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Songs mit Leben erfüllen: Sharon Jones. Foto: Steven Dewall/Daptone Records
Songs mit Leben erfüllen: Sharon Jones. Foto: Steven Dewall/Daptone Records
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Rhythm ‚n’ Barsch: die Retro-Soul-Diva Sharon Jones im Gespräch

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Für das Weibchenschema des R ‚n’ B war sie „zu schwarz, zu klein, zu dick“ und bald auch zu alt. Deswegen musste sich die Soulsängerin Sharon Jones in den 80er- und 90er-Jahren als Gefängniswärterin, Zahnarzthelferin oder Security Guard verdingen. Heute zählt Sharon Jones (54) zu den spannendsten Live-Acts des Retro-Soul. Im Interview erzählt die Sängerin von Backstage-Gebeten, gottgewollter Fitness und weshalb sie in ihrer Freizeit so gerne angelt.

Konzerte der Dap-Kings fangen so an: Erst bringt die Band das Publikum in Stimmung, dann kündigt Sie Gitarrist Binky Griptite in einer ekstatischen Predigt als „Super Soul Sister“ an. Was machen eigentlich Sie während der ganzen Zeit hinter der Bühne?

Ich bereite mich auf meinen Auftritt vor und konzentriere mich. Bevor ich auf die Bühne gehe, bete ich.

Sie beten?

Vor jedem Konzert. Ein kleines Gebet, in dem ich Gott um seinen Segen bitte: „Herr, segne meine Stimme, segne meinen Körper, segne meine Band.“

Können Sie deswegen eine Live-Show hinlegen, die jede jüngere Kollegin alt aussehen lässt? Sie sind immerhin 54.

Dass ich immer noch so fit bin und jeden Abend die Energie für unsere Show aufbringe, ist für mich ein Geschenk Gottes. Anders kann ich mir das auch nicht erklären.

Schon als Kind haben Sie Gospel gesungen. Nimmt man da etwas mit, was man nirgendwo sonst lernt?

Das Gospel-Singen hilft einem, sich immer auf das Positive zu konzentrieren. Gospel stimmt einen optimistisch, selbst wenn es mal nicht gut läuft. Es ist eine gute Schule des Herzens. Und dann stärkt es natürlich die Stimme. Wenn jemand im Soul oder R&B nur herum trällert, liegt das meist daran, dass er früher nie Gospel gesungen hat.

(Stille. Hustengeräusche) Hallo Miss Jones, sind Sie noch dran?

Entschuldigung, ich habe mich verschluckt. Wissen Sie, ich bin gerade beim Angeln.

Beim Angeln?

An einem See in New Jersey. Es ist etwas frisch hier.

Wer Sie live erlebt, käme nicht auf die Idee, dass Sie einem so beschaulichen Hobby nachgehen.

Das gefällt mir ja so am Angeln: Dass es ganz anders ist als das, was ich sonst mache. Beim Angeln kann ich mich von den langen Tourneen erholen. Da finde ich meine Ruhe und meinen Frieden, weit weg von allem anderen.

Und dazu hören Sie „Sitting On the Dock of the Bay“?

Nein, hier draußen bin ich am liebsten allein mit meiner Angel und meinen Würmern. Ich lausche den Grillen und ab und zu erschlage ich eine von diesen Mücken.

Schon was gefangen?

Nur ein paar Barsche. Vorhin erst einen, der war noch ein Baby. Den musste ich wieder reinwerfen.

Seit wann gehen Sie zum Angeln?

Ich war drei Jahre alt, als sich meine Eltern getrennt haben. Meine Mutter zog mit mir nach New York. Im Sommer bin ich immer nach South Carolina zu meinem Vater und meiner Großmutter gefahren. Er hat mich zum Angeln mitgenommen. Er war es, der mich damit angesteckt hat. In ein paar Jahren möchte ich von New York aufs Land ziehen. An einen See oder einen Fluss, wo man richtig gut fischen kann.

Gibt es einen Song, der an Ihr Angel-Feeling herankommt?

Vielleicht kennen Sie „Humble Me“. Da geht es darum, bescheiden zu bleiben und nicht zu vergessen, wer man wirklich ist: „Humble me, humble me. Don’t let me forget who I am.“ Das kommt dem, was ich beim Angeln empfinde, ziemlich nahe. Das ist auch einer unserer ältesten Songs. Als Gabriel Roth, unser Bassist und Bandleader, ihn geschrieben hat, waren wir beide noch zu zweit. Da gab es die Dap-Kings noch gar nicht. 15 Jahre ist das her. So lange arbeiten Gabe und ich schon zusammen. Das ist fast eine Beziehung. Viele sind nicht mal so lange verheiratet, wie er und ich zusammen Musik machen.

Gabriel Roth schreibt die meisten Ihrer Songtexte. Klappt das so gut, weil sie sich so gut kennen?

Klar. Gabe kann sich richtig in meinen Kopf hineinversetzen. Er weiß, wie ich fühle. Er ist die Hand und ich bin der Handschuh. Manchmal füge ich etwas hinzu, wenn ich finde, dass etwas fehlt. Aber mein eigentlicher Job ist es, unsere Songs mit Leben zu erfüllen, ihnen Soul zu geben.

Wie entstehen bei den Dap-Kings neue Songs?

Manchmal kommt einer von den Musikern mit einem Song ins Studio, der schon fix und fertig ist. Den höre ich mir dann an und überlege, wie ich ihn singen könnte, wie ich ihn zu meinem Song machen kann. Häufiger ist es allerdings so, dass die Band zusammen im Studio den Song entwickelt.

Wie läuft das ab?

Irgendeiner von den Musikern kommt mit einer Idee für einen Groove ins Studio. Die Jungs tauschen dann oft die Instrumente, um sich gegenseitig klar zu machen, wie das klingen soll. Dann setzt sich Gabe, der sonst Bass spielt, ans Schlagzeug und der Schlagzeuger zupft den Bass. Oder der Trompeter schnappt sich die Gitarre. Anschließend arbeitet einer zu Hause den fertigen Song aus. Irgendwann probieren wir ihn dann bei einem Auftritt aus. Wenn er auch live was taugt, kann es sein, dass wir ihn aufnehmen.

Fällt es schwer, Songs zu singen, die andere für einen geschrieben haben?

In vielen Songs geht es um Stories, die man so oder ähnlich selbst schon erlebt hat. Da fällt es ziemlich leicht, einen persönlichen Bezug zu finden. Viele Soulnummern handeln davon, dass man gute Typen ziehen lässt und an den miesen kleben bleibt – da kenne ich mich zum Beispiel sehr gut aus.

Und wenn es einen solchen persönlichen Bezug nicht gibt?

Dann muss man schauspielern. Sich einfühlen. Sich eine Person vorstellen, an die sich der Song und seine Geschichte richten. Das geht natürlich viel leichter, wenn der Song gut ist. Oder wenn man den Musiker kennt, der ihn geschrieben hat. Einer unserer Gitarristen erzählt mir immer von seinen Frauengeschichten: Dass er eine Frau ganz toll findet, sie aber nicht liebt, und er nicht weiß, was er tun soll. Wenn er darüber schreibt, würde es mir leicht fallen, das zu singen. Weil ich die Story dahinter kenne.

Denken die Fans manchmal, dass Sie die Songs selbst schreiben?

Immer wieder sagt jemand: Wow, Du musst wirklich verletzt gewesen sein, als Du die Nummer geschrieben hast. Dann weiß ich, dass ich ihn richtig gut gesungen habe.

In einer Kritik zu Ihrem aktuellen Album steht lobend, dass Sie eigentlich keine Stimme, sondern gleich mehrere hätten. Wie finden Sie das?

Merkwürdig. Darüber müsste ich erst mal nachdenken. Andererseits taucht man auf der Bühne tatsächlich mit jedem neuen Song in eine andere Person. Nicht absichtlich oder kalkuliert – man folgt einfach seinen Gefühlen. Jeder Abend, jedes Konzert läuft ja ganz unterschiedlich, obwohl man die gleichen Songs mit den gleichen Lyrics singt. Man singt sie jeden Abend anders, weil man selbst oder das Publikum anders drauf ist oder der Bassist viel relaxter als am Abend zuvor. Das wirkt sich aus.

Das macht die vielen Auftritte spannender.

Wenn alles jeden Abend exakt gleich klingen würde, wäre das schrecklich langweilig: Oh Gott, nicht schon wieder diesen Song! Wenn das passiert, sollte man sofort aufhören. Weil man dann auch nicht mehr die Kraft aufbringt, für die Fans alles zu geben, wenn man an manchen Tagen mal nicht gut drauf ist. Als mein Bruder starb, bin ich trotzdem aufgetreten und die zwei folgenden Abende auch. Wenn man das, was man macht, nicht wirklich mag, würde man sowas nicht schaffen.

Kommt es auch so mal vor, dass Sharon Jones & The Dap-Kings ein schlechtes Konzert geben?

Sehr selten. Manchmal liegt es am Publikum, manchmal natürlich an uns. Etwa, wenn Gabriel Roth nicht dabei sein kann. Er behält den Überblick, wenn die anderen schon längst ausflippen. Er bekommt mit, wie das Publikum und die Band ticken und wie sie aufeinander reagieren. Oh, jetzt ich habe wieder einen Fisch gefangen…

Gratulation!

Oh nein, schon wieder so ein Winzling! Ich würde ihn gerne zurückwerfen, aber ich glaube, das bringt nichts. Der Arme hat den Haken verschluckt und macht keinen Mucks mehr. Das tut mir aber leid…. Wo waren wir stehen geblieben?

Bei den nicht tollen Konzerten der Dap-Kings…

… die sind wirklich verdammt selten. Und klingen nie so desaströs, dass wir uns schämen müssten. Andere Bands könnten froh sein, wenn sie so spielen würden wie wir bei unseren nicht ganz so guten Konzerten. Bei uns rastet auch niemand aus, wenn eine Show mal nicht die allerbeste war. Andere Bands brüllen rum oder reagieren sich ab, indem sie was kaputt machen.

Und die Dap-Kings?

Wir sprechen darüber, machen aber auch kein Drama daraus. Sondern konzentrieren uns auf den nächsten Auftritt.

Mit jedem Album und jeder Tour werden Sie, die Band und das Daptone-Label erfolgreicher. Haben Sie Angst, dass der Erfolg Ihre kleine, feine Soul-Manufaktur eines Tages zerstören könnte?

Ich kann sehr gut mit unserem Erfolg umgehen. Ich glaube auch nicht, dass sich das ändert. Dafür bin ich zu lange unterwegs. Mich bringt so leicht nichts aus dem Tritt. Wir haben lang genug für den Erfolg gearbeitet. Manche denken, wir hätten vor vier oder fünf Jahren erst angefangen. Dabei gibt es uns seit 15 Jahren. Deshalb fühlt sich der Erfolg jetzt, wo er endlich da ist, einfach nur gut an.

Haben große Labels schon mal versucht, Sie oder einen Dap-King abzuwerben?

Mich jedenfalls nicht. Ich glaube auch nicht, dass uns sowas jemals auseinander bringt. Klar verlässt vielleicht mal der eine oder andere die Band, weil er eine Familie gründet oder was anderes machen will. Aber so lange Gabriel die Hand ist und ich der Handschuh, wird es die Dap-Kings geben. Ich glaube, wir sind sowas wie ein Familienbetrieb für Soul. Wir haben nicht mal Verträge untereinander. Solchen Unsinn brauchen wir nicht.

Wie hat der Erfolg Ihr Leben verändert?

Vor zwei Wochen bin ich nach Augusta in Georgia gefahren. Dort habe ich ein Haus für meine Mutter gekauft, die die letzten Jahre bei mir gelebt hat. Wir haben lange genug in den Projects, den Sozialwohnungen von New York, gewohnt. Ich will, dass sie auf ihre alten Tage in ihren eigenen vier Wänden leben kann. Gut betreut. Dort, wo wir ursprünglich herkommen. Ohne den Erfolg der Dap-Kings wäre das nie möglich gewesen.

Essen Sie eigentlich auch die Fische, die Sie fangen?

Was sollte ich denn sonst tun? Das Essen ist mindestens so gut wie das Angeln.

Interview und Link-Tipps: Claus Lochbihler

Sharon Jones and the Dap-Kings auf Tournee:
13. Oktober, Zürich (Kaufleuten)
16. Oktober, Köln (Live Music Hall)
19. Oktober, Berlin (Huxley’s)
20. Oktober, Hamburg (Gruenspan)
21. Oktober, Bonn (Harmonie)
22. Oktober, München (Tonhalle)

Das vielleicht beste Video von Sharon Jones and the Dap-Kings: „100 Days, 100 Nights“
Die Band-Webseite: http://www.sharonjonesandthedapkings.com/
Das Label: http://www.daptonerecords.com/

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