Der schottische Musikforscher, Autor, Komponist und Kritiker Malcolm MacDonald ist nicht mehr unter uns. Er war eine der überragenden Größen unserer Zeit als Entdecker und Vermittler sowohl vergessener Musik erstrangigen Kalibers als auch – mit so unkonventionellem wie umfassendem und substanziellem Zugriff – des Schaffens allgemein anerkannter Meister wie Brahms, Schönberg oder Varèse.
Für mich war Malcolm MacDonald in den vergangenen zwei Jahrzehnten einer der besten, verlässlichsten und loyalsten Freunde in einer Fachwelt, in der Kompetenz und Charakter meist weniger zählen als Wichtigtuerei, prätentiöse Pose und geschäftige Umtriebigkeit – und dies, obwohl wir uns nur zu Beginn zweimal persönlich begegneten und unser Kontakt aufs Telefonische und Schriftliche begrenzt war.
Als ich ihn kennenlernte, war Malcolm Editor des Zeitgenössische-Musik-Magazins ‚Tempo’, damals noch im Verlag Boosey & Hawkes in London. Wie viele andere machte ich die Erfahrung, dass es sich um einen der feinfühligsten, in der Kritik subtilsten und stets an der unverwechselbar persönlichen Note der Autoren interessierten Redakteure handelte, die ich je getroffen habe. Ein Mensch absolut ohne Scheuklappen, ohne polarisierende Aversionen, ohne ästhetisches a priori, kompromisslos interessiert an künstlerischer Qualität, wie sie im Zusammenspiel von Originalität und zusammenhängend gestaltendem Bewusstsein sich manifestiert.
Malcolm MacDonald war es, der nicht nur mit einer dreibändigen Werkmonographie über die 32 Symphonien Havergal Brians das grundlegende Werk zur Musik dieses großen Außenseiters, dieses ‚Meisters der unvorhersehbaren Formung’ geschrieben hat. Vor allem war er es, dem wir die Entdeckung des auch meines Erachtens überragenden Genies der britischen Musik im 20. Jahrhundert, John Foulds (1880–1939), zu verdanken haben.
Dass MacDonald darüber hinaus selbst ein bemerkenswerter Komponist war, behielt er, der seit 1992 in Gloucestershire lebte, für sich.
Malcolm MacDonald hat hervorragende Monographien über Brahms und Schönberg geschrieben, die auch deutschen und österreichischen Experten hiermit noch einmal nachdrücklich zum Studium empfohlen seien. Seine akribischen Werkverzeichnisse zu Schostakowitsch, Dallapiccola und Dorati dienten vielen Forschern als Grundlage. Wer sich mit dem Wirken des schottischen ‚Composer-Pianisten’ Ronald Stevenson befasst, kommt um MacDonald ohnehin nicht rum, doch auch die kompetenteste Edgard Varèse-Monographie ‚Astronomer in Sound’ ist aus seiner Feder. Er war ein musikalischer Universalgelehrter, und natürlich stammt von ihm auch das umfassende Grundlagenbuch zu John Foulds.
Ein Vorwort, das er zum Erstdruck der im Juni erscheinenden ‚Recollections of Ancient Greek Music’ schrieb, war vielleicht sein letzter Text (als Kritiker schrieb er oft unter dem Pseudonym Calum MacDonald, da zu Beginn seiner Laufbahn ein Kritiker gleichen Namens für Gramophone tätig war). Selten habe ich Kollegen erlebt, die in so selbstloser Weise im Dienst an einer gemeinsamen Sache tätig waren, und die so viel von dem verstanden, was sie tun.
Geboren am 26. Februar 1948 im schottischen Nairn und ab 1971 in England lebend, starb MacDonald völlig unerwartet am 27. Mai. Von seiner Krebserkrankung hatte er nie etwas erwähnt. Teil seines Ethos war es, über sein Ethos nicht zu sprechen. Malcolm MacDonald hinterlässt uns das Wunder des Wirkens eines wahren Forschers, der immer wusste und uns kraft seines Handelns daran erinnerte, dass wir viel mehr wissen müssen und niemals genug wissen werden.