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Pultstar-Triumvirat an der Isar wieder komplett

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Dirigent Thielemann tritt Chefposten bei den Münchner Philharmonikern 2004 an - Siebenjahresvertrag unterzeichnet - Chefs von Staatsopernorchester, BR-Symphonieorchester und Münchner Philharmonikern wieder komplett

München (ddp-bay). Am Ende ging alles ganz schnell. Lange war verhandelt und gerätselt worden, ob Dirigent Christian Thielemann wirklich nach München kommt. Manche Kritiker sahen die Münchner Philharmoniker ohne die neue Lichtgestalt aus Berlin schon auf Provinzniveau. Doch diese Gefahr scheint nun gebannt. Am Dienstag stand die Vertragsunterzeichnung an. Thielemann ist eine der größten Begabungen der jüngeren Generation und erhält einen Sieben-Jahres-Vertrag mit dem Renommierorchester der bayerischen Landeshauptstadt. Damit wird das künftige Star-Triumvirat der Chefs von Staatsopernorchester, BR-Symphonieorchester und Philharmonikern wieder komplettiert. Statt Mehta-Maazel-Levine heißt es an der Isar künftig: Nagano-Jansons-Thielemann.

Erst Anfang April hatte der Münchner Stadtrat nach schier endlosen Verhandlungen und Querelen um empfindliche Einsparungen bei den Philharmonikern einstimmig sein Placet für die Berufung des derzeitigen Generalmusikdirektors der deutschen Oper Berlin gegeben. Als Nachfolger des US-Amerikaners und New Yorker Met-Chefs James Levine, der sich an der Isar trotz fürstlichen Honorars sehr rar gemacht hatte, soll er ab der Saison 2004/2005 in München antreten. Er übernimmt dann einen der renommiertesten Klangkörper der Republik, den der legendäre Sergiu Celibidache zu Weltruhm führte. Thielemann ist Wunschkandidat des Orchesters, das sich schon im Januar 2002 auf den Berliner festgelegt hatte.

Thielemann gilt unbestritten als eine der interessantesten und entwicklungsfähigsten Dirigentenpersönlichkeiten der Gegenwart. Aus einem musikalischen Berliner Elternhaus stammend, studierte er zunächst Klavier, Bratsche und Komposition, begann aber schon bald, seinen Vorbildern Furtwängler und Karajan nachzueifern. Mit 17 Jahren wurde er Karajans Assistent, mit 19 Opern-Korrepetitor in seiner Heimatstadt. Die «Ochsentour» durch die Orchestergräben der Provinz - Gelsenkirchen, Karlsruhe, Hannover und Düsseldorf - scheute er nicht.

Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Thielemann als Generalmusikdirektor der Nürnberger Oper. Kritiker feierten ihn als außerordentliche Begabung, rieben sich jedoch an seiner als konservativ geschmähten Spielplangestaltung. Vor allem seine Leidenschaft zum Werk des in der Nazizeit zu Ruhm gekommenen Hans Pfitzner wurde ihm zuweilen übel genommen. Seit Mitte der 80er Jahre hatte sich auch Thielemanns internationale Karriere intensiviert. Wegen angeblich zu häufiger Abwesenheit endete sein Nürnberger Engagement 1992 mit einem Eklat. Die Stadt kündigte ihm fristlos. Der nachfolgende Prozess ging allerdings für Thielemann günstig aus.

Auch an der Deutschen Oper Berlin, wo er 1996 einen Vertrag als Generalmusikdirektor unterschrieb, blieb Zwist nicht aus. Schon 1999 trat er als Reaktion auf die Berufung Udo Zimmermanns als neuer
Intendant von seinem Posten zurück. Im Februar 2001 freilich revidierte er seine Entscheidung und verlängerte seinen Vertrag bis 2007. Im Dauerclinch mit Zimmermann, der vergangenes Jahr von seinem Amt entbunden wurde, ging Thielemann, der über ein starkes Ego verfügt, als Sieger vom Platz.

Ganz für sich allein, wie es die Münchner wohl gerne hätten, werden sie Thielemann nicht haben. Er will weiter an der Deutschen Oper wirken und auch bei den Bayreuther Festspielen, wo er 2006 für den neuen «Ring» gebucht ist. Auch Gastdirigate in aller Welt wird er sich nicht nehmen lassen. Dafür winkt den unter dem Schallplattenverächter Celibidache in dieser Hinsicht völlig ausgehungerten Philharmonikern eine stärkere Präsenz auf dem Medienmarkt. Ein wichtiger Pluspunkt - nicht nur in der örtlichen Konkurrenz zur Bayerischen Staatsoper unter dem künftigen, medienwirksamen Kosmopoliten Kent Nagano und dem bald von Mariss Jansons geleiteten Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR).

Musikalisch pflegt der künftige Philharmoniker-Chef, der sich altdeutsch «Kapellmeister» nennt, ein in München durchaus geschätztes subjektiv-romantisches Klangideal. Auch mit seinem betont deutsch ausgerichteten Repertoire von Beethoven, Schuhmann und Wagner bis zu Strauss, Pfitzner und Henze scheint er gut in die traditionsbewusste Metropole zu passen. Kritik an seiner konservativen Grundhaltung pflegt der bekennende Preußen-Fan vehement in die Schranken zu weisen. Im englischen «Guardian» reagierte er auf Vorhaltungen zu seinem Engagement für Pfitzners «Palaestrina» mit dem Satz: «Was hat c-moll mit dem Faschismus zu tun? Nichts!»

Geort Etscheid