+++ Hans Winterberg, ein Prager Jude in Bayern +++ Johann-Wenzel-Stamitz-Preis an Ursula Görsch +++ Transkultureller Preis der Achava Festspiele +++ Alan Gilbert wird Elbphilharmoniker +++ Matthias Kaul leitet Festival Musik 21 +++
Hans Winterberg, ein Prager Jude in Bayern
Der Komponist Hans Winterberg, 1901 in Prag geboren, hat in seiner Heimatstadt bei Fidelio Finke Komposition und bei Alexander v. Zemlinsky Dirigieren studiert. 1939/40 besuchte er noch einen Kurs bei Alois Hába. Unter der deutschen Besatzung wurde Winterberg trotz seiner jüdischen Herkunft nicht ins Ghetto Theresienstadt deportiert.
Das Schicksal seiner Kollegen Viktor Ullmann und Gideon Klein blieb ihm erspart, weil er 1930 eine Katholikin geheiratet hatte. Als diese sich jedoch im Dezember 1940 von ihrem Mann scheiden ließ, endete der Schutz der „privilegierten Mischehe“. Winterberg wurde am 26. Januar 1945 ins Ghetto Theresienstadt gebracht. Ab 1947 lebte er in Bayern, wo er bis zu seinem Tod (1991) schöpferisch tätig war. Obwohl die Münchner Philharmoniker regelmäßig seine Werke zur Aufführung brachten, fehlt der Name des Komponisten in den großen Musiklexika. Verzeichnet ist er dagegen im „Lexikon zur deutschen Musik-Kultur: Böhmen, Mähren, Sudetenschlesien“, 2002 herausgegeben vom Sudetendeutschen Musikinstitut Regensburg.
Dort heißt es, die Tschechen hätten Winterberg nach dem 8. Mai 1945 „aufgrund seines Bekenntnisses als Sudetendeutscher“ weiter in Theresienstadt interniert. „1947 wurde er ausgewiesen.“ Angeblich bezogen sich die Tschechen dabei auf eine Volkszählung von 1930, in der Winterberg sich als Deutscher bezeichnet hatte.
Diese auch in der neuen musikzeitung (6/2015) verbreitete Information hat sich inzwischen als falsch herausgestellt. Nach Recherchen von Peter Kreitmeir, dem Enkel des Komponisten, fehlt Winterbergs Name in der Datenbank, welche nach 1945 in Theresienstadt internierte Deutsche verzeichnet.
Er fand auch heraus, dass die Familie Winterberg 1930 bei der Volkszählung als Nationalität / Umgangssprache tschechisch und als Religion jüdisch angab. Für die bisherigen Falschmeldungen ist Winterberg offenbar mitverantwortlich. Obwohl er selbst kein Sudetendeutscher war, hatte er zuletzt eine Sudetendeutsche geheiratet und Ehrungen der Sudetendeutschen Landsmannschaft entgegengenommen. Sein Adoptivsohn hat deshalb den umfangreichen musikalischen Nachlass des Komponisten dem Sudetendeutschen Musikinstitut übergeben. Erst seit Juli 2015 ist dieser Nachlass der Öffentlichkeit zugänglich.
Vermehrt wird seitdem im In- und Ausland die Musik des lange vergessenen Komponisten wieder aufgeführt. Der Wiener Verein exil.arte bereitet zusammen mit dem Sudetendeutschen Musikinstitut die Drucklegung einiger Werke vor. [Albrecht Dümling]
Johann-Wenzel-Stamitz-Preis an Ursula Görsch
Exakt an ihrem Geburtstag – am 4. März – wurde der 85-jährigen Komponistin Ursula Görsch in Bremen der Johann-Wenzel-Stamitz-Preis 2017 der Künstlergilde für ihr Lebenswerk verliehen. Görsch war unter anderem die Bremer Vorsitzende von „Jugend musiziert“, war in der Vorstandschaft des dortigen Musikrats (jetzt Ehrenmitglied), gründete in Istanbul das erste türkische Jugendsinfonieorchester und hat zahlreiche Kompositionen in unterschiedlichsten Besetzungen vorgelegt. Zur Zeit schreibt sie an einer Kantate, die im August in Bremen zur Uraufführung gelangen wird. Der Johann-Wenzel-Stamitz-Preis der Künstlergilde e. V., ehemals „Ostdeutscher Musikpreis“, wird von der Künstlergilde Esslingen seit 1960 einmal im Jahr vergeben und geht an Komponistinnen und Komponisten sowie an ausübende Musikerinnen und Musiker, deren Werk und Wirken aus der Reflexion und im Austausch mit der deutschen Musik im östlichen Europa entstanden ist. Der Preis ist benannt nach dem böhmischen Komponisten und Violinisten Johann Wenzel Stamitz, dem Gründer der so genannten Mannheimer Schule. Die Künstlergilde veranstaltet bis zum 10. September eine Ausstellung „GEGENSTAND:WIDERSTAND“ im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg. Am 8. Juli, dem Geburtstag von Käthe Kollwitz, kommt es dann zu einer multikulturellen Veranstaltung, bei der von der Preisträgerin Ursula Görsch ein Flötensolo zu hören sein wird, außerdem Uraufführungen von Dietmar Gräf, dem 1. Vorsitzenden der Künstlergilde, sowie von Widmar Hader.
Transkultureller Preis der Achava Festspiele
Preisträger des 1. Achava Jazz Award ist das brasilianisch-armenische Duo „Fractal Limit“ mit Tatiana Parra und Vardan Ovsepian. Der internationale und transkulturelle Jazzpreis wurde in Erfurt vergeben und ist mit 10.000 Euro dotiert.Der 1. Achava Jazz Award zeichnet ein künstlerisch herausragendes Band-Projekt aus, das den transkulturellen Charakter des Jazz ins Zentrum seines Schaffens stellt und dies auf höchstem künstlerischen Niveau umsetzt. Der Achava Jazz Award ist eine Koproduktion der Achava Festspiele Thüringen und der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar mit Unterstützung der Sparkasse Mittelthüringen.
Alan Gilbert wird Elbphilharmoniker
Alan Gilbert wird neuer Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Der 50-Jährige US-Amerikaner, der von 2009 bis 2017 Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker war, wird im Sommer 2019 die Nachfolge von Thomas Hengelbrock antreten, der seinen Vertrag nicht verlängerte. „Alan Gilbert steht für höchste musikalische Qualität, gepaart mit großem Innovations- und Gestaltungswillen. Wir freuen uns über die Verpflichtung eines Dirigenten mit großem internationalen Renommee“, sagte NDR-Intendant Lutz Marmor bei der Vorstellung des neuen Chefs. Gilbert war dem Orchester schon von 2004 bis 2015 als erster Gastdirigent verbunden.
Matthias Kaul leitet Festival Musik 21
Seit 2008 führt Musik 21 Niedersachsen zu einem Jahresthema ein Festival durch, das als Biennale in Hannover und im Übrigen an verschiedenen Orten in Niedersachsen stattfindet. Die geografischen und kulturellen Gegebenheiten fließen in die Planungen der vielseitigen Programme ein. Die beiden nächsten Jahre, von 2017 bis 2019, ist Matthias Kaul Künstlerischer Leiter. Er lenkt Augen und Ohren auf das Wort in der zeitgenössischen Musik sowie auf den ästhetischen Kosmos, der sich „Ums Wort“ herum eröffnet. Einige Klanginstallationen, Konzertlesungen und Klangreden nähern sich dem Wort von der Musik aus, für andere wiederum bildet das Wort das Fundament für musikalische Kommunikation. Angekündigt sind die Künstler Yoko Tawada, Mara Genschel, Pit Noack sowie das norwegische Ensemble Asamisimasa, das Ensemble L’Art Pour L’Art, Das Neue Ensemble und viele andere.