Frankfurt/Main - Schon als Jugendlicher musste Emil Mangelsdorff erfahren, dass seine Lieblingsmusik als subversiv galt. Im Zweiten Weltkrieg spielte er trotz Verbots in Frankfurt mit Freunden amerikanischen Swing. Später kam der junge Emil in Nazi-Deutschland wegen sogenannter Wehrkraftzersetzung kurzzeitig in Haft und wurde dann 1944 an die Ostfront geschickt. Doch er überlebte Krieg und Gefangenschaft. Am 11. April wird der Musiker, der zu den bekanntesten deutschen Jazzern zählt, 90 Jahre alt.
Und strotzt vor Vitalität. Der Altsaxofonist tritt mit seinem Quartett nicht nur weiterhin regelmäßig im Frankfurter Holzhausen-Schlösschen auf. Er tourt auch quer durch die Republik: Nach Augsburg und München ist er in diesem Jahr eingeladen. Bei den Jazzfestivals in Bingen und Worms fehlt er ohnehin nich
Jeden Tag beschäftigt er sich drei bis vier Stunden mit seinem Instrument. Dass ihm beim Blasen die Puste nicht ausgeht, verdankt er seiner trotz des hohen Alters immer noch überdurchschnittlichen Lungenkapazität. «Wenn man täglich übt, ist das Organ gut ausgebildet», sagt Mangelsdorff, dem jegliches Selbstlob fremd ist, nüchtern.
Geprägt wurde der Jazzer vom amerikanischen Bebop, der einst den Swing ablöste. Zu seinen Vorbildern gehören vor allem Charlie Parker und Lee Konitz, der oft in Frankfurt bei Mangelsdorff zu Gast war. Mit Charles Mingus wiederum hat Mangelsdorff im New York zweimal im Duo gespielt. Gerühmt wird der Frankfurter Altsaxofonist, der nach dem Krieg zuerst Klarinette und Schlagzeug an der Musikhochschule studierte, vor allem für seine einfühlsam-melodiösen Balladen. Die klassische Musik war ihm stets nahe. Seine früh gestorbene erste Frau war eine bekannte Opernsängerin.
Doch Emil Mangelsdorff ist nicht nur Musiker, er gibt als Zeitzeuge seine Erfahrungen aus der Nazi-Zeit auch heute noch an Schüler weiter. Den Klassen kann er eine Menge erzählen: Seine Band, die damals im Hinterzimmer («Rokoko-Diele») eines Frankfurter Hotels spielte, ging damals listig vor. Damit die Polizei keinen Verdacht schöpfte, wurden die Titel «eingedeutscht». Aus dem «Tiger Rag» wurde «Die Löwenjagd im Taunus», aus dem «St. Louis Blues» die «St.-Ludwigs-Serenade».
Mangelsdorff, der sich als «Radikal-Demokrat» bezeichnet, kommt aus einer sozialdemokratischen Familie. Sein drei Jahre jüngerer Bruder Albert, der 2005 im Alter von 76 Jahren starb, wurde als Jazzer weltberühmt. Mit dem von ihm erfundenen vielstimmigen Posaunen-Stil war er auch in den USA ein bekannter Name.
Zu seinem Bruder hat Emil Mangelsdorff kein Konkurrenzverhältnis empfunden, wie er sagt. Da waren die beiden, die trotz getrennter musikalischer Wege auch immer wieder zusammenspielten, auch wohl zu verschieden. Außer Bruder Albert hat der Altsaxofonist in den vergangenen Jahren noch viele Frankfurter Freunde verloren, darunter den jüdischen Historiker Arno Lustiger und den legendären Konzertveranstalter Fritz Rau. Mit ihm, dem einst überzeugten Hitlerjungen, hatte Mangelsdorff in Schulen einst aus unterschiedlichen Perspektiven persönliche Zeitgeschichte vermittelt.
Seinen Geburtstag begeht der Jazzer, dessen zweite Frau auch seine Managerin ist, im privaten Freundeskreis. Öffentlich wird dann nochmals Anfang Mai beim traditionellen Konzert im Holzhausen-Schlösschen nachgefeiert.