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Vom Konzert- in den Plenarsaal: Agnes Krumwiede. Foto: privat
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Auch der Kultursektor braucht einen Mindestlohn

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Politikerin mit Konzertdiplom: Agnes Krumwiede, Bundestagsabgeordnete der Grünen, im Gespräch
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Die ausgebildete Konzertpianistin Agnes Krumwiede aus Ingolstadt ist seit den Bundestagswahlen im Herbst dieses Jahres Abgeordnete der Grünen im Bundestag – eine Premiere in der deutschen Politik. Alexandra Scherer sprach mit ihr über ihre ersten Erfahrungen als Politikerin, ihre Ideen und konkreten Pläne.

neue musikzeitung: Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Agnes Krumwiede: Für die Wahl der Grünen ist schon mein Elternhaus ausschlaggebend: Mein Vater ist bei den Grünen seit die Partei gegründet wurde. Eine einschneidende Erinnerung in meiner Kindheit war der Tschernobyl-Unfall 1986, als ich gerade neun Jahre alt war. Das hat mich sehr geprägt. Vor acht Jahren bin ich dann selbst den Grünen beigetreten und habe mit Kandidaturen für den Stadt- und Landrat angefangen.

nmz: Gibt es aus Ihrer Sicht Parallelen zwischen dem Musiker- und dem Politikerberuf?

Krumwiede: Ich kann nicht verstehen, warum Musik und Politik als widersprüchlich aufgefasst werden. Als Pianist braucht man immerhin Eigenschaften, die auch als Politiker notwendig sind. In beiden Berufen dient man einer Sache: der Musik oder der Politik. Man muss sich durchsetzen können, es gewohnt sein, vor Menschen zu sprechen und mit seiner Nervosität zurechtzukommen. Man muss sich gerne darstellen wollen, sowohl am Klavier als auch in der Politik. Trotzdem war ich die Einzige an der Musikhochschule, die überhaupt Mitglied einer Partei war. Auch jetzt im Bundestag bin ich die einzige Pianistin – und sogar die erste, die überhaupt je im Bundestag war.

nmz: Wie haben Sie den Wahlkampf erlebt?

Krumwiede: Mein Wahlkampf hat mir sehr viel Spaß gemacht, auch wenn er anstrengend war: Gemeinsam mit der Schauspielerin Christine Nonners habe ich mit dem Programm „Starke Frauen“ konzertiert. Ich habe am Klavier Kompositionen nur von Frauen gespielt, von Clara Schumann, Fanny Hensel und der zeitgenössischen Komponistin Mayako Kubo. Mit diesem Programm sind wir durch ganz Bayern gezogen. Das war sehr toll, aber natürlich auch anstrengend.

nmz: Wie werden Ihrer Meinung nach kulturelle Fragen momentan von der Politik behandelt?

Krumwiede: Die Kulturpolitik ist immer noch ein Stiefkind in der Politik, aber auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Ich habe während des Wahlkampfes erlebt, dass viele Kultur als etwas Elitäres empfinden. Dass das nicht der Fall ist, muss von der Politik vermittelt werden. Ich behaupte nicht, dass das nicht schon passiert ist, im Gegenteil haben die Grünen sich in dieser Hinsicht schon stark engagiert.

Die Einstellung der ganzen Gesellschaft gegenüber der Kultur muss sich verändern. Es muss klar sein, dass wir Kultur dringend brauchen. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens und verhilft zu einem neuen Blick auf Dinge und das möchte ich den Menschen noch viel bewusster machen. Ich sehe mich als Stimme der Kulturschaffenden, die für Kultur wirbt, um ihre Situation in Deutschland zu verbessern.

nmz: Gibt es dafür konkrete Ansätze? Können Sie Beispiele nennen, wie Ihre Ideen umgesetzt werden sollten?

Krumwiede: Konkrete Ansätze schöpfe ich aus meinen persönlichen Erfahrungen. Zum Beispiel sind alle Geiger, die mit mir studiert haben, entweder arbeitslos oder müssen von einer befristeten Stelle zur anderen wandern. Das kann eigentlich nicht sein. Wir bilden Leute aus für das schwarze Loch der Arbeitslosigkeit. Außerdem brauchen wir einen Mindestlohn für alle ausgebildeten Kulturschaffenden, die momentan massiv ausgebeutet werden.

Auch die Hochschulausbildung der Musiker und Tänzer sollte verändert werden. Man konzentriert sich nur auf die Musik und das ist auch schön, aber die meisten Musikstudenten haben sich nicht überlegt, wie man damit später Geld verdienen kann. Die Angebote an den Musikhochschulen, an den Kunst- und Tanzakademien müssen mit Pflichtpraktika und obligatorischen Pädagogikkursen einfach praxisorientierter werden. Das Angebot zusätzlicher Kurse wie Kulturmanagement oder Musikjournalismus bietet den Studenten die Möglichkeit, später noch umzusatteln. Wenn man bedenkt, dass der Studiengang Diplommusiker der zweitteuerste in Deutschland ist und dazu die Arbeitslosenquote anschaut, ist das schon frappierend.

Ein weiteres Thema, das ich als Aufgabe grüner Kulturpolitik begreife, ist die Frauenquote in den staatlichen Orchestern. An den Musikhochschulen ist sie immer höher als die der Männer, auf dem Berufsmarkt plötzlich nicht mehr. Hier ist der Frauenanteil bei 20 bis 30 Prozent verschwindend gering. Auch am Lohn zum Beispiel an den Theatern lässt sich eine Bevorzugung der Männer beobachten. Um dem entgegenzuwirken, sollte man etwa bei den Orchestern eine Frauenquote einführen. Das halte ich nicht für ein Allheilmittel, aber eine Übergangslösung. Man muss außerdem Künstlerinnen, die selbstständig arbeiten, die Kombination von Familie und Beruf erleichtern. Von den Grünen werden diesbezüglich Kinderkrippenplätze für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr gefordert. Nur mit diesen Voraussetzungen kann sich etwas ändern.

nmz: Was bedeutet das Wahlergebnis für die deutsche Kulturlandschaft?

Krumwiede: Für uns war das Wahlergebnis nicht besonders erfreulich, auch wenn wir mit 68 Abgeordneten so viele sind wie nie zuvor. Schwarz-Gelb wollten wir aber nicht, das wollten wir verhindern. Das Wahlergebnis ist für die Kulturschaffenden aber deswegen sehr erfreulich, weil damit ich in den Bundestag gekommen bin. Denn ich bin unter allen Abgeordneten die einzige aus der Branche der Kulturschaffenden. Ich habe jede Menge Energie und Visionen, um Veränderungen auf dem Gebiet auf den Weg zu bringen.

nmz: Sie sind Mitglied des DTKV. Könnte Ihnen der Verband bei der Umsetzung Ihrer Ideen behilflich sein?

Krumwiede: Für selbstständige Musiker oder Musikpädagogen ist der DTKV ein sehr wichtiger Verband, weil er eine Vernetzung schafft, die unheimlich wichtig ist für die Musiker und Komponisten in diesem Land. Daher stehe ich fest hinter dem Verband, werde aber auch in Zukunft keine Verbandspolitik betreiben, weil ich eigenständig bleiben möchte.

Im Prinzip will der DTKV das gleiche wie ich: ein Netzwerk schaffen zwischen Schule und Kultureinrichtung, zwischen Schule und Musikschule. Nichts ist so authentisch wie ein Musiklehrer, der auch selbst Musiker ist. „Jedem Kind ein Instrument“ sollte nicht weiter nur Schlagwort bleiben! Es sollte nicht von der Herkunft abhängen, ob ein Kind ein Instrument lernt oder nicht.

nmz: Kommen Sie noch zum Klavier spielen? Wird es in Zukunft noch Konzerte von Ihnen geben?

Krumwiede: Mir war immer klar, dass, wenn ich in den Bundestag komme, nicht mehr viel Zeit bleibt für das Klavier. Das ist auch gut. Es gibt genug phantastische Pianisten in Deutschland, ich werde also nicht unbedingt gebraucht. Aber ich glaube, die Musiker brauchen mich im Bundestag. Das ist viel wichtiger. Deswegen werde ich noch Klavier spielen, wenn ich Zeit dafür finde, aber zum ersten Mal in meinem Leben nur noch als Hobby.

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