Als Pianist wird Fazil Say von New York bis Wien gefeiert für seine körperbetonten Interpretationen etwa von Mozart. Sein Spiel ist selbst dort immer gut zugänglich, wo es gegen Konventionen verstößt. In Deutschland arbeitet Say oft als Artist in Residence – nach Dortmund, Bremen und Hamburg zuletzt auch am Konzerthaus in Berlin. So bekam das Multitalent Fazil Say zunehmend auch die Möglichkeit sich als Komponist und als Programmmgestalter hervorzutun und seinen unbändigen Drang zu allen Facetten des Musizierens noch mehr ausleben zu können. Paul Bräuer sprach für nmz Online mit ihm.
nmz Online: Herr Say, Ihre Zeit als Berliner Artist in Residence neigt sich dem Ende entgegen. Zuletzt fand das Konzert mit Holzbläsern statt…
Fazil Say: Das war spannend. Wir Pianisten arbeiten nur ganz selten mit Holzbläsern. Oboe, Klarinette und Flöte haben ganz eigene Klangwelten und es ist für den Pianisten schwer von der Begleitung einer Oboe zu der einer Flöte zu wechseln. In der Woche, die wir gemeinsam daran gearbeitet haben habe ich unheimlich viel gelernt. Die Musiker haben die Stücke geliebt und sich Mühe gegeben. Es hat großen Spaß gemacht. Ab und zu muss man solch „andere“ Konzerte machen.
nmz Online: Aber Ihre wahre Liebe gilt dem großen Saal?
Say: Nicht unbedingt. Für mich ist das wichtigste, herauszubringen, was ich musikalisch in mir trage. Die Hände und Arme zu besiegen bis ich von außen klinge wie von innen. Wie und wo, das ist erst die zweite Frage.
nmz Online: Und wie ist es mit Ihren Kompositionen wenn Sie nur im Publikum sitzen und zuhören?
Say: Es ist meine Musik, gespielt von anderen. Ein tolles Gefühl das zu erleben!
nmz Online: Sehen Sie es auch manchmal anders, so dass Sie viel lieber mitspielen würden und zeigen, wie ihre Musik wirklich gedacht ist?
Say: Nein. Was immer man komponiert, sollte immer schon den Kompromiss in sich tragen, dass ein Musiker es interpretieren wird. Hier am Konzerthaus haben die Musiker oft sehr texttreu gespielt. Das kann auch ganz anders sein und trotzdem muss und kann man das als Komponist so annehmen.
nmz Online: Sie spielen selbst so bewegt am Klavier, dass Klang man den Klang fast nicht mehr braucht. Und man meint beinahe, die Tonart an den Augenbrauen ablesen zu können. Ein Klavierlehrer würde da wohl die Hände überm Kopf zusammenschlagen.
Say: Das innerliche Verarbeiten muss das Klavierspielen bestimmen. Es ist ganz wichtig, den kompositorischen Text sehr eingehend zu studieren. Aber der Musiker muss auch natürlich aus sich selbst heraus spielen und gerade in der Kammermusik ist es ganz spannend, wenn er auch seine eigenen Ideen einbringt.
nmz Online: Komponieren Sie deswegen auch sehr virtuose Musik, weil Sie selbst gerne so spielen? Und spielen sie als Pianist wiederum so selbtbewusst und virtuos, weil sie die Perspektive des Komponisten kennen?
Say: Es stimmt: Beides hilft einander wenn man es in sich trägt. Aber als ich zum Beispiel meine Istanbul-Symphonie komponiert habe, war das nicht davon beeinflusst, ob ich zum Beispiel gerade Mozart aufgeführt habe.
nmz Online: Was sind ihre Rituale vor einem Konzert?
Say: Die Zeit vor einem Konzert besteht meist aus Warten. Das Händewärmen und Sich-warm-spielen sind nicht meine Sache. Mir geht es um die Ideen, und also versuche ich vor dem Konzert eine „Ideenintensität“ aufzubauen. Dafür braucht man Konzentrationszeit und Ruhe. Vom ersten Ton des Konzerts dann sollten die Ideen präsent sein. Das klappt natürlich nicht immer.
nmz Online: Wie früh beginnt diese Phase? Betrifft das auch die Tage vorher?
Say: Wissen Sie, ob ich nun Konzert habe oder nicht, ich arbeite eigentlich jeden Tag an einer intensiven innerlichen Welt, an Mikro- und Makrowelten von Tönen bis zu ganzen Stücken. Wir Musiker leben deswegen ganz für die Musik und sind auch ein bisschen abgeschieden vom Rest. Und so hat für mich jeder Tag eigentlich das gleiche Ritual.
nmz Online: Ist ein Tag an dem sie komponieren, also gar nicht anders als ein Konzerttag?
Say: Es gibt ja auch viele Tage an denen ich beides tue. Den Tag über komponieren und abends ein Klavierkonzert von Mozart aufführen, dass gehört für mich zusammen. In meiner inneren Welt trenne ich das gar nicht so.
nmz Online: In ihrer Istanbul-Symphonie heißen die Sätze beispielsweise „Merrily clad young ladies aboard the ferry to the Princes Islands“. Ihr Bläserquintett nannten sie „Die vier Weisen am Rakitisch“. Warum so oft diese Bilder?
Say: Ich schöpfe aus dem Leben um natürlich zu kompnieren. Was mich inspiriert hat fließt in die Werke ein.
nmz Online: Wie abstrakt ist dieser Einfluss zu verstehen? Akzeptieren sie den Begriff der Programmmusik für sich?
Say: Zum Teil ja. Aber wir leben in einem ganz anderen Jahrhundert. Wir tragen Images der Welt uns. In der Türkei ganz andere als in Deutschland. Es ist eben ästhetisch gerade das Schwierige eine Abstraktion zu schaffen, die an vielen Orten verstanden wird. Tarkowsky formuliert es so: Es gibt Kunst, weil die Welt nicht perfekt ist. Kunst ist eine Antwort.
nmz Online: Worauf ist ihre Musik die Antwort? Was möchten sie also bewegen?
Say: Die Antwort auf alles! Wir Künstler bieten diese Antwort an. Was damit passiert ist außerhalb unserer Kontrolle.
nmz Online: Ihre Antworten sind modern, dabei aber weniger avantgardistisch oft sogar nostalgisch.
Say: Avantgardistisch im Sinne der Neutöner nicht, nein. Obwohl ich die Standhaftigkeit der Avantgardisten gegenüber dem Pop-Marketing bewundere! Ich sehe solche musikalische Techniken als Mittel, um jeweils das zu erzählen, was ich zu erzählen habe. Ein Istanbulporträt kann man zB nicht avantgardistisch erzählen, sondern so wie die Stadt ist, in der Tat zum Teil nostalgisch. Aber auch rhythmisch gefühlvoll.
nmz Online: Ein rhythmischer Puls findet sich in vielen Ihrer Werke. Empfänden sie es als Beleidigung, im Falle ihrer Kompositionen gar von einem „Groove“ zu sprechen?
Say: Überhaupt nicht! Eine sich wiederholende Rhythmik zu benutzen oder nicht ist eben eine ganz persönliche Entscheidung jedes Komponisten. Meine türkischen Wurzeln spielen hier sicher eine Rolle, ich finde es aber besonders erfrischend diese Muster in verschiedenen auch ungeraden Taktarten auszuprobieren.
nmz Online: Sie mögen Jazz – das hört man ihrer Musik stellenweise auch an. Gegen kommerzielle Musik, wie die türkische „Arabesque-Musik“ verwahren sie sich aber. Wo in dieser Grauzone liegt für Sie die Grenze?
Say: Jazz ist eine Kulturmusik und darum geht es. Wir müssen als Komponisten das Interesse an der Vielfalt der Kultur hochhalten. Musik aus Südamerika und Afrika genauso wie Jazz und Elektronik, die nehme ich für mich als Kultur. Es gibt auch guten Pop, den ich hier einordne. Aber wir bekommen Probleme, wo es nur noch um Sales geht. Wie soll sich ein Künstler in mitten von so viel Merchandising noch frei bewegen?
nmz Online: Es gab eine heftige Diskussion, als sie Arabesque-Musik unter anderem auf ihrem Blog kritisierten.
Say: Da war eine Verzweiflung und auch eine große Wut zu spüren. Für manche Menschen ist das, als wenn ich nach dreißig Jahren das als Kanalisation bezeichne, was sie für sauberes Wasser halten. Vor allem geht es mir aber darum, zu zeigen, dass kommerzielle Musik nicht automatisch das ist, was die Leute hören wollen. Das ist eine ganz falsche Philosophie. Dagegen muss man ein bisschen kämpfen. Ich habe zum Beispiel einmal eine Radiointerview abgebrochen, weil der Sender zwischendurch immer Arabesque-Musik spielen wollte.
nmz Online: Wie ist es mit den allzu populären Routinen der Klassischen Musik? Sie haben schon Mozarts Marsch alla turca in einer Jazzbersion gespielt. Wie wäre es mal mit einer Kooperation mit Kulturmusik zum Beispiel aus dem Pop?
Say: Seit den 90er Jahren fragt jeder Veranstalter immer wieder, was die Zukunft der Musik ist. Wie kommt man an das junge Publikum. Meine Jazzfantasien von damals waren gute Brücken, um die Menschen zu erreichen, die vielleicht eine Begeisterung für klassische Musik in sich tragen. Aber mit Beethovens op. 111 kann man die nicht sofort locken. Meine Version von Mozarts Alla Turca wurde dagegen auf Youtube millionenfach geklickt.
nmz Online: Gilt das auch für orientalische Einflüsse in ihrer Musik?
Say: Als Künstler muss man Musik aus dem eigenen Land in sich aufnehmen. Und es ist mir durchaus wichtig, dass meine Musik schon Musik für jeden ist. Es muss sie nicht jeder mögen, aber sie muss so klar sein, dass jeder versteht, was ich meineDie nicht temperierten türkischen Instrumente mit Orchesterinstrumenten in Einklang zu bringen ist technisch schwierig.
nmz Online: Sie wandern derzeit von einer Residency zur nächsten. Nach Dortmund und Hamburg nun „Artist in Residence“ in Berlin.
Say: Eine neue Mode der letzten Jahre. Für Künstler wie mich ist das ideal! Die Aufführung meiner Istanbulsinfonie, dazu spiele ich Beethoven und Mozart Klavierkonzerte, komponiere ein alevitisches Quartett und spiele noch mit Klarinette und Flöte kammermusikalisch. Oben drauf ein wenig Jazz und ethnische Musik. Wie wollen sie das sonst umsetzen. Hier in Berlin habe ich 14 Konzerte umgesetzt.
nmz Online: Die nächsten Stationen?
Say: Wahrscheinlich Wien und Leipzig. Dazwischen habe ich viele Konzerte und die eine oder andere Auftragskomposition.
Weitere Konzerte mit Fazil Say im Konzerthaus Berlin: 9 Juni / 13. Juni