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Christoph Schlingensief. Foto: Aino Laberenz
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Regisseur, Aktionskünstler, Provokateur – Christoph Schlingensief ist tot

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Der Regisseur Christoph Schlingensief ist tot. Er erlag seinem Krebsleiden, wie ein Sprecher der Ruhr-Triennale in Gelsenkirchen bestätigte. Schlingensief wäre im Oktober 50 Jahre alt geworden. Der Film-, Theater- und Opernregisseur setzte sich auch künstlerisch mit seiner Lungenkrebserkrankung auseinander, etwa mit seinen letzten Inszenierungen „Mea Culpa", „Kirche der Angst" oder „Sterben lernen".

Ende Juni hatte Schlingensief mit «Via Intolleranza II», dem ersten Projekt seines Operndorfes in Burkina Faso, die Münchener Operfestspiele eröffnet. Mit der 90-minütigen Opernrevue zu Musik von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ bis zu Afro-Rap ging auch der „Pavillon 21 Mini Opera Space“ in Betrieb, die neue futuristische Spielstätte der bayerischen Staatsoper auf dem Marstallplatz hinter dem Nationaltheater.

„Via Intolleranza II“ vereinte nochmals alle Ingredienzien von Schlingensiefs Ausdrucksvokabular und war als wüster «Clash of Cultures» konzipiert, bei dem europäische und afrikanische Lebens- und Kunstvorstellungen hart aufeinandertreffen. Dabei reflektierte der Regisseur selbstironisch auch sein eigenes „Helfersyndrom“ als neokolonialen Reflex. Seine radikale Botschaft: Jede humanitäre Geste ist letztlich unmenschlich, weil sie die Menschen auf vorherbestimmte Bahnen zwingt.

Zuletzt hatte Schlingensiefs überraschende Berufung zur künstlerischen Gestaltung des deutschen Pavillons bei der Biennale in Venedig 2011 Aufsehen erregt. An der Pressekonferenz zur Vorstellung seiner Pläne hatte er Anfang Juli in Frankfurt am Main aber krankheitsbedingt nicht teilnehmen können. Auch eine Produktion für die Ruhrtriennale musste der Regisseur im Sommer 2010 absagen. In einem Brief an sein Team nannte er als Begründung „neue Befunde“ in seinem Krankheitsfall.

Für die Nachrichtenagentur ddp schrieben Georg Etscheit und Nadine Emmerich folgenden Nachruf:

Berlin (ddp-bln). Mit dem Operndorf «Remdoogo» in Burkina Faso wollte sich Christoph Schlingensief nach Ansicht vieler noch ein Denkmal setzen. Im Februar wurde der Grundstein für das Projekt «Festspielhaus Afrika» gelegt. Die Fertigstellung wird der trotz seiner schweren Krebserkrankung bis zuletzt arbeitende Regisseur nicht mehr erleben. Er starb am Samstag im Alter von 49 Jahren an Lungenkrebs.

Lange hielt der Nichtraucher Schlingensief seine Erkrankung geheim. Als er 2008 die Diagnose bekam, zog er sich komplett zurück. Monate später meldete er sich in Interviews zurück und berichtete vom Krebs und den Folgen. Zugleich nahm er seine Arbeit wieder auf, die seitdem viel um seine Krankheit kreiste: 2008 zeigte er bei der Ruhrtriennale «Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir», 2009 feierte im Wiener Burgtheater «Mea Culpa - eine ReadyMadeOper» Premiere. Zudem veröffentlichte er das Buch «So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein - Tagebuch einer Krebserkrankung».

Mit immer neuen Aufgaben und Projekten schien Schlingensief seiner schweren Krankheit verzweifelt Paroli bieten zu wollen. Immer wieder verlautete auch, die Ärzte könnten die Metastasen in Schach halten. Im August 2009 heiratete Schlingensief seine Mitarbeiterin, die Kostüm- und Bühnenbildnerin Aino Laberenz, und ließ sogar mal durchblicken, das Paar wünsche sich Kinder.

Der Regisseur war 2009 Mitglied der Berlinale-Jury, nahm die Aufgabe der Gestaltung des Deutschen Pavillons für die Biennale 2001 in Venedig an und wollte die Oper «Metanoia» zur Wiedereröffnung des Berliner Schiller Theaters als Ausweichquartier für die Staatsoper Unter den Linden im Oktober inszenieren.

Dann machte ihm der Krebs doch einen Strich durch die Rechnung. Die Teilnahme an dem Kulturfestival Ruhrtriennale im August, wo Schlingensief «S.M.A.S.H. - In Hilfe ersticken» inszenieren wollte, musste er im Juli wegen einer erneuten Krebsdiagnose absagen.

Immer wieder wurde Schlingensiefs fast dramatische Vorahnung seines Schicksals zitiert. Als er im Sommer 2004 an seiner Bayreuther «Parsifal»-Inszenierung arbeitete, machte er in einem Interview eine prophetische Bemerkung: Er sei davon überzeugt, nach dem «Parsifal» Krebs zu bekommen. Vier Jahre später sollte sich seine Aussage bewahrheiten.

Schlingensief zählte seit vielen Jahren zu den bekanntesten und umstrittensten Film- und Theaterregisseuren Deutschlands. Er war auch Menschen ein Begriff, die nicht regelmäßig Opernhäuser und Theater besuchen, und schaffte es mit seinen künstlerischen Projekten spielend auf die Seiten der Boulevardpresse.

Kritiker waren zuweilen uneins darüber, ob Schlingensief nur um der Provokation willen provoziere oder vielleicht doch zu den «letzten deutschen Moralisten» zählte. Oft und gerne überschritt er die Grenze vom Theater zur Politik, etwa als er auf der Kasseler Dokumenta 1997 ein Plakat mit der Aufschrift «Tötet Helmut Kohl» präsentierte und von der Polizei vorübergehend festgenommen wurde.

Aus einem nach seiner eigenen Schilderung kleinbürgerlichen Elternhaus in Oberhausen im Ruhrgebiet hatte der Sohn eines Apothekers und einer Kinderkrankenschwester schon früh zur Kunst gefunden. Als Gymnasiast gründete er das Jugendfilmteam Oberhausen und realisierte mehrere Dokumentarfilme. Nachdem er sich zweimal vergeblich an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film beworben hatte, nahm er in München ein Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte auf, das er nach sieben Semestern abbrach.

Eine Episode blieb seine Tätigkeit als Aufnahmeleiter der TV-Serie «Lindenstraße», eine «grauenvolle Erfahrung», wie er später bekannte. 1988 produzierte er für das ZDF das Fernsehspiel «Schafe in Wales». Seine Karriere als «Provokateur vom Dienst» begann mit den Filmen «100 Jahre Hitler» und «Das deutsche Kettensägenmassaker». In letzterem zeichnete Schlingensief die erste Stunde der deutschen Wiedervereinigung als «nationales Schlachtfest»: Die Nachricht von der Maueröffnung versetzt eine westdeutsche Metzgersfamilie in einen hemmungslosen Blutrausch, bei dem mehrere DDR-Bürger gemeuchelt werden.

Das Werk avancierte zum Kultfilm. «Eine Abrechnung mit Helmut Kohls Wiedervereinigung und eine gelungene Antwort auf die Langweile des deutschen Films», schrieb die «Süddeutsche Zeitung». Der ewige Kanzler hatte es Schlingensief angetan. Zur Bundestagswahl 1998 gründete er die Partei «Chance 2000» für Nichtwähler, Behinderte und andere Minderheiten. Öffentlichkeitswirksam lud er vier Millionen Arbeitslose dazu ein, gleichzeitig im Wolfgangsee im Salzkammergut zu baden und Kohls dortiges Urlaubsziel zu fluten.

2004 inszenierte er bei den Bayreuther Wagner-Festspielen erstmals eine Oper. Wohl keine andere Inszenierung auf dem Grünen Hügel erregte solch ein öffentliches Interesse. Der ganz große Skandal blieb allerdings aus. «Schlingensief war da und Bayreuth steht noch», schrieb der Kritiker der «Zeit» damals.

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