Denkt man an den Bassisten Gary Peacock, dann denkt man auch an Keith Jarrett, als dessen kongenialer Begleiter er ins Rampenlicht des Musikbusiness rückte. Für Peacock, der erst im Alter von 42 Jahren mit Keith Jarrett und Jack DeJohnette das legendäre Über-Trio des modernen Jazz mitbegründete, war diese Konnotation Auszeichnung und Stigma zugleich.
Welcher junge deutsche Pianist um die Jahrtausendwende – von Michael Wollny bis Lorenz Kellhuber – träumte in seiner Übezelle nicht davon, einmal im Trio mit dem Bass aller Bässe zu spielen? Doch auf der anderen Seite war Peacock eben nicht nur einer von Dreien, sondern ein ganz eigener Geist, ein Komponist und Interpret, der Jahrzehnte vor dem Trio mit Jarrett und DeJohnette schon die weite Welt des zeitgenössischen Jazz ausgelotet und mitgestaltet hatte – fernab jeden Starrummels, geschätzt von seinen Mitmusikern und bewundert vom zahlenmäßig überschaubaren Kennerpublikum, wie es sich nach dem Ende der populären Swing-Ära herausgebildet hatte.
Dass Peacock einen „deutschen Hintergrund“ hat, ist wenig bekannt: Er war ursprünglich Pianist und spielte als GI im „Bergwerk“, wie man die Kellerclubs der US Army in Deutschland gerne nannte. 1956 wechselte er zum Kontrabass und arbeitete noch einige Zeit in Deutschland mit Hans Koller, Albert Mangelsdorff, Attila Zoller, Tony Scott und Bud Shank. 1958 ging er nach Los Angeles, wo er mit Barney Kessel, Don Ellis, Terry Gibbs, Shorty Rogers und Paul Bley auftrat. 1960 heiratete er Annette Peacock, geborene Coleman, die bald darauf zur Ikone des Synthie-Pop werden sollte. Der Weg in den Avantgardejazz schien vorgezeichnet als er 1962 nach New York City übersiedelte, wo er mit Bill Evans, dem Paul Bley Trio, Jimmy Giuffre, Roland Kirk und George Russell zusammenarbeitete.
Von 1969 bis Anfang der 80er-Jahre gab es einen markanten Umbruch in Peacocks musikalischer Laufbahn: Er lebte in Japan und lernte den Zen-Buddhismus kennen, danach studierte er an der University of Washington Biologie. Und schließlich unterrichtete er zwischen 1976 und 1983 Musiktheorie am Cornish College of the Arts in Seattle.
Für ECM Records hat Peacock mehr als 50 Alben eingespielt, angefangen bei LPs mit Paul Bley Mitte der 1960er, die erst später veröffentlicht wurden. Weitere Mitstreiter bei ECM waren Ralph Towner, Jan Garbarek, Tomasz Stanko, Paul Motian, Joey Baron oder Marc Copland. Die Begegnung mit dem jungen Jarrett, der damals auch schon bei ECM von sich reden gemacht hatte, lag also nahe. Dass der Modernist Peacock 1983 von Keith Jarrett überredet werden musste – so die Legende –, Standards anstelle von Eigenem einzuspielen, um dann mit dieser Musik große Säle zu füllen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Doch für das Keith Jarrett Trio waren Standards eben kein Retro Jazz, keine postmoderne Jukebox, wie man sie heute von jungen Musikern auf allen Youtube-Kanälen zu hören bekommt. Das Jarrett-Trio transformierte die Seele, den Gehalt dieser populären Musik der 40er-Jahre in die Sprache der 80er-Jahre-Gegenwart – mit Auswirkungen bis heute. Der Klang des Trios Jarrett/Peacock/DeJohnette ist jedenfalls undenkbar ohne den Kontrabass von Peacock. Am 5. September ist Gary Peacock im Alter von 85 Jahren gestorben.