Viel Zeit und gute Worte musste José da Silva investieren, bis er Cesária Évora 1988 endlich zu Aufnahmen in seinem Pariser Studio überreden konnte. Der wie sie von den Kapverden stammende junge Chef des kleinen Labels „Lusafrica“ hatte die Sängerin drei Jahre zuvor in Lissabon entdeckt, wo sie auf Einladung ihrer Kollegin Bana aufgetreten war – und dazu erstmals überhaupt ihre Heimatinsel Sao Vicente verlassen hatte. Von Paris aus machte die Evora nun, mit 50 und mit Da Silva als Manager, eine späte und wundersame Weltkarriere als „barfüßige Diva“: Millionen CDs verkaufte sie, gewann neben vielen anderen Preisen den Grammy, wurde von Kollegen wie Adriano Celentano, Bonnie Raitt oder Peter Maffay um Zusammenarbeit gebeten und bereiste die großen Konzerthäuser der Welt.
Wer sie dort sah, der erlebte – ähnlich wie bei den kubanischen Kollegen von Buena Vista Social Club – eine Spätberufene, die sich nicht mehr verbiegen musste. Barfuß – „ich bin ohne Schuhe aufgewachsen, für mich ist es natürlicher“ – und zumeist regungslos stand sie auf der Bühne, keine Schönheit, sondern eine vom Leben gezeichnete Frau, die kaum mehr als ihren Namen und ein Abschieds-Ciao murmelt, sich aber dafür die Zigarettenpause und das Gläschen Rum während des Konzerts nicht nehmen lässt. Selbstbewusst, was ihre Stimme und ihre Kunst anging, war sie.
Und was hätte sie sonst schon zu verlieren gehabt, die 1941 im Städtchen Mindelo als Tochter eines Geigers Geborene, die mit Sieben Waise wurde und zu Pflegeeltern kam; die als Teenager anfing, in den Hafenspelunken zu singen, und sich mit 19, 20 langsam auf den vor Anker liegenden Kreuzfahrtschiffen einen Namen machte, bis die Unabhängigkeit der Kapverden 1975 diese Karriere knickte; deren drei Ehemänner sich alle aus dem Staub gemacht hatten, weswegen sie drei Kinder mehr oder weniger alleine großzog. Genau diese „street credibility“ aber war ihr Erfolgsgeheimnis. Die wenigsten ihrer Hörer verstanden die zumeist auf Kriolu gesungenen Mornas und Coladeiras, doch wie sie diesen aus Seemannsgarn, afrikanischen und südamerikanischen Rhythmen sowie portugiesischem Fado zusammengemixten Kapverden-Blues sang, das drang jedem in Herz und Seele. Gerade zivilisationsgeplagte Amerikaner und Mitteleuropäer wurden magisch angezogen von der heiteren Gelassenheit, mit der hier Weltschmerz und Sehnsucht begegnet wurde.
Doch diese zwei Leben, jedes für sich härter und zehrender als ein normales, forderten ihren Preis: Schon 2005 ging es ihr schlecht, drei Jahre später folgte ein Schlaganfall, im vergangenen Jahr ein Herzinfarkt und mehrere Operationen. Im September verkündete sie schweren Herzens ihren Rückzug von der Bühne; am Samstag nun ist Cesaria Evora, die Anti-Diva, die „Billie Holliday“ der Kapverden und die Stimme der „Sodade“, 70-jährig im Hospital ihrer Geburtsstadt gestorben. Nicht nur ihre unverwechselbare, seidig-rauhe Stimme aber wird bleiben. Dass die nächste Generation kapverdischer Sängerinnen wie Lura, Soha oder Mayra Andrade es leichter hat, dafür hat Cesária Évora selbst noch gesorgt.