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Stabwechsel in Stuttgart. Hans-Christoph Rademann, Joachim Gauck und Hellmut Rilling. Foto: Holger Schneider
Stabwechsel in Stuttgart. Hans-Christoph Rademann, Joachim Gauck und Hellmut Rilling. Foto: Holger Schneider
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Stabwechsel mit Staatsakt – Hans-Christoph Rademann ist Nachfolger von Helmut Rilling bei der Stuttgarter Bachakademie

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Was ja längst besiegelt war wird nun noch einmal in einem regelrechten Staatsakt gefeiert. Nach mehr als 30 Jahren hatte Helmut Rilling die Leitung der von ihm gegründeten Internationalen Bachakademie in Stuttgart abgegeben. Dazu gehören die vom nunmehr 80jährigen gegründete Gächinger Kantorei und das Bach-Collegium. Rilling und die Vereinigung hochprofessioneller Sänger und Musiker stehen für Maßstäbe der Bachinterpretationen weltweit, kaum zählbar die Auftritte, Akademien, Aufnahmen und Einspielungen.

Aber keine Kontinuität in der Kunst ohne Veränderung. Daher wählte man in Stuttgart einen neuen Dirigenten und Leiter der Akademie. Die Wahl fiel auf Hans-Christoph Rademann aus Dresden, Helmut Rilling hatte man dazu nicht befragt, also ging es nicht gänzlich ohne Verstimmung im Vorfeld bevor am Ende, bei der offiziellen „Stabübergabe“, Rilling seinem Nachfolger ausdrücklich eine „wunderbare, hervorragende Interpretation“ der Kantate „O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe“ (BWV 34), von Johann Sebastian Bach, bescheinigte.

Bis es aber an jenem denkwürdigen Abend in der Stuttgarter Liederhalle so weit war verging einige Zeit. Erst einmal hieß es warten auf die Politprominenz. Dann deren Einzug mit Blitzlicht, Bundespräsident Joachim Gauck, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Oberbürgermeister Fritz Kuhn und viele weitere wichtige Menschen. Die dankbare Verabschiedung von Helmuth Rilling ist das Thema der Ansprachen. Der Bundespräsident spricht von der „Magie eines Menschen“, von der deutschen Kultur, die „immer wieder in der sogenannten Provinz entsteht“, betont die spirituelle Dimension der Musik, Bach insbesondere, derer ein Mensch bedarf, „wenn das Wasser höher steigt im Lebensgebäude und wir dem Wesentlichen näher kommen.“ Dann weiß Joachim Gauck genau, wo in seinem Schrank die CDs aus Stuttgart stehen. Und da standen einige auch schon bevor die Mauer fiel, denn Helmut Rilling kam mit seinen Sängern und Musikern in die DDR, dabei - und das ist schon eine große Ausnahme - fanden die Konzerte nicht nur in den angesagten Kulturzentren statt, sondern eben auch in der „Provinz“, und der Bundespräsident zitiert Rostocker Bürger, die  meinten dass Engel durch die Kirche schwebten als die Gächinger Kantorei einst hier musizierte.

Nach so viel Rückblick dann doch ein Blick voraus. Ministerpräsident Winfried Kretschmann bringt die „Neugier“ ins Spiel, das Motto des ersten von Hans-Christoph Rademann verantworteten Musikfestes Stuttgart, bei dessen Eröffnung diese „Stabübergabe“ zelebriert wird. Und ganz praktisch, nach so viel Besinnlichkeit, sagt er auch die weitere Unterstützung zu, denn auch künftig wolle das Land auf solche Kulturbotschafter nicht verzichten.

Oberbürgermeister Fritz Kuhn bleibt nach einer spontanen und sehr weit ausladenden Dankesrede des geehrten Helmut Rilling nur noch knappe Zeit um diesem zu danken, vom „Stolz der Bürgerschaft“ in einer „Stadt der Künste“ zu sprechen und vielleicht mit einem Augenzwinkern darauf hinzuweisen, dass das Publikum den „Neuen“ noch kennenlernen werde.

Weil die Musik an diesem Abend auch eine Rolle spielte hatte es dazu auch schon Gelegenheit, mehr noch, es konnte vergleichen. Während Helmut Rilling die Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ (BWV 147) vermächtnishaft, bedachtsam und feierlich in wiegenden Bewegungen voranschreitend dirigiert, wird Hans-Christoph Rademann den festlichen Jubel der Kantate „O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe“ geradezu körperlich Ausdruck verleihen. Da klingt wunderbare, mutige Unerschrockenheit auf, an beseelter Grundierung fehlt es nicht, aber über allem waltet so herzliche Fröhlichkeit, so bodenständige Spiritualität. Rademann braucht keinen Stab, er lockt und waltet, gibt klare Zeichen mit den Händen, setzt wenn nötig in tänzerischer Bewegtheit den ganzen Körper ein. Das Collegium mit den strahlenden Trompeten und dem filigranen und doch  geschlossenem Streicherklang, die Sängerinnen und Sänger der Kantorei steigen voll ein. Aus dem Quartett der Solisten ragt Anke Vondung heraus. Am Ende ist die Neugier auf den Neuen geweckt.

Und einen Tag später, am Abend in der Stuttgarter Stiftskirche, nach Rademanns Antrittskonzert, jubelt das Publikum. Auf dem Programm Georg Friedrich Händels Oratorium „Israel in Egypt“, hier steht in den drei Teilen der Klage der Israeliten in fremden Land, des Auszuges nach den Plagen der Ägypter und des jubelnden Lobgesanges der Befreiten, der Chor im Mittelpunkt. Und da möchte man meinen finden mit den Sängerinnen und Sängern der Gächinger Kantorei, den Musikern des Bach-Collegiums und dem dynamischen Dirigenten Gleichgesinnte zusammen. Händels Werk über den Weg eines Volkes, bei unbestimmtem Ziel, aber immer angetrieben von neugieriger Hoffnung, und von der Vision einer Freiheit die dennoch Regeln brauchen wird, bekommt in dieser Aufführung des Musikfestes Stuttgart mitreißende Dramatik. Mitunter, gerade im zweiten Teil, wenn eindrücklich geschildert wird, wie Frösche, Fliegen. Läuse, Pest, Geschwür und Blasen die Ägypter plagen, wie die Wogen des Roten Meeres über sie zusammenschlagen, vor den Israeliten aber beiseite weichen, ist die barocke Opernlust nicht zu überhören. Am Ende dann, im Jubel der Befreiten, im ekstatischen Tanz der Prophetin Miriam, mag man so etwas wie staatstragende Frömmigkeit vernehmen können, allein Chor und Orchester mit der so fröhlich alle überragenden Sopranistin Elizabeth Watts feiern hier wohl doch eher die Neugier auf die Klänge der Zukunft mit ihren neuen Regeln und Visionen bei der Internationalen Bachakademie in Stuttgart.

  • Information: Deutschlandradio Kultur sendet das Konzert, am 19. Oktober, um 20.03 Uhr.                                   

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