Mehr Retro war nie. Jedenfalls nicht im Soul. Und keiner klingt so retro wie der Engländer James Hunter, der sogar von Soul-Nerds immer mal wieder für Sam Cooke auf bislang unentdeckten Aufnahmen gehalten wird. Vor seinen Auftritten in Köln (9. Mai) und München (10. Mai) sprach Claus Lochbihler mit dem Sänger und Gitarristen, den Van Morrison das „bestgehütete Geheimnis des britischen Soul und R&B“ genannt hat.
Los Lobos, Willie Nelson, Chris Isaak, B. B. King – als Konzert-Opener sind Sie ziemlich begehrt. Wen holen Sie sich mal als Vorband, wenn Sie weiterhin so erfolgreich sind?
All jene, für die wir gespielt haben. Das ist dann unsere Rache! Aber Spaß beiseite: Es war toll, vor jemandem wie Chris Isaak aufzutreten. Bei den Zugaben hat er uns immer auf die Bühne geholt. Und als meine Gitarre einmal defekt war, hat er mir seine geliehen. Oder Willie Nelson: Wir haben ihn zwar nur zweimal richtig getroffen, wurden dafür aber gleich in seinen riesigen Tourbus eingeladen. Sehr beeindruckendes Gefährt, vor allem die Ochsenhörner an der Wand!
Mit Wohnwagen kennen Sie sich ja nicht nur als Musiker aus. Als Sie den frühen R&B und Soul für sich entdeckten, lebten Sie mit Ihren Eltern in einem Wohnwagen.
Meine Eltern sind Anfang der 70-er Jahre mit uns nach Australien ausgewandert. Aber das klappte dort nicht so richtig. Also sind wir nach England zurückgekehrt, wo es zunächst keine andere Unterkunft gab als diesen Wohnwagen inmitten eines Zwiebelfelds bei Colchester. Mit dem Luxus eines Willie Nelson-Tourbusses hatte der natürlich nichts gemeinsam. Aber wir mussten ja auch nur einen Sommer lang darin leben.
Und ausgerechnet dort entdeckten Sie den Soul?
Von meiner Großmutter hatten wir ein Grammophon und dazu einen Stapel alter Singles aus den 50-er Jahren. Das meiste davon Frankie Laine. Aber eben auch Jackie Wilsons „Reet Petite“. Der Song und das wofür er steht – der frühe Soul und R&B der späten 50-er und frühen 60-er Jahre – haben es mir angetan.
So eine Art Erweckungserlebnis?
Wenn es bei neunjährigen Jungen musikalische Erweckungserlebnisse gibt, dann war das sicher eines.
Wann merkten Sie, dass Sie selbst singen können – und zwar so gut, dass Kritiker sie ständig mit den allergrößten Soulsängern von Sam Cooke bis Jackie Wilson vergleichen?
Mit 18 konnte ich mit meinen Stimmbändern schon einen ziemlichen Lärm veranstalten. Dass ich auch gut bin, wusste ich damals aber noch nicht. Das habe ich erst fünf Jahre später gemerkt und gleich meinen Job bei der Eisenbahn aufgegeben.
Wie haben Sie gelernt, Soul zu singen – indem Sie zu Platten mitgesungen haben?
Gar nicht mal. Einfach indem ich ganz viel Musik gemacht habe, vor allem live. Beim Arbeitsamt würde man sagen: Training on the job.
Trotzdem hat es bis zu Ihrem Durchbruch fast 20 Jahre und unzählige Live-Auftritte gedauert. Gab es einen Moment, in dem Sie mal überlegt haben, die Musik aufzugeben?
Wenn man so will, könnte man sagen, dass meine ganze bisherige Karriere aus einem schwierigen Moment nach dem anderen besteht. Eine zwanzigjährige Bandprobe, wenn Sie so wollen. Aber ich habe kein einziges Mal daran gedacht aufzuhören! Vielleicht bin ich unbelehrbar. Vielleicht liegt es einfach aber nur daran, dass ich seit vielen, vielen Jahren mit den gleichen Typen Musik mache. Wenn man gemeinsam durch dick-und-dünn gegangen ist, hört man nicht so leicht auf. Außerdem entschädigt einen die Musik und jedes schöne Konzert für vieles. Vor ein paar Jahren habe ich manchmal noch als Straßenmusiker gespielt –das ist tausendmal besser als irgendein blöder Job vom Arbeitsamt oder einer Jobvermittlung.
Finden Sie den großen und schnellen Erfolg von jemandem wie Amy Winehouse ungerecht? Schließlich haben Sie schon mit Van Morrison auf der Bühne gestanden, als Winehouse noch zur Schule ging.
So sehe ich das überhaupt nicht. Ich finde großartig, dass Amy einen ganz eigenen Stil gefunden hat. Stilistisch ist ihre Musik sicherlich origineller oder neuer als das, was ich bisher gemacht habe. So gesehen ist sogar ein Vorbild für mich. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, wenn wir auf dem nächsten Album zur Abwechslung mal etwas zeitgenössischer klingen.
Finden Sie es eigentlich verwunderlich, dass von Künstlern wie Ihnen immer wieder eine Begründung oder Legitimierung Ihres Retro-Sounds eingefordert wird?
Schon. Wenn ich plötzlich einen auf Hip-Hop machen würde, könnte ich ja noch verstehen, dass die Leute wissen wollen, warum ein Engländer Ende 40 auf einmal in einem so biographielastigen Genre wie Hip-Hop unterwegs ist. Aber was soll daran so besonders sein, dass wir uns für den frühen Soul entschieden haben? Diesen Musikstil gibt es seit 40 Jahren – jeder, der mag, kann ihn hören, studieren, bewundern, fortschreiben. Ich reagiere mit meiner Musik einfach auf ältere Musik, die ich gehört habe und die mir wahnsinnig gut gefällt. Ich mache, was mir gefällt, und das gefällt glücklicherweise anderen. Was soll man da groß herumtheoretisieren?
Das Wort Retro macht Sie also nicht ärgerlich?
Nein, wegen so etwas gehe ich doch nicht in die Luft. Irgendwie ist unsere Musik ja auch Retro. Was aber nicht heißt, dass wir alte Aufnahmen originalgetreu wie im Museum nachspielen. Wir spielen unsere eigenen Songs.
Wenn weiße Musiker soulig klingen, ist oft von „Blue Eyed Soul“ die Rede – besonders dann, wenn die Musik aus England kommt. Was halten Sie davon?
Diesen Ausdruck habe ich noch nie gemocht. Nicht nur, weil mir vieles, was in diese Schublade gesteckt wird, nicht besonders gefällt. Sondern weil etwas entweder Soul oder eben nicht Soul ist. Als der große Ray Charles sein Country & Western-Album aufgenommen hat, war das eben Country. Niemand hat von „Brown Eyed Horse Jazz“ oder irgend so einem Unsinn gesprochen.
Aufgenommen haben Sie Ihre zwei letzten Alben im Tempel des Analog Recording – den Toe Rag Studios in London. Wie war das?
Wir haben alles live eingespielt. Ohne Kopfhörer und ohne diese Aufnahmekäfige, also beinahe so wie auf der Bühne. Viele behaupten, dass das viel schwieriger sei als wenn man alles nacheinander einspielt und dann zu einem Song zusammensetzt. Aber für uns war es so viel einfacher und besser, vor allem weil man aufeinander reagieren kann – das macht schließlich eine gute Band aus, jedenfalls im Soul. Klar: Man muss für solche Aufnahmen richtig gut spielen können. Das Zeug muss sitzen. Aus dem Lautsprecher kommt es nämlich genau so, wie man zuvor gespielt hat. Und ausbessern geht nicht - jedenfalls nicht so wie in den Studios, wo alles digital zu Tode perfektioniert wird.
Sie haben die letzten Monate sehr viele Konzerte in den USA gespielt. Werden Sie dort eigentlich als Engländer erkannt?
Viele, die nur meine Musik kennen, denken in der Tat ich wäre Amerikaner – bis sie mich reden hören und meinen englischen Akzent kennen lernen.
Von dem es heißt er sei so stark wie der Nebel in London.
Da ist allerdings was dran.
Sie klingen als Sänger also amerikanischer?
Als Sänger klinge ich wie fast jeder englische Pop- oder Rock-Kollege sehr viel amerikanischer als ich es eigentlich bin. Aber das muss wohl so sein: Wenn ich mit dem gleichen Akzent singen würde wie ich rede, würde sich jede Halle leeren.
Gibt es Städte, wo Sie besonders gut ankommen?
In London oder Philadelphia haben wir so oft gespielt, da sind wir fast so etwas wie eine Hausband. Ansonsten haben wir eigentlich überall das gleiche Publikum: Soul-Verrückte, die gerne tanzen. Viel wichtiger als die Stadt ist der Club oder die Halle, wo man spielt. Gott sei dank haben wir nur ganz selten Auftritte, bei denen die Leute zum Sitzen verdammt sind. Das ist jedes Mal ganz, ganz schwierig. So viele ruhige Nummern wie man für ein Sitzkonzert braucht, haben wir nämlich gar nicht im Repertoire.
Aktuelle CD: James Hunter: „The Hard Way“ (Concord/Universal)
Webseite: www.jameshuntermusic.comJames Hunter spielt am Sa., den 9. Mai, in Köln (Luxor), am So., den 10. Mai, in München (59:1) und am 9. Juli beim Jazz Fest Wien (Porgy & Bess)