Er ist mittlerweile 70 Jahre und immer noch gilt er als ein, wenn nicht „das“ Urgestein des freien Jazz in Deutschland seit den 60er Jahren. Peter Brötzmann hat zur Eröffnung des Cage-Jahres und zugleich als Auftaktkonzertes des „Workshops Freie Musik“ in der Akademie der Künste Berlin, im Hanseatenweg, den Deutschen Jazzpreis erhalten. Im Trio „Full Blast“ mit Michael Wertmüller (Schlagzeug) und Marino Pliakas (E-Bass) zelebrierte er die Auszeichnung mit bekannter Vehemenz.
Bekannt, doch unbekannt. Der Druck, den Brötzmann musikalisch in seinen verschiedenen Formationen auszudrücken in der Lage ist, ist nicht überraschend. Man weiß es. Aber immer wieder erstaunt es einen, was dann passiert. Es ist kein Metier, keine Routine, es ist jedes Mal wie zum ersten Mal. Man wird praktisch, stehend oder sitzend, nach hinten weggedrückt. Ein dichtes Gebläse und Geschlage, vom Bassspiel als musikalischer Trägersubstanz, gehalten und angetrieben.
Verwunderlich eher, dass Brötzmann erst jetzt den Preis zuerkannt bekommen hat. Laudator Markus Müller erinnerte sich, dass er auch schon 1994, bei der ersten Preisverleihung im Gespräch war, aber, wie er meinte festzustellen, nicht „durchsetzbar“ gewesen wäre. Die 90er Jahre waren nicht so golden.
Nele Hertling, Vizepräsidentin der Akademie der Künste, erinnerte in ihrer Begrüßung an die späten 60er und frühen 70er Jahre. Als Brötzmann und die ganze avancierte Jazzszene, gehalten vom Gefühl der Umbrüche, zu freien Formen expressiver Kunstproduktion neigte. Der Remscheider Brötzmann, der in die Großstadt ging, nach Wuppertal, und zusammen mit dem Bassisten Peter Kowald, musikalische Klein- und Großversuche in Richtung Ausbruch wagte. Als die „Workshops Freie Musik“ zu musikalischen Wagnissen wurden, die zwischen Anarchie und Zusammenbruch, zwischen Maulschelle und dem Vorwurf des Repression geführt wurden.
Ist heute eine Zeit für eine Renaissance, im Zeitalter kultureller und gesellschaftlicher Erschöpfung. In einer Zeit, da die musikalischen Impulse immer weniger zu wiegen scheinen, als deren Verwurstung durch Vermittlungsinitiativen. Brötzmann selbst sieht in seiner Dankesrede einige Probleme. Der kulturelle Boden in Deutschland sei nicht gut bestellt, stellt er fest. Er komme gerade von einer Chinareise zurück, auf der er drei Wochen lang musikalische zu tun hatte. In Deutschland könne er die Orte, auf denen er auftreten könne und die wenigstens eine minimale Gage anbieten könnten, an einer Hand abzählen. Da sei selbst Österreich ein Vorbild. Früher sei das anders gewesen, man habe drei bis vier Wochen zwischen Kiel und Villingen („oder sogar München ab und zu“) unterwegs sein können. Warum dies so wichtig ist? Man lerne diese Musik „nur on the road“, sagt Brötzmann. Diese Musik sei keine Musik, die man lehren kann: „Deswegen sind auch Musikhochschulen in unserem Falle völlig nutzlos. Man muss unterwegs sein, man muss zusammen unterwegs sein.“
Und so ist Peter Brötzmann unterwegs, sein Leben lang schon. Ihn begleiten, wenn man sich beim anwesenden Publikum umschaut, die Jungen und die genau so Bärtigen wie er selbst. Zwischendrin, in der langwierigen Laudation von Markus Müller macht sich für einen Moment Unmut breit. Es soll losgehen. Und einer sagt es auch laut. Zeichen der Zeit, er bekommt für Momente ebenso Zustimmung wie Kopfschütteln als Resonanz. Dann nach der Preisverleihung durch Frank Dostal (GEMA-Stiftung) und Manfred Schoof (Deutscher Komponistenverband), geht es wirklich los. Mit dem musikalischen Druck, der immer wieder unterwegs ist. Als drittes und letztes Stück spielen „Full Blast“ Colemans „Lonely Woman“ – eine Ballade ohne Verklärung. Schön, dass diese Musik niemals Tagesbegleitmedium geworden ist.
Sein Preisgeld, so Brötzmann, will er für seine Zähne aufwenden.