Rio de Janeiro - Sérgio Mendes öffnete der brasilianischen Musik die Türen. Sein Song «Mas que nada», eine Hymne auf die Unbeschwertheit, wurde ein Welthit. Zu verdanken hat der Pianist und Jazzmusiker das seiner Stärke für Arrangements alter Lieder, immer wieder erfand er sich neu.
11.30 Uhr hat er vorgeschlagen, um 11.30 Uhr sitzt Sérgio Mendes, auf dem Kopf den charakteristischen beigen Hut, in der Lobby des Hotel «Copacabana Palace». Eine für Rio de Janeiro ungewöhnliche Pünktlichkeit. Aber Mendes lebt auch schon seit Jahrzehnten in Los Angeles und verkörpert wie wenige andere die brasilianische Musik, die international erfolgreich ist.
Der Song «Mas que nada» (Etwa: «Was soll's?») des Jazzmusikers und Pianisten von 1966 ist eine Hymne auf Leichtigkeit und Lebensfreude - und vermutlich bis heute der einzige Hit aus Brasilien und auf Portugiesisch, der auf der ganzen Welt gespielt wird. «Was ich will, ist Samba tanzen», heißt es darin. Mit dem Lied werden die Wellen und die Sonne der Strände von Copacabana und Ipanema überall hin gespült.
Sérgio Mendes ist zur Eröffnung eines Ablegers des berühmten New Yorker Jazzclubs «Blue Note» in seiner alten Heimat Rio engagiert worden - und riss bei zwei Konzerten das Publikum mit. «Das ist eine große Freude», sagte Mendes der Deutschen Presse-Agentur beim Gespräch in einem Saal im ersten Stock des «Copacabana Palace». «Ich habe das Glück, noch weiter arbeiten, weiter reisen zu können.»
Am Donnerstag (11. Februar) wird die brasilianische Musiklegende, die in Niterói, auf der anderen Seite der Guanabara-Bucht, geboren wurde, 80. Sein Vater, ein Arzt, hatte für Sérgio Mendes ebenfalls eine Mediziner-Karriere im Sinn. Aber dieser lernte auch Klavier spielen, machte eine klassische Ausbildung, interessierte sich für Jazz.
Das vibrierende Nachtleben im Rio der 1950er und 1960er Jahre, die Musikbars der Stadt zogen Mendes früh an. Er spielte mit seinem Trio in der «Bottles Bar» in Copacabana, die zusammen mit anderen Clubs der Gasse «Beco das Garrafas» als Wiege des Bossa Nova gilt. Später hatte er die Gruppe «Bossa Rio Sextett».
«Jazz war und ist sehr wichtig für mich», sagt Sérgio Mendes, auch weil der Jazz der Música Popular Brasileira die Türen in der Welt geöffnet habe. «Aber es war auch ein wichtiger Moment der brasilianischen Musik, vielleicht der wichtigste.» Der Moment der Bossa Nova, die, halb gesungen, halb hingehaucht, federleicht wie ein Strandspaziergang daherkommt und dabei schwermütig und ernsthaft sein kann.
«Diese Songs von Tom», sagt Sérgio Mendes und meint Antônio Carlos «Tom» Jobim, den Komponisten, der zusammen mit dem Sänger João Gilberto und dem Dichter Vinícius de Moraes als Erfinder der Bossa Nova gilt, «der mein Maestro war, mein Freund, mein Mentor. Das war sehr besonders. Nichts, was man davor im Radio gehört hätte.»
Auch die internationale, vor allem die US-amerikanische Musikszene wurde auf die neue Welle aufmerksam. «Von da an hat Stan Getz Sachen von Tom aufgenommen, Frank Sinatra, Ella Fitzgerald. Ich hatte großes Glück, in der Zeit anzufangen, in der es diese Vitalität, diese Kraft gab.» Sérgio Mendes wurde eingeladen zum Konzert der Bossa Nova in der Carnegie Hall in New York 1962, wo Weichen für Weltkarrieren gestellt werden, nahm unter anderem mit den US-Jazzgrößen Cannonball Adderley und Stan Getz eine Platte auf.
In Brasilien kamen zudem 1964 die Militärs an die Macht und sollten dort 21 Jahre bleiben. «Ich habe gefühlt, dass die Dinge hässlich werden würden», sagt Mendes. «Und mein Glück im Ausland versucht.» Soldaten waren in sein Apartment in Nitéroi eingedrungen, ein Freund im Außenministerium half, das Land zu verlassen.
Mit der Gründung der Band «Sérgio Mendes & Brasil '66» und dem Vertrag bei Herb Alperts Plattenfirma A&M Records legt er den Grundstein für seine Karriere, in der er Jazz, Samba und Bossa Nova zusammenbrachte. Rund 35 Alben hat er herausgebracht - von «Dance Moderno» 1961 bis «In The Key Of Joy» 2020 -, drei Grammys gewonnen, die Bühnen der Welt bespielt.
Mindestens einmal im Jahr kommt Mendes nach Rio, wo er und seine Frau Gracinha, die mit ihm singt, Familie haben. Die Sehnsucht stillen, Batterien aufladen, Inspiration holen. «Die brasilianische Musik hat so viel Schönes und Magisches zu bieten», sagt Sérgio Mendes. «Man kann eine CD geschickt bekommen, aber den Geruch und den Klang von Rio kann man nicht verpacken.» Er nimmt gerne hier auf und fügt dann anderswo etwas hinzu.
So schrieb Mendes in seiner Karriere auch nur wenige Songs selbst. Seine Stärke sind neue Arrangements alter Lieder wie «Mas que nada», im Original von Jorge Ben Jor, Legende des Sambarock. Immer wieder erfand sich der Musiker dabei selbst neu. Zum Cross-Over-Album «Timeless» 2006 etwa versammelten sich «Black Eye Peas»-Frontsänger Will.i.am, Stevie Wonder, Justin Timberlake und Erykah Badu um sein Piano. Es entstand unter anderem eine Bossa-Nova-Hip-Hop-Variante von «Mas que nada», die weltweit die Charts eroberte.
«Ich weiß nicht, wie ich das mache», sagt Sérgio Mendes im «Copacabana Palace» an der Avenida Atlântica, die am Strand von Copacabana entlangführt, links erhebt sich der Zuckerhut. «Ich mache die Musik, die mir gefällt, die ich fühle, das ist eine sehr spontane Arbeit. Wissen Sie, ich habe keine Formel für nichts.» Mendes klingt dabei nicht wie eine «Brasil-Pop-Legende», die Jahrzehnte Karriere hinter sich, sondern wie ein junger, hungriger Musiker, der die ersten Konzerte vor sich hat.
Ob es einen Moment gegeben habe, in dem er das Gefühl hatte: Jetzt bin ich angekommen? Mendes steht vor den Bildern von Leonard Bernstein und Tom Jobim im ersten Stock des «Copacabana Palace». Er wartet auf den Aufzug, sagt: «Ich lebe sehr den Moment, ich hatte auch viele nicht so schöne Momente. Das Leben ist nicht so.» Sérgio Mendes meint «linear» und macht eine wellenförmige Handbewegung. Sondern so wie das Meer draußen, auf der anderen Seite der Avenida Atlântica: Auf und Ab.