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Reflektiertes Schweigen: Zeynep Gedizlioğlu. Foto: Susanne van Loon
Reflektiertes Schweigen: Zeynep Gedizlioğlu. Foto: Susanne van Loon
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Ansichten des Augenblicks

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Die türkische Komponistin Zeynep Gedizlioğlu und ihre Musik der Unruhe
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Als Zeynep Gedizlioğlu im Mai den Heidelberger Künstlerinnenpreis entgegennahm (und sich damit in die Riege prominenter Vorgängerinnen wie Olga Neuwirth, Isabel Mundry, Adriana Hölszky oder Sofia Gubaidulina einreihte), war laut Jury einer der Gründe, dass die türkische Komponistin einen „kompromisslosen, transkulturellen Stil“ etabliert habe, der „persönliche Erfahrungen und politischen Protest“ in dichten Klangtexturen amalgamiert.

Man kann sich – abgesehen davon, dass hier selbstverständlich kein „Stil“ etabliert wird – darüber streiten, inwieweit die seit 2001 in Deutschland lebende, zunächst bei Theo Brandmüller in Saarbrücken, dann bei Ivan Fedele in Straßburg und schließlich bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe studierte Komponis­tin aus Izmir, noch als Grenzgängerin zwischen den Kulturen anzusprechen ist, deren Reibungen sie in ihren Partituren reflektiert. Die Komponistin würde die Frage, ob die Auseinandersetzung mit Aspekten türkischer Musik und Kultur für ihr Komponieren eine Rolle spielt, inzwischen wohl eher verneinen als bejahen.

Was jedoch unabhängig von Fragen der Herkunft und Fremde unmittelbar beim Hören ihrer Musik offensichtlich wird, ist die Intensität und existentielle Spannung einer Klangsprache, die einerseits einer prinzipiell ortlosen Ausdrucks- und Lebensenergie entspringt, andererseits von gesellschaftlich-politischen Hintergründen bewegt wird, die sich dann doch nicht selten (wie sollte es anders sein) auf ihre türkische Heimat beziehen: „Yol – Der Weg“ (2005) trägt den gleichnamigen, während der Militärdiktatur zu Beginn der 1980er-Jahre hochbrisanten Film bereits im Titel; das 2. Streichquartett „Susma – Schweige nicht“ (2007) ist dem 2007 ermordeten Journalisten Hrant Dink gewidmet; „Durak“ (2013) verkörpert ein wuchtiges Orchesterstück, das die Komponistin – hin- und hergerissen zwischen direkter Teilnahme und Erfüllung eines Kompositionsauftrages – zur Zeit der Gezi-Proteste schrieb, wo sich eine entfesselte Staats-Gewalt in harscher Klangrhetorik niedergeschlagen zu haben scheint.

Für das Dresdener Konzert-Projekt „AGHET“, zum 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern, entstand „Notes from the Silent One“ für Streichorchester (2015), Gedizlioğlus bisher emotionalste Musik. „Dieses Werk ist ein Versuch, mich in die Situation einer Armenierin/eines Armeniers hineinzuversetzen und den Gedanken und Gefühlen, die dadurch entstanden sind, so ehrlich wie möglich zu erlauben, auf mein Notenpapier einzuwirken.“ Bei aller offenkundigen Empathie ist „Notes from the Silent One“ keine Streicher-Elegie geworden, die mit kalkuliertem Sentiment auf die Tränendrüse drückt. Orchestrale „Notizen“ zwischen Sprechen und Schweigen treffen die Sache eher, unsicher tastend, immer wieder neu ansetzend, später immer heftiger von aggressiven Klängen erschüttert. Die unheilvolle Spannung führt im Rahmen einer groß angelegten Steigerung (mit erbarmungslosem Bogendruck) immer tiefer in den Schrecken hinein, eine Klang-Katastrophe, bei der am Ende nur noch schüttere Lebenszeichen übrig bleiben.

Ist Zeynep Gedizlioğlu eine politische Komponistin? Sicher nicht vordergründig. Ihre außermusikalischen Bezüge sind bei aller partiellen klanglichen Drastik sublimiert und erscheinen als persönliche Verarbeitung von Erfahrungen, nicht von „Sujets“, denen programmatische Klangverläufe verpasst werden. Das Leben fließt also durch Gedizlioğlus Musik hindurch, dessen Augenblickshaftigkeit sie in aller Ungreifbarkeit einzufangen sucht. Derart verwandeln sich alle politischen und gesellschaftlichen Dimensionen in einen Zustand individueller künstlerischer Unruhe und so ist Komponieren für die türkische Komponistin immer auch eine fortwährende (Neu-)Begegnung mit sich selbst.

Spontaneität und Intellekt

Dass Zeynep Gedizlioğlu zumeist nicht im stillen Kämmerlein, sondern an öffentlichen Orten komponiert, hat der Schärfe ihrer Klangvorstellungen nicht geschadet, der Lebendigkeit ihrer Musik sowieso nicht: ohne die üblichen Hilfsmittel wie Klavier, Computer, Notationsprogramme et cetera entstehen ihre komplex zerklüfteten Klanglandschaften vor allem im Kopf und auf dem Papier, was ihnen eine umso größere Verbindlichkeit zu verleihen scheint. Den für sie relevanten Kompositionsvorgang hat die Komponistin einmal so beschrieben: „Es ist ein Prozess und es werden Sachen passieren, die ich mir vorher nicht vorgenommen habe und auf meinem Plan stehen. Und dann muss ich mich fragen, wieso ist das jetzt passiert, was bedeutet das jetzt für mich, und dann muss ich das wieder auf eine intellektuelle Ebene bringen. Es ist immer ein hin und her zwischen Spontaneität und Intellekt.“

Die Spannung von impulsiver Gestik und kalkulierter Organisation, Spontaneität und Ratio ist Gedizlioğlus Musik hörbar eingeschrieben und offenbart sich in „Sights of Now“ (2013–17) mit kantiger, skulpturaler Präsenz, beruhend auf der ungewöhnlichen Konfrontation von einem Streichquartett mit zwei Klavieren. Die sprunghafte musikalische Dramaturgie setzt beide Klangkörper zwischen Anziehen und Abstoßen in immer neue Verhältnisse. Bei aller Plastizität der Klanggestik ist die Komponistin aber vor allem an der Auslotung eines Zwischenraumes interessiert: „Es gibt einen Raum, einen Nullpunkt zwischen dem Überlegten und dem Getriebenen, dem Ausgehaltenen und Abgebrochenen, dem in Vergessenheit geratenen und wieder in Erscheinung getretenen ... dem Reflektieren und Innehalten, dem Innehalten des Augenblicks.“ Dieses Greifen nach dem Augenblick ist ein zentraler Impuls der Musik Zeynep Gedizlioğlus. Gestalten verfestigen sich, Konturen tauchen auf und Verschwinden wieder, oft in feinen Varianten oder Verschiebungen des schon Dagewesenen, doch alles bleibt im Grunde unberechenbar. Am Ende von „Sights of Now“ reißt das im Rahmen einer ausgeprägt perkussiven Motorik einfach ab.

„Verbinden und Abwenden“

„Es gibt einen Raum, einen Riss, einen Abstand zwischen beiden Klangkörpern und dem Klangkörper jedes einzelnen Interpretierenden – deshalb und dadurch auch eine gewisse Anziehungskraft.“ Was die Komponistin hier zu den Klang-Beziehungen von „Sights of Now“ erläutert, findet seine Fortsetzung in Gedizlioğlus neuester Komposition mit dem bezeichnenden Titel „Verbinden und Abwenden“ (2016). Dort wird die Ambivalenz von Sprechen und Schweigen im traditionellen Dualismus von Individuum und Kollektiv ausgetragen, aber vielfach aufgespalten und verkompliziert. Es ist nicht ein Solist, der dort in Bezug zum Orchester gesetzt wird, sondern ein „Ensemble“ von 14 Spielern, die mitten in einzelne Orchestergruppen platziert sind. Dabei sind die Solisten so verteilt, dass sie „wie ein Fremdkörper“ innerhalb nicht-verwandter Instrumentenfamilien/Orches­tergruppen sitzen und vermittels dezenter Verstärkung aus dem Orchester herausgehoben werden. „Die Vorstellung von einer Gruppe – in diesem Fall bestehend aus 14 Individuen –, die dem großen Apparat Orchester gegenübersteht, bringt für mich in erster Linie etwas Politisches mit sich; und gleichzeitig den Impuls, die permanente Eindeutigkeit einer bestimmten Rollenverteilung, eines bestimmten Verhältnisses zwischen den zwei Klangkörpern ‚Ensemble‘ und ‚Orchester‘, die entstehen könnte, abzulehnen.“ Bei aller Negation festgefügter musikalischer ‚Rollen‘ deutet sich der theatralische Habitus des Stücks mit der Titel-Unterzeile „In drei Akten“ bereits an, entsprechend reich an burlesken, schrillen Momenten ist diese konzertante Konfrontation diverser Klangkörper.

Auch das vom Hessischen Rundfunk in Auftrag gegebene Stück für Klavier und Orchester, an dem die Komponis­tin momentan arbeitet, widmet sich der Spannung von An- und Abwesenheit in der für Gedizlioğlu bezeichnend selbstreflexiven Konfrontation mit den „Verbindlich- und Unverbindlichkeiten“ des musikalischen Materials: „Blick der Abwesenden“ wird es heißen und greift ein Motiv oder besser gesagt eine Haltung wieder auf, die bereits „Notes from the Silent One“ prägte: „Dass ‚the Silent One’ gleichzeitig auch ich bin, dass ich damit auch mein eigenes, reflektiertes Schweigen, meine Abwesenheit beim Erklingen der Musik meine, darüber denke ich beim aktuellen Stück komponierend nach.“ Wie diese „Abwesenheit“ dann tatsächlich zum Klingen gebracht wird, zeigt sich am 14. September im Frankfurter Sendesaal …

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