Berlin - Unvorstellbar, dass Hugo Strasser einmal aus dem Takt geraten könnte. Und doch passiert das Strasser immer dann, wenn er sich auf das Tanzparkett wagt. Der Klarinettist und Bandleader, auf dessen Melodien Millionen Deutsche nach dem Krieg tanzen lernten, kann selbst nicht tanzen. "Ich habe seit jeher Hemmungen davor", sagt Strasser im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd.
"Ich habe bei all diesen Tanzturnieren gespielt, bei den Deutschen Meisterschaften, Europameisterschaften und Weltmeisterschaften, und dabei alle diese Paare tanzen gesehen, mit ihrer unglaublichen Präzision und Anmut. Das habe ich bewundert und immer gedacht: Um Himmels willen, da kannst du doch niemals selbst aufs Parkett gehen mit deinen zwei linken Füßen!"
Zum Klarinettespielen braucht Strasser die Füße "Gott sei Dank" nicht. Und weil er fast jeden Tag übt, fliegen seine Finger immer noch behände über die Klappen seines Instruments. Auch an seinem 90. Geburtstag am 7. April lässt Hugo Strasser seine Klarinette erklingen. "Zu Hause gefeiert wird nicht", sagt der Münchner. "Denn was gibt es in meinem Alter noch zu feiern außer die Freude darüber, dass ich meinen Beruf noch ausüben kann?"
"Ein Musiker kennt keine Rente"
Und so steht Strasser auch in diesen Tagen gemeinsam mit den anderen beiden "Swing-Legenden", Saxophonist Max Greger (86) und Pianist Paul Kuhn (84), sowie der Big-Band des SWR irgendwo in Deutschland auf einer Bühne und spielt in vermutlich ausverkauften Konzertsälen vor einem begeisterten Publikum. "Ein Musiker kennt keine Rente, der bleibt ein Leben lang im Beruf", sagt Strasser.
Seine Erfolgsgeschichte begann in den Nachkriegswirren: Als Jazzmusiker zog "Klarinetten-Hugo" zusammen mit Max Greger durch die Münchner Clubs der US-Armee. "Das war eine tolle Zeit", erinnert sich der Musiker. "Die Amerikaner dachten, dass Deutsche nur Marschmusik können, weil Jazz und Swing während des Krieges ja verboten waren und waren ganz überrascht, als sie uns hörten." Viele seiner Idole lernte Strasser damals kennen und musizierte mit ihnen: Lionel Hampton, Count Basie, Ella Fitzgerald und Louis Armstrong. "Die haben hier Konzerte für die amerikanischen Truppen gegeben", sagt Strasser. Danach ging es in die Clubs, "wo wir mit ihnen Jam-Sessions machen durften".
Mitte der 1950er Jahre gründete Strasser seine eigene Band, die sich auf Melodien "im strikten Tanzrhythmus" spezialisierte und bald zu den besten Tanzorchestern der Welt gehörte. "In dieser Zeit gab es in Deutschland kein auf den Turniertanz spezialisiertes Orchester", erinnert sich der Bandleader, der die Marktlücke füllte. Bald wurde das Fernsehen auf den Tanzmusiker aufmerksam, unter anderem spielte Strasser mit seiner Band in der von Peter Frankenfeld moderierten ZDF-Unterhaltungsshow "Musik ist Trumpf" und in der ARD-Sendung "Sing mit mir - Tanz mit mir".
Strasser sieht Swing ist Lebensform
Mehr als sechs Millionen Tonträger hat Strasser im Laufe der Jahrzehnte verkauft, viele Stücke hat er selbst komponiert und arrangiert. Titel wie "Wild Cat Blues" oder "Lonely Trumpet", der um die Welt ging, weil sich der amerikanische Trompeter Ray Anthony einfach aus dem Fundus von "Klarinetten-Hugo" bediente. Und weil sich die Menschen im Wirtschaftswunderland nach Schnulzen und heiler Welt sehnten, bediente Strasser auch diesen Geschmack und komponierte den Schlager "Edelweiß vom Wendelstein", mit dem er einen "Bomben-Hit" landete.
Strassers große Liebe gilt aber dem Swing. Mehr als 100 Konzerte gibt er in diesem Jahr. Mal an der Seite der "Swing-Legenden", mal mit der eigenen Big-Band und schließlich mit seiner Swing-Band "Hot Five". "Swing ist weniger eine musikalische Stilrichtung als vielmehr eine Lebensform", sagt der Klarinettist, der den Menschen auf der Straße ansehen kann, ob sie den Swing haben oder eben nicht. Wer mit zusammengesunkenem Oberkörper daher laufe, habe keinen Swing.
Strasser hat den Swing, auch wenn er nicht tanzen kann. "Mein Platz ist auf der Bühne", sagt er. Und dort wolle er noch lange stehen. "Eine bessere Medizin als die Musik kann es für mich doch gar nicht geben."