Rio de Janeiro - Der brasilianische Musiker, Komponist und ehemalige Kulturminister Gilberto Gil ist bereits zu Lebzeiten eine Legende. Der Vater des Tropicalismo wird 80 - und geht auf Tournee nach Europa. Auch in Deutschland wird Gil zu sehen und zu hören sein.
Gilberto Gil wird den 26. Juni nicht in Ruhe zu Hause verbringen, sondern auf der Bühne in Timmendorfer Strand. Mit fast 40 Menschen aus der Familie, unter ihnen auch Musiker, Techniker und Gäste, wird er unter dem Titel «Nós, a Gente» für 40 Tage auf Tour nach Europa gehen - und auch als Hauptattraktion beim Festival «JazzBaltica» an der Ostsee auftreten. «Dass Gilberto Gil mit seiner ganzen Familienband kommt, kann ich nur als eine Sensation bezeichnen», sagte der künstlerische Leiter des Festivals, Nils Landgren. «Besonders, weil er an diesem Tag Geburtstag hat.»
Die Vorbereitung der Tournee und der Austausch mit Kindern und Enkelkindern dienten als Kulisse für die Streaming-Serie «Em Casa com os Gil» bei Amazon, die Ende Juni starten soll. Die Serie wurde 20 Tage lang im Landhaus der Familie Gil in der Bergregion von Rio de Janeiro aufgenommen, wo für die Tour geprobt, geredet und gelacht, diskutiert und gestritten wurde. Die Auftritte in Ländern wie Deutschland, Dänemark, der Schweiz und später Brasilien sollen für einen zweiten Teil der Serie dienen.
Das familiäre Megaprojekt ist auch für Gil ungewöhnlich, der mehr als 50 Platten veröffentlicht, mehr als vier Millionen Tonträger verkauft, mehrere Grammys bekommen hat - und auf fast 60 Jahre Musiker-Karriere zurückblicken kann.
Geboren und aufgewachsen in Salvador da Bahia, begründete Gil, der auch Bücher geschrieben hat, in den 1960er Jahren, zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985), zusammen mit seinem Weggefährten Caetano Veloso den Tropicalismo als neue Musikrichtung: Eine Mischung aus populärer brasilianischer Musik mit internationalen Pop- und Reggae-Elementen.
«Solange ich mich erinnern kann, hat die Musik von ihm mich und meine Generation begleitet - ohne die Texte richtig kapiert zu haben», sagte Landgren. «Die Musik traf mich aber direkt ins Herz. Erst später habe ich verstanden, wie wichtig die Texte sind und vor allem, welche Bedeutung diese für Millionen von Menschen weltweit haben.»
Viele der Songs wurden in Brasilien und anderen Ländern Hymnen, Gil gilt als einer der besten und populärsten brasilianischen Musiker. Er ist bereits zu Lebzeiten eine Legende. Die kritischen Texte brachten während der Diktatur auch die Militärs auf den Plan: Gil und Veloso wurden festgenommen, kamen in Haft und mussten das Land verlassen. Sie lebten mehrere Jahre im Exil in London, wo Gil unter anderem Jimi Hendrix und die Beatles beeinflusste, bevor er und Veloso 1974 nach Brasilien zurückkehrten.
Das Lied «Aquele Abraço», das von Stadtteilen, Orten, Sambaschulen und Persönlichkeiten Rio de Janeiros handelt, war der Abschiedssong Gils gewesen. 2016 eröffnete «Aquele Abraço» die Olympischen Spiele in Rio. Gil hatte im Maracanã ganz in Weiß einen seiner größten Auftritte.
Legendär war auch seine Einlage als Kulturminister zusammen mit dem damaligen Generalsekretär Kofi Annan in der UN-Generalversammlung in New York 2004, wo er «Toda Menina Baiana» sang. 2003 war er unter dem damaligen linken Präsidenten Luiz Lula da Silva der erste Schwarze in dem Amt in Brasilien geworden - und nutzte die Politik, um Werbung für die brasilianische Kultur zu machen.
«Gilberto Gil übersetzt den Dialog zwischen gelehrter und populärer Kultur. Dichter eines tiefen und kosmopolitischen Brasiliens. Ein offenes Ohr für alle Appelle und Forderungen unserer Bürger«, sagte der Präsident der «Academia Brasileira de Letras» mit Sitz in Rio de Janeiro, Marco Lucchesi, als Gil im vergangenen Jahr einen Platz in der brasilianischen Gelehrtengesellschaft bekam, die nach dem Vorbild der Académie Française gegründet worden war.
Trotz all dieser Errungenschaften und Erfahrungen stellt die kommende Tournee Gilberto Gil vor gewisse Herausforderungen. «Es ist ein Novum, dass die ganze Familie dabei ist«, sagte er in einem Interview «BBC News Brasil». «Die Angelegenheiten beim Umgang mit einer so großen Gruppe sind also neu.» Zudem habe er eine leichte Beunruhigung bei Live-Auftritten entwickelt, sagte Gil. «Ich glaube, das liegt wirklich am Alter.» Das fehlende Vertrauen «in die körperliche Leistung, die sportliche Qualität» bringe «neue Sorgen mit sich, die eine gewisse Zunahme der Nervosität bedeuten».