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Wayne Shorter. Foto: Ssirus W. Pakzad
Wayne Shorter. Foto: Ssirus W. Pakzad
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Waynes World – Wayne Shorter wird 80

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Wer kriegt wohl im Greisenalter noch einen Exklusiv-Deal angeboten? Wer reißt als Senior noch Musiker aller Generationen mit, ohne dass auch nur ein Fünkchen Nostalgie im Spiel wäre? Es ist Wayne Shorter, der juvenile Visionär, der am 25. August seinen 80. Geburtstag feiert.

Wenn sich Zeitgenossen über Wayne Shorter äußern, ändert sich der Tonfall. Dann wird aus Worten ein Raunen, dann begleitet ein Kopfschütteln das Gesagte – es soll wohl die Fassungslosigkeit über die Lebensleistung dieses Mannes optisch unterstützen, der auch mit bald 80 Jahren immer noch auf der Suche ist, der vor jeder Komposition, jedem Auftritt versucht, den randvollen eigenen Speicher zu löschen und sich naiv zu geben. Dem Gitarristen Lionel Loueke hat er einst gesagt: „Wenn ich mein Saxofon in den Mund nehme, möchte ich wie ein Neugeborenes sein, wie ein Kind, das zum ersten Mal mit Musik in Berührung kommt.“

1948 hatte Wayne Shorter sein Erweckungserlebnis. Er stahl sich im heimatlichen Newark heimlich in ein Konzert. Dizzy Gillespie und Stan Kenton, Charlie Parker, Lester Young oder Illinois Jacquet gaben ihr Bestes und Wayne beschloss nach diesem Allstar-Treffen: ich besorge mir eine Klarinette. 16 war er, als er anfing Musik zu machen. Ein Spätstarter also. Aber einer, der sich rasend schnell entwickelte, der aufs Tenorsaxofon wechselte und nach seiner Militärzeit nicht mehr aufzuhalten war. Ein Kurzabriss seiner Stationen: nach Gastspielen bei Horace Silver und Maynard Ferguson wurde er Botschafter bei Art Blakeys Jazz Messengers, ließ sich, auf Empfehlung John Coltranes, von Miles Davis abwerben, gehörte dem zweiten klassischen Quintett des Trompeters (und der Nachfolge-Formation) an, verfolgte parallel seine Solo-Karriere, gründete 1970 mit Joe Zawinul „Weather Report“ (die Jazzrock-Geschichte schrieb) und kümmerte sich nach der Auflösung 1985 vornehmlich um seine Solo-Karriere.

Kaum ein noch lebender Musiker hat solche „Footprints“ in der Jazzgeschichte hinterlassen, solche tiefen Fußspuren, die man mit Gips ausgießen und in den Museen für die Nachwelt erhalten sollte. Bewundert wird Wayne Shorter nicht nur für sein so charaktervolles Tenor- und sein bis ins tiefste Mark, bis in die tiefste Seele dringendes Sopran oder für seine Kompositionen, von denen viele Klassiker wurden, ohne dass sich eines seiner Stücke abgenutzt hätte. Nein, es ist wohl vor allem Wayne Shorters Einstellung, die seinen Kollegen (aber auch seinen Fans und den Kritikern) allen Respekt abnötigt - sein Mut, seine Abenteuerlust, seine Risikobereitschaft, sein Forscherdrang, seine Unvoreingenommenheit sind beispiellos.

Der Titel seines aktuellen Albums, dem ersten, das er nach 43 Jahren wieder bei Blue Note veröffentliche (Präsident Don Was bot ihm einen Exklusiv-Vertrag an), sagt viel über Wayne Shorters Arbeitsweise: „Without A Net“. Eingespielt hat er es mit seinem bewährten Quartett: dem panamaischen Pianisten Danilo Perez, dem Bassisten John Patitucci, dem Schlagzeuger Brian Blade. Proben mit diesen Dreien verbittet sich Wayne Shorter. Er geht im Konzert va banque, legt seinen Spielgefährten oft erst auf der Bühne neues Material aufs Pult, Noten, mit denen sie spontan klarkommen müssen. Es ist jedes Mal wieder umwerfend, wie frei das Shorter Quartett agiert, wie es in die Form und wieder heraus findet. Dieser Vierer ist Vorbild für viele aktuelle Formationen. Die Gruppe des wunderbaren französischen Saxofonisten Émile Parisien etwa beruft sich auf den Amerikaner und seine Mannen. Selbst gestandene Größen wie Trompeter Dave Douglas und Saxofonist Joe Lovano befinden sich im Shorter-Rausch. In ihrem Projekt „Sound Print“ führen sie vom Idol inspirierte Eigen-Kompositionen auf und sind im ständigen Austausch mit dem Meister.

Wenn dieser Messias also nun Geburtstag feiert, wird sich manch einer musikalisch wohl etwas ausdenken. Einer hat seine Pläne schon konkretisiert. Der Altsaxofonist Miguel Zenón, der Shorter vor Jahren als Mitglied des SFJazz Collective bereits würdigte, reist im August ins heimische Puerto Rico und gibt im Rahmen des „Caravana Cultural“ in Hormigueros ein Konzert mit Shorter-Kompositionen, dem ein einstündiges Referat vorausgeht. Zenón: „Seit vielen, vielen Jahren und für manche Generation ist er eine inspirierende Kraft. Was ihn von anderen großen Musikern unterscheidet: Er scheint seiner Zeit als Spieler und Komponist immer ein paar Schritte voraus zu sein. Was er bei Art Blakey, Miles oder unter eigenem Namen machte, haben andere erst viel später aufgegriffen. Er ist einzigartig. Er ist für mich einer der besten Improvisatoren der Jazzgeschichte und ein bahnbrechender Komponist.“

Übrigens ist Shorter auch abseits des Musizierens ein ganz besonderer Mann. Der Autor dieser Zeilen durfte ihn fünf Mal interviewen und geriet dabei jedes Mal in eine ganz eigene Welt. Einmal schien Shorter persönlich die tiefen, dunklen Wolken bei einer Foto-Session auseinander zu treiben und die Sonne in den Raum zu lassen. Sie blieb genauso lange, wie die Bilder benötigten und ward dann nicht mehr gesehen. Ein anderes Mal diskutierte er eine Folge von „Raumschiff Enterprise“, die nebenher im TV lief, um sich dann übergangslos über Comic-Helden, Miles Davis` Modegeschmack und Sonnenbrillen zu äußern, die ihm wie Insektenaugen vorkamen. It´s Wayne´s World.

Film-Fernseh-Tipp

Heute, am 25. August 2013 wird die lebende Legende Wayne Shorter 80 Jahre alt. Ein Anlass für avindependents einen Film über den Saxophonisten zu produzieren, der mehr ist als ein klassisches Porträt. Der Fokus des Films liegt auf der Musik und deren Entstehung im Zusammenspiel des Wayne Shorter Quartets, also die Zeit nachdem der gefeierte Saxophonist und Komponist schon auf eine Weltkarriere zurückblicken konnte. Dadurch bekommen die Zuschauer im Dokumentarfilm „Jazzlegende Wayne Shorter“ tiefe Einblicke in den musikalischen Schaffensprozess, der ansonsten oft ohne jedes Wort auskommt. Konzertausschnitte aus dem ausverkauften Salle Pleyel in Paris 2012 wechseln sich ab mit Interviews mit Shorter, seiner Frau Carolina, seinen Quartettkollegen  Danilo Pérez (p), John Patitucci (b) und Brian Blade (dr) sowie dem Kollegen und Weggefährten Herbie Hancock.

Man begibt sich auf eine ungewöhnliche Reise in ein außergewöhnliches musikalisches Universum namens „Zero Gravity“, und was soll man sagen? Nur Fliegen ist schöner…  Kammerjazz vom Feinsten wird hier geboten, der Film kann das Live-Erlebnis sicher nicht ersetzen, aber all jene, die dieses Quartett in nächster Zeit nicht erleben können, etwas entschädigen.

Der Dokumentarfilm ist eine Ludwigsburger Produktion von avindependents Film & TV GmbH in Koproduktion mit SWR/ARTE und Kooperation der Filmakademie Baden Württemberg (Kamera, Schnitt) sowie Mitteln der Medien und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG). Die TV-Erstausstrahlung wird heute an Wayne Shorters Geburtstag, auf ARTE zu sehen sein (23.20 Uhr). Ab 26. August kann man den Film auch als Kauf-DVD erwerben.

Einen Trailer zur DVD-Version des Films können Sie hier sehen: http://www.imdb.com/video/wab/vi1418373401/

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