Zum Tod des Alte-Musik-Pioniers Gustav Leonhardt – Richard Rudolf Klein – Bregenz vakant – Helmut Müller-Brühl verstorben – Patricia Gläfcke – Boecker für Beethoven – Rademann löst Rilling ab
Cembalo als Elementarerlebnis – Zum Tod des Alte-Musik-Pioniers Gustav Leonhardt
Die erste Einstellung der „Chronik der Anna Magdalena Bach“ von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet von 1967 ist nicht nur bezeichnend für die Arbeitsweise der beiden Filmemacher, sondern auch für das Selbstverständnis ihres Protagonisten: Gustav Leonhardt, der in diesem semifiktionalen, komplette Werksätze in langen Einstellungen ins Zentrum stellenden Film Johann Sebastian Bach in zweierlei Wortsinn „spielt“, ist von hinten, am Cembalo sitzend, zu sehen. Die Kamera bleibt unbeweglich, der Blick richtet sich auf die Noten und auf Leonhardts Hände, die in unnachahmlicher Weise die Kadenz aus dem 5. Brandenburgischen Konzert durchmessen. Virtuos in der artikulatorischen Umsetzung des raschen Tempos, rhythmisch sehr genau, aber nie starr im Puls bleibend, die wenigen agogisch gestalteten Schlüsselmomente souverän ansteuernd. Die Person Bachs/Leonhardts tritt hinter dem Werk zurück, das sich gleichwohl in seiner ganzen Größe offenbart.
Gustav Leonhardt, 1928 in Nordholland geboren, hatte das Cembalo als 15-Jähriger entdeckt und studierte das Instrument zusammen mit der Orgel an der Schola Cantorum Basiliensis. Mit seinem Instrumentalspiel, seiner Tätigkeit als Dirigent (Mitte der 1950er-Jahre hatte er das Leonhardt Consort gegründet) und als Professor am Amsterdamer Konservatorium prägte er die Alte-Musik-Bewegung entscheidend mit.
Nikolaus Harnoncourt – zusammen mit ihm realisierte Leonhardt zwischen 1971 und 1990 die Gesamtaufnahme der Kantaten Johann Sebastian Bachs, eine diskografische Großtat und ein Meilenstein der Interpretationsgeschichte – bezeichnete die erste Begegnung mit dessen Cembalospiel einmal als „Elementar-
erlebnis“. „So spielt man Cembalo und nicht anders“, das sei sein Eindruck gewesen. Am 16. Januar 2012 ist Gustav Leonhardt, der bis Ende des vergangenen Jahres noch konzertiert hatte, in Amsterdam gestorben. [jmk]
Richard Rudolf Klein
Der Frankfurter Geiger Alois Kottmann drückte es so aus: „Die Schlichtheit und Einfachheit im Gewand mittelalterlicher Kirchentonarten bilden die Struktur Richard Rudolfs Kleins musik-künstlerischer Inhalte.“ Der am 21. Mai 1921 in Nußdorf/Pfalz geborene Komponist, dem durch den Verlust eines Beines im Zweiten Weltkrieg eine Karriere als Dirigent versagt geblieben war, entschied sich nach Kompositionsstudien bei Wolfgang Fortner und Philipp Mohler bewusst für einen verständlichen, konservativen Stil. Im Jahr 1948 erlangte Klein die Künstlerische Reife in Dirigieren und Komposition und erhielt im Alter von 27 Jahren als einer der Jüngsten einen Lehrauftrag für Tonsatz an der Musikhochschule Stuttgart. Später wurde er Dozent für Musiktheorie an der Nordwestdeutschen Musikakademie in Detmold und in der Zeit von 1960 bis 1984 lehrte er Komposition, Formenlehre, Partitur- und Generalbass-Spiel an der Musikhochschule Frankfurt am Main, ab 1965 als Professor. Von 1985 bis 1996 lehrte Klein an Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt am Main. Am 17. Dezember des vergangenen Jahres ist Klein verstorben.
Bregenz vakant
Dem designierten Intendanten der Bregenzer Festspiele, Roland Geyer, hatte vorgeschwebt, „künftig in einer Liga mit Opernfestivals wie Aix-en-Provence, Glyndebourne oder Bayreuth zu spielen“, wie er gegenüber der Nachrichtenagentur dapd sagte. Vier große Opernproduktionen sollten pro Jahr stattfinden, das Bregenzer Festspielhaus und das Kornmarkttheater sollte gegenüber der Seebühne aufgewertet werden. Der Hintergrund von Geyers Überlegungen war es, finanzkräftige Publikumsschichten zusätzlich zu erschließen.“ Ende Januar trennten sich jedoch die Privatstiftung und Roland Geyer bereits wieder. Im Einvernehmen, wie der designierte Festspielpräsident Hans-Peter Metzler gegenüber der Presse mitteilte. Im Präsidium hatte man anscheinend Sorge, die Seebühne als Alleinstellungsmerkmal und Zugpferd zu verlieren. Anfang Februar wird die Stelle wieder international ausgeschrieben und eine Findungskommission durch das Präsidium der Stiftung einberufen. Der jetzige Intendant David Pountney bleibt bis 2013 im Amt und wird 2014 noch das Programm künstlerisch leiten.
Kölner Institution – Helmut Müller-Brühl verstorben
Ein unvorbereiteter Besucher der Kölner Philharmonie konnte im Mozart-Jahr 1991 folgendermaßen überrascht werden: Er hörte eine Symphonie, eine Konzertarie, ein Solokonzert, noch eine Symphonie, um nach der wohlverdienten Pause einen weiteren ähnlich langen Musikblock serviert zu bekommen. Der Dirigent Helmut Müller-Brühl hatte mit seinem Kölner Kammerorchester eine mozartsche „Akademie“ rekonstruiert und vermittelte so einen unmittelbaren Eindruck von den Dimensionen eines Wiener Konzertabends der Zeit.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sein zwischen 1976 und 1986 als „Capella Clementina“ auf historischen Instrumenten spielendes Ensemble wieder den ursprünglichen Gründungsnamen von 1923 angenommen und als Reaktion auf die Eröffnung der Kölner Philharmonie wieder auf moderne Instrumente gewechselt. Die Erfahrungen mit dem „Originalklang“ flossen in den Folgejahren ganz selbstverständlich in Müller-Brühls im besten Sinne musikantische Interpretationen der Musik zwischen Bach und Beethoven ein, von denen zahlreiche in Einspielungen beim Label Naxos festgehalten wurden. Im Jahr 2008 gab der seit 1963 in dieser Position wirkende Dirigent und Gründer der Brühler Schlosskonzerte die Leitung des Kölner Kammerorchesters ab, kehrte seitdem aber einige Male ans Pult „seines“ Orchesters zurück, das er zu einer Institution des Kölner Musiklebens geformt hatte. Am 2. Januar ist Helmut Müller-Brühl nun im Alter von 78 Jahren in Brühl verstorben. [jmk]
Patricia Gläfcke leitet Peermusic Classical
Patricia Gläfcke übernimmt die Verlagsleitung von Peermusic Classical. Dies meldete das Hamburger Verlagshaus Anfang des Jahres. Glaefcke, die zueltzt als Kulturmanagerin und Geschäftsführerin des Landesmusikrats Hamburg tätig war, übernimmt diese Position von Reinhard Flender, der in den 25 Jahren seiner Tätigkeit für Peermusic Classical einen umfangreichen europäischen Katalog mit Komponisten wie Mieczyslaw Weinberg, Ahmed A. Saygun, Theo Loevendie oder Mathias Spahlinger aufgebaut hat. Flender soll künftig als Vice President Classical Music im Peermusic Konzern bei der künstlerischen Ausrichtung des Verlags beratend tätig sein.
Gläfcke sieht ihren Schwerpunkt in der Stärkung lokaler Musikszenen und diversifizierter Musikkulturen. Die 1975 in Bremerhaven geborene Musikwissenschaftlerin hat in Köln, Dublin und Chicago Historische Musikwissenschaft, Musikethnologie und Contemporary Music studiert.
Sie ist Mitglied im Bundesfachausschuss für Neue Musik im Deutschen Musikrat und im Kuratorium des Instituts für kulturelle Innovationsforschung.
Boecker für Beethoven
Der 41-jährige Jurist und Kulturmanager Malte Boecker wird neuer Direktor des Beethoven-Hauses Bonn. Mit diesem Beschluss folgte der Gesamtvorstand des Vereins Beethoven-Haus der Empfehlung einer Findungskommission, welcher unter anderem der Vorsitzende Kurt Masur, einige Vorstandsmitglieder sowie Vertreter der öffentlichen Zuwendungsgeber von Bund, Land NRW, Stadt Bonn und Landschaftsverband Rheinland angehörten. Boecker übernimmt das Amt am 1. Mai. Er tritt damit die Nachfolge von Manfred Harnischfeger an, der die Leitung des Beethoven-Hauses seit Dezember 2010 kommissarisch übernommen hatte. Im April 2011 hatte die nmz unter der Überschrift „Wie der Vorstand des Bonner Beethoven-Hauses dessen Direktor Philipp Adlung gegen die Wand laufen ließ“ ausführlich berichtet.
Malte Boecker verantwortet derzeit innerhalb der Bertelsmann Stiftung insbesondere Projekte zum Dialog der Kulturen und zu den asiatisch-europäischen Beziehungen.
Rademann löst Rilling ab
An der Pressekonferenz zur Vorstellung seines Nachfolgers als künstlerischer Leiter der Bachakademie in einem Stuttgarter Nobelhotel nahm Amtsinhaber Helmuth Rilling nicht teil. Seine Rücktrittsdrohung – der Gründer der Bachakademie war in die Nachfolgeregelung nicht mit einbezogen worden – machte Rilling jedoch nicht wahr, er bleibt nun bis zum 1. Juni 2013 im Amt.
Explizit lobte Rilling in einem Schreiben die „vorzügliche Arbeit“, die der Intendant der Bachakademie, Christian Lorenz, geleistet habe. Dessen Vertrag läuft im Februar 2013 aus und wird nicht verlängert. Möglicherweise passte die Öffnung des Musikfestes Stuttgart in Richtung neuer Konzertformen oder auch ins Genre des Jazz dem Vorstand nicht ins Konzept. Der renommierte Chormusiker Hans-Christoph Rademann, seit 2007 Chefdirigent des RIAS Kammerchores, übernimmt zum 1. Juni 2013 Rillings Amt und damit die Leitung der traditionsreichen Internationalen Bachakademie Stuttgart.