Dresden - Mit 26 Jahren kann einem die Welt noch zu Füßen liegen. Für einen Musiker wie den Cellisten Isang Enders triff das allemal zu. Gut ausgebildet, außergewöhnlich talentiert und offen für Wagnisse. Der junge Mann mit deutsch-koreanischem Hintergrund hatte alle Voraussetzungen, um in der Geborgenheit eines namhaften Orchesters Schritt für Schritt Karriere zu machen. Dennoch wählte er einen anderen Weg.
Enders gab einen Traumjob als Erster Solocellist in der Staatskapelle Dresden auf, um seinen eigenen Weg in der Musikwelt zu finden: «Ich arbeite heute viermal so viel und verdiene nur die Hälfte. Aber ich bin glücklich damit.»
Enders ist ein gutes Beispiel für die Generation Y - jene jungen Menschen, die anders arbeiten und besser leben wollen. Das Y steht für «why» (warum) und die Angewohnheit, alles zu hinterfragen. «Es ist die Entscheidung für ein besseres Lebensgefühl, wofür man lieber ein unsicheres Einkommen in Kauf nimmt», sagt Enders. Als er 2012 den attraktiven Posten in Dresden räumte, verstanden seine Eltern - beide Musiker - den Schritt nicht.
«Die Entscheidung war für mich damals alternativlos», erläutert Enders. Der Wunsch nach einem Ausbruch aus der bisherigen Situation habe ihn selbst überrumpelt: «Das war nicht von langer Hand geplant.» Enders nahm sich eine Auszeit, um die Lage zu sondieren. Und er holte vieles nach, was er in der Zeit seiner Ausbildung nicht machen konnte. Sprachen lernen, reisen, die Freiheit genießen.
Enders räumt ein, dass er das erste Jahr nach Dresden aber auch zeitweise ziemlich durchhing: Klinken putzen, um Einladungen werben, sich um das «Vitamin B» kümmern. Denn Beziehungen geben auch in der musikalischen Welt den Ton an. «Da ich sie im Studium nicht kennengelernt hatte, musste ich sie nachholen. Es ging darum, mir ein künstlerisches Profil zu erarbeiten.»
Drei Jahre später ist er mit seiner Gesamtsituation zufrieden, auch wenn er sich ab und zu müde fühlt. Eine Wohnung hat er nicht mehr. Enders lebt zwischen Gastspielen aus dem Koffer. Wichtige Utensilien hat er bei seinen Eltern in der Nähe von Frankfurt am Main und bei Freunden deponiert.
«Ich bin in ständiger Bewegung, muss mich selbst finden», betont Enders. 2014 war er sechsmal in Asien, auch im Land seiner Mutter. Inzwischen kennt er sich in Seoul so gut aus wie in Frankfurt oder Berlin. In der südkoreanischen Hauptstadt musiziert er oft mit den dortigen Philharmonikern. Ein Fotoshooting für die koreanische Ausgabe der «Vogue» hat sein Image als eine Art Popstar geprägt.
Die Zeit der Reife hat sich bei Enders auch musikalisch ausgewirkt. Im Herbst 2013 kam seine Interpretation der Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach auf CD heraus - das Nonplusultra in der Zunft. «Es gibt nichts Vergleichbares für das Cello», sagt Enders. Die Suiten seien zwar unzählige Male eingespielt worden, aber kaum einer in seinem Alter habe das gemacht: «Vielleicht hat das biografische Gründe. Als ich so allein war, war Bach mein treuester Begleiter».
«Wenn heutzutage ein junger Cellist aus dem sicheren Hafen einer hervorragenden Solocellisten-Position «entflieht», zeugt das nicht nur von Mut und Zutrauen, sondern auch von Entdeckerdurst und ungestilltem Mitteilungswunsch», sagt Michael Sanderling, Chefdirigent der Dresdner Philharmonie. Dies seien Eigenschaften, ohne die niemand auf das internationale Podium treten sollte. Enders gehörte einst zu Sanderlings Schülern. Heute teilen sich beide in Frankfurt am Main eine Professur.
Jörg Schurig
Nachtrag
Isang Enders will in einem neuen Projekt Naturelementen musikalische Gestalt geben. Für «Elements» vergibt er insgesamt sieben Kompositionsaufträge an Künstler in aller Welt. Neben Feuer, Wasser, Erde, Holz und Metall sollen auch Sonne und Mond Klangformen erhalten. Enders macht den Kollegen Vorgaben - die Stücke dürfen nicht länger als jeweils zehn Minuten sein und müssen für Cello und Elektronik geschrieben sein. Eines Tages soll der gesamte Wochenkalender in 70 Minuten abgespielt werden.
Ein Element - «Wasser» von Charlotte Bray - führt er bereits in Konzerten auf - in Kombination mit Musik von Johann Sebastian Bach. «Das stellt einen guten Bruch dar, eine Entlastung für den Kopf. Wenn man 300 Jahre zurückblickt, sollte man auch nach vorn schauen», sagte Enders der Deutschen Presse-Agentur. Ihm schwebe eine Performance vor, bei der die Musik später einmal auch getanzt wird.