie geboren, wurde nach seinen Studien – Klarinette, Klavier, Komposition – in Euro-pa lange kaum beachtet, obwohl er auch bei Boris Blacher in Berlin studiert hatte. In den fünfziger und sechziger Jahren dominierte in der Neuen Musik, besonders in Deutschland, der „Geist Darmstadts", ein strenger Serialismus, für den es nichts Verderblicheres gab als Musik, die ihre Eingebungen von außermusikalischen Impressionen empfing.
Da stand George Crumb nun quer zur herrschenden Tendenz. Seine Musik huldigte der Nacht, dem Mond und den Tierkreiszeichen. Die Partituren waren als „Magische Zirkel" oder „Galaktische Spiralen" notiert. Das abendländische Instrumentarium bereicherte er durch tibetanische Gebetssteine oder chinesische Tempelblocks. Und die Kritik stand seinem Komponieren ratlos gegenüber: Mystiker, Visionär, okkultistischer Spinner waren nur einige der Bezeichnungen, mit denen er bedacht wurde.
Heute sieht man Crumbs Schaffen aus verschiedenen Perspektiven. Viele Gegenwartskomponisten entdecken die Vergangenheit, nicht für eine Rückkehr, vielmehr als Grundlage des Kontinuums der Musikgeschichte. Beethovens Spätwerk tritt in neuen Kompositionen als Beginn eines neuen Musikdenkens hervor. Schuberts und Schumanns dunkle Romantik findet sich in neuen Stücken wieder, Debussy wird als Ausgangspunkt moderner Klangerkundungen erfahren. George Crumb hat vieles davon in seinem Werk umgesetzt. Chopin, Debussy, Bartók wehen in speziellen Zitiertechniken in Kompositionen hinein, Schubert oder Messiaen klingen auf, auch orientalische und fernöstliche Musikwelten werden beschworen. Crumb selbst begreift solche Rückgriffe nicht als einfaches Zitieren, sondern als Beschwören der Geschichte: Klänge, Geräusche, alle tönenden Erfahrungen des Lebens werden ins Unbewusste aufgenommen und kehren dann in neuer Form in die Realität zurück. Platons Imagination einer Göttin Fama, die in ihrem Himmelspalast alle Klänge und Geräusche durch tausendfache Öffnungen ihres Hauses auffängt, kommt in den Sinn: Der Schweizer Komponist Beat Furrer hat aus dieser Vision ein faszinierendes Musiktheater gefiltert, das er „Fama" nannte. Bei Crumb erscheinen die empfangenen Klänge amalgamiert, auch die Naturerfahrungen seiner Jugend finden ihren Niederschlag in einer subtilen Klang-Echo-Technik, mit der er feinste Schwingungen einfängt und ausbalanciert – Crumb wuchs in einem Flusstal in den Appalachen auf, in dem nach seinen Bekundungen eine besondere Echo-Akustik auftritt. „Gespenstisch" klinge es dort. Eine Vortragsbezeichnung in seinem Klavierhauptwerk „Makrokosmos" heißt denn auch „Hauntingly echoing (like an Appalachian valley acoustic)". [Gerhard Rohde]